c't 2/2018
S. 3
Editorial
Gerald Himmelein

Zurück in die Zukunft

Das dreirädrige E-Auto Microlino war der Tropfen, der meinem kochenden Fass die Krone aufs Gesicht setzte. Ein Vehikel, in das kaum die eigenen Beine reinpassen. Konzipiert und gebaut im Jahr 2017.

Meine Eltern haben mir mal Fotos ihres ersten Autos gezeigt, das war auch so eine dreirädrige Missgeburt. Sie hatten kein gutes Wort dafür übrig: Unbequem war es gewesen, in der Straßenlage instabil, und, vor allem anderen: saugefährlich, da praktisch ohne Knautschzone.

Und jetzt gibt es so etwas wieder, Leute setzen sich auf Automessen rein und wollen es haben - weil es so schick retro ist. Meine Eltern würde ich in so etwas weder gegen Geld noch gute Worte reinbekommen.

Beim Vinyl-Revival habe ich mich zum ersten Mal über den Retro-Trend aufgeregt. Das nahm ausgerechnet an Fahrt auf, als sich Musik plötzlich ohne hörbaren Verlust so klein falten ließ, dass das gesamte Œuvre der Beatles oder meinetwegen Stones auf einen tragbaren Player passte. Mittlerweile passt es auf einen fingernagelgroßen Stick, sogar verlustfrei komprimiert.

Doch was taten die Undankbaren angesichts des ihnen dargebotenen digitalen Wunders? Sie glühten den Röhrenverstärker vor, legten mit zitternden Daumen kratzende Diamantnadeln auf knisternde Kunststoffplatten und schworen, nur das sei wahres HiFi.

Mittlerweile gibt es so gut wie alles in retro: Tastaturen in Schreibmaschinenoptik, Internet-Radios im Holz-Look, niedlich geschrumpfte Nintendo-Konsolen - und natürlich das Nokia 3310. Und es gibt Leute, die kaufen den ganzen Mist und finden ihn toll.

Aber dieses Tollfinden hat Grenzen. Von wegen neue Nüchternheit. Von wegen Rückbesinnung auf das Wesentliche. Der Retro-Kult blüht nur so lange, wie die modernen Alternativen in Reichweite bleiben. In der Vinyl-Box liegt ein digitaler Download-Code. Die Bonsai-Konsole steht neben einer fetten Xbox One S. Das Nokia 3310 dient nicht etwa als Haupt-Smartphone, sondern als Dritt-Handy für den Urlaub. Der Microlino wird das Zweitauto für die Tochter, ein Öko-Placebo-Pflästerchen zum Ausgleich für den frisch polierten Cayenne Turbo in der Garage.

Was wäre das für ein Heulen und Zähneklappern, wenn man den Retro-Fans die moderne Technik wieder wegnähme. Du hörst jetzt diese Platte, bis die Nadel nur noch springt. Stereo und Surround waren gestern, jetzt kommt deine ganze Unterhaltung aus einem Monowürfel aus Fake-Holz. Ab sofort muss das Mini-Display des Retro-Knochens für YouTube reichen. Und sieh zu, wie du mit der klapprigen Elektro-Isetta deinen Großeinkauf heil nach Hause kriegst.

Unterschrift Gerald Himmelein Gerald Himmelein

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