c't 21/2018
S. 40
News
Online-Werbung: Programmatic

Siegeszug der Daten

Programmatic Advertising: Versteigerte Werbeplätze

Trotz der neuen Datenschutz-Grundverordnung führt in der Online-Werbebranche kein Weg an datengetriebener, personalisierter Werbung vorbei.

Auf der OnlineMarketing-Leitmesse Dmexco gab es keinen Zweifel: Programmatic Advertising hat sich durchgesetzt. Spielten in den Vorjahren noch große Marken, pfiffige Kampagnen oder neue Erzählformate der Medien zentrale Rollen, gab es in diesem Jahr im wesentlichen nur ein Thema: Wer hat die besten Daten und kann sie am besten in Verkaufserfolge umsetzen? Das Werbegeschäft läuft nun vorwiegend über Echtzeitauktionen, dem sogenannten Programmatic Advertising. Dabei werden, noch während eine Webseite lädt, im Hintergrund die vorliegenden Daten des Kunden analysiert und auf einer Auktionsplattform angeboten.

Der Website-Betreiber signalisiert zum Beispiel, dass er Werbung bei einem 30- bis 35-jährigen Mann ausliefern kann, der sich für Einplatinencomputer und koreanische Pop-Musik interessiert und dabei ein iPhone von 2016 nutzt. In Sekundenbruchteilen können Interessenten auf diesen Werbeplatz bieten. Der Gewinner des automatischen Bietverfahrens liefert dann seine Werbung zu, die schließlich auf dem Bildschirm des Kunden erscheint.

Alleine im Jahr 2017 sind nach Zählung des Bundesverband Digitale Wirtschaft 835 Millionen Euro mit Programmatic Advertising umgesetzt worden – eine Steigerung von 40 Prozent zum Vorjahr. 38 Prozent der Display-Werbung, also Werbung mit grafischen Bannern, wird hierzulande bereits auf diese Art verkauft.

Überall Sportschuhe!

Gestützt wird die Entwicklung unter anderem von der zunehmenden Bedeutung der mobilen Internetnutzung. Auf dem Screen eines Smartphones ist schlichtweg deutlich weniger Platz als auf einem Desktop-Bildschirm. Um dennoch das Geld einzuspielen, das die Produktion von Inhalten kostet, lautet die Lösung vieler Marktteilnehmer: Die Werbekampagne muss mit immer mehr Daten unterfüttert werden.

Besonders sichtbar wird dies beim so genannten „Retargeting“: Wer im Angebot eines Online-Shops stöbert und sich beispielsweise für einen bestimmten Sportschuh interessiert, ihn aber letztendlich doch nicht kauft, bekommt daraufhin auf einer Vielzahl von Websites Werbung für exakt diesen Sportschuh angezeigt.

Der Fantasie sind wenig Grenzen gesetzt: So erfassen Adtech-Anbieter zum Beispiel bereits systematisch lokalisierte Wetterberichte, um herauszufinden, ob sie einem Nutzer besser Hustenbonbons oder Bademode anbieten sollten. Wo sich der Kunde befindet, können sie über seine IP-Adresse abschätzen.

Der große Cookie-Abgleich

Meist belässt es die Werbeindustrie aber nicht bei solch vagen Zuordnungen. Wenn zum Beispiel ein Einzelhändler auf seiner Website Werbung ausliefert, kann er auf die komplette Bestell-Historie der eigenen Kunden zugreifen und demgemäß die empfohlenen Produkte anpassen.

Setzt der Händler zusätzlich auf der eigenen Website ein Cookie von Werbenetzwerken ein, kann er seine Kunden mit einer Werbekampagne quer durchs Internet verfolgen – nicht nur auf verschiedenen Websites, sondern sogar auf unterschiedlichen Geräten. Dazu müssen nur die entsprechenden Cookie-IDs abgeglichen werden.

Wenn auf einem Echtzeit-Marktplatz beispielsweise annonciert wird, dass ein Kunde mit einer bestimmten Cookie-ID von Doubleclick eine Website aufruft, kann der Händler diese Information mit den eigenen Daten abgleichen. Die Werbung für den besagten Sportschuh erscheint dann nicht mehr nur im PC-Browser, sondern auch auf dem Smartphone und auf dem Tablet.

Die Ergebnisse für die Anzeigenkunden sind enorm. So stellte der Warenversender Otto auf der Dmexco die Erfolge seiner neusten Bemühungen auf dem programmatischen Markt vor. Der Versandhändler konnte seine Kosten pro Klick um 38 Prozent mindern, gleichzeitig führten die Anzeigen 11 Prozent häufiger zu Käufen. Folge: Der Händler verdoppelte die Reichweite seiner Kampagnen.

Echtzeithandel mit Werbeplätzen

Real Time Bidding

Damit das Massengeschäft mit personalisierter Werbung funktionieren kann, ist eine komplexe technische und geschäftliche Infrastruktur notwendig. So stellen die Website-Betreiber ihre Angebote auf sogenannten „Supply Side Plattforms“ (kurz: „SSP“) bereit. Die Werbekunden hingegen sammeln ihre Anfragen auf „Demand Side Plattforms“ (DSP). Dazwischen vermitteln die sogenannten Ad Exchanges, die den Kauf von Inventar über verschiedene Publisher in Echtzeit ermöglichen. Die notwendigen Daten stammen aus einer Data Management Platform (DMP), in die Informationen aus vielfältigen Datenquellen eingespeist werden.

Grundvoraussetzung ist eine durchformatierte Werbewelt. Das Interactive Advertising Bureau (IAB) legt weltweit die zulässigen Werbeformate fest. Für das Zusammenspiel zwischen SSP, DSP und DMP hat der Verband das Protokoll Open Real-Time Bidding (OpenRTB) geschaffen. Konzerne wie Google betreiben ihre eigenen Marktplätze mit proprietären Protokollen.

Das programmatische Advertising hat aber auch Nachteile, wie viele Werbekunden im vergangenen Jahr feststellen mussten: Wenn sich die ausgelieferte Werbung hauptsächlich danach richtet, wer sich am anderen Seite des Screens befindet, gerät in den Hintergrund, in welchem Kontext die Werbung auftaucht.

So stellten viele der größten Werbekunden der Welt zeitweise ihre Kampagnen auf der Videoplattform YouTube ein, nachdem bekannt wurde, dass Werbung angesehender Marken neben Videos von Terrorsympathisanten auftauchte. YouTube hat das Problem mittlerweile entschärft, die meisten Werbekunden sind zurückgekehrt.

Ein weiteres Problem ist der grassierende Werbebetrug. So schaffen es immer wieder Betrüger, Werbeausspielplätze falsch zu deklarieren und zu verkaufen. Die Lieferketten für Werbebanner sind so lang und undurchsichtig, dass selbst Branchengrößen ihren Kunden nicht versprechen, ein betrugsfreies Produkt anbieten zu können. So verspricht Adobe seinen Kunden, dass höchstens drei Prozent des bezahlten Budgets in die Taschen von Betrügern fließt.

Werbehemmnis DSGVO

Hemmnis des Wachstums ist die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). So macht der Onlinevermarkter-Kreis im BVDW die neuen europäischen Vorschriften dafür verantwortlich, dass er seine Wachstumsprognose für 2018 von zehn auf sieben Prozent senken musste – ein Luxusproblem, denn sieben Prozent sind immer noch ein sattes Plus, das sich im Bereich der Vorjahre bewegt.

Die deutsche Werbeindustrie versucht sich nun mit eigenen übergreifenden Datenlösungen auf den Ernstfall vorzubereiten. So hatten unter anderem die Allianz, Daimler, die Deutsche Telekom, die Deutsche Bank, Lufthansa und der Medienkonzern Axel Springer die Verbundlösung Verimi auf den Weg gebracht, um Login- und Kundendaten DSGVO-konform zu teilen. Bisher stößt die Lösung bei Endkunden aber noch auf wenig Resonanz. Mitte Oktober soll die Konkurrenz-Lösung NetID online gehen, der unter anderem ProSiebenSat1, RTL, 1&1 und Zalando angehören.

Deutsche Datenlösungen

Vorteil für die Kunden bei beiden Lösungen: Wer sich bei einem der teilnehmenden Dienste einloggt, kann auch gleichzeitig die Dienste der anderen Teilnehmer nutzen und muss nur einmal Zahlungsdaten eingeben. Der Vorteil für die Industrie: Der gemeinsame Datenpool ermöglicht, Werbekampagnen zentral zu optimieren und ein Gegengewicht zu den großen Internet-Unternehmen Google, Amazon, Facebook und Apple zu bilden.

Aus den USA kommt unterdessen eine Attacke auf das komplette System des Programmatic Advertising. Der Privatsphäre-orientierte Browserhersteller Brave hat Beschwerde bei mehreren europäischen Datenschutzbehörden eingereicht. Diese sollen die Datenweitergabe beim programmatischen Advertising bei Google und anderen Werbedienstleistern unter die Lupe nehmen. „Jedes Mal, wenn eine personalisierte Anzeige eingeblendet wird, werden intime Daten über den Nutzer an dutzende oder hunderte von Firmen gesendet“, schreibt Brave-Manager Johnny Ryan: Das sei deshalb eine „datenschutzfreie Zone“. Laut Brave läuft programmatische Werbung verschiedenen Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zuwider. So verlangt Artikel 5 der Verordnung besondere Sorgfalt bei der Verarbeitung persönlicher Daten, Artikel 22 stellt Hürden bei der automatisierten Verarbeitung solcher Daten auf. Zwar erwähnt die Beschwerde, dass das Geschäft im Zuge der DSGVO angepasst wurde, in der 32-seitigen Erläuterung bezweifelt Ryan aber, dass die Kunden tatsächlich ausreichend über das Ausmaß und Folgen der Datenweitergaben informiert seien. (jo@ct.de)