c't 6/2020
S. 12
Aktuell
Klarnamenpflicht
Bild: Albert Hulm

Meinungsfreiheit nur mit Anschrift

Internet: Neue Angriffe auf Grundrechte

Neue Vorschriften sollen helfen, Rechtsextremismus und sogenannte Hasskriminalität im Internet zu sanktionieren. Datenschützer, Richter sowie die Internetwirtschaft und ­zivilgesellschaftliche Organisationen schlagen Alarm.

Von Michael Link

Die Politik reagiert auf Hasskriminalität im Internet mit zahlreichen Verschärfungen von Gesetzen. Bereits jetzt sollen Plattformen in einer Art selbstorganisierter Zensur löschen, was gesetzwidrig sein könnte. Neu beschlossen wurde eine Meldepflicht, die Plattformbetreiber zwingt, dem Bundeskriminalamt schon bei Verdacht Gewaltdrohungen, Nazi-Propaganda sowie Volksverhetzung zusammen mit der IP-Adresse samt Portnummer mitzuteilen. Gebilligt wurde das vom SPD-geführten Justizministerium eingebrachte Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität. Es bringt zahlreiche, teils gravierende Verschärfungen, beispielsweise im ohnehin umstrittenen Netzdurchsetzungsgesetz, im Strafgesetzbuch und in der Strafprozessordnung sowie im Meldegesetz und im BKA-Gesetz. Außerdem wird das grundgesetzlich verankerte Fernmeldegeheimnis eingeschränkt. 

Schaut man sich beispielsweise die neuen Paragrafen 15 a und b im Telemediengesetz an, dann erweitern sie die Pflichten zur Herausgabe von Daten erheblich. Schon vor der Gesetzesänderung ließen sich Ermittlungsbehörden intensiv Auskünfte geben, doch nun sind weitaus umfassendere Zugriffe auf eine Vielzahl weiterer Inhalte, Quellen und Plattformen möglich, die Eingriffe in Grundrechte also weitaus gravierender. So müssen nun weitaus mehr Plattformen Nutzerdaten herausrücken. Dazu zählen außer sozialen Medien und Blogs auch Chat-Plattformen, Games sowie Portale, Shops und Info-Dienste aller Art und sogar Suchmaschinen. Selbst private Seiten im Web oder Webmailer, Podcasts und Partnerbörsen sind betroffen. Für Abfrage von IP-Adressen und zugehörigen Nutzernamen ist nicht einmal mehr eine richterliche Genehmigung erforderlich.

Besonders umstritten war, dass Plattformen nach Richterbeschluss Nutzerpasswörter offenlegen müssen – gegenüber dem ursprünglichen Entwurf gilt das allerdings nur bei besonders schweren Straftaten. Dass eine Herausgabepflicht für Passwörter ein nicht zu Ende gedachter Wunsch ist, dürfte Sachkundigen indes klar sein: Wenn nämlich die Betreiber, wie die DSGVO es nahelegt, Passwörter verschlüsselt speichern, müssen Ermittler schon hoffen, sie selbst entschlüsseln zu können. Die Internetwirtschaft läuft gegen die Verschärfungen Sturm, ebenso Politiker der Grünen, der Linken, der AfD und der FDP. 

Identifikation statt Klarnamen

Trotz der niedrigen Zahlen an Ermittlungsverfahren sehen sich besonders Politiker Hass und Drohungen ausgesetzt, nicht nur in sozialen Netzwerken. Nun sind auch Gaming-Plattformen ins Visier der Politiker geraten. Ursache dafür war der Synagogen-Anschlag in Halle im Herbst 2019, bei dem der Täter das Geschehen live per Video auf der besonders bei Gamern beliebten Streaming-Plattform Twitch ins Netz gestellt hat. Die Bundesländer Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben daher Mitte Februar gemeinsam eine Initiative zur Verschärfung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) in den Bundesrat eingebracht.

Die Vorlage (Drucksache 70/20) enthält viel mehr als das, was Politiker wie Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) vorab in Interviews sagten. Der Minister in der Rheinischen Post: „Es kann nicht sein, dass Menschen sich im Netz hinter Fantasienamen verbergen und Straftaten begehen können, ohne dabei ein großes Risiko einzugehen, bestraft zu werden“. Irritierenderweise erklärte er aber auch, dass es ihm nicht um eine Klarnamenpflicht gehe, sondern nur um mehr Identifizierungspflichten im Netz.

Zuerst hieß es, dass Nutzer lediglich „persönliche Daten hinterlegen“ sollen. Die nun ins Spiel gebrachte Identifikationspflichten gehen weit darüber hinaus. Demnach sollen soziale Netzwerke und – neu – auch Spieleplattformen mit mehr als zwei Millionen inländischen Nutzern die Namen, ihr Geburtsdatum sowie die Anschrift ihrer Nutzer nicht nur erfassen, sondern sie auch verifizieren. Bereits registrierte Nutzer sollen das binnen zwei Jahren nachholen. Die Kosten für die nötige Infrastruktur sollen die Betreiber der Netzwerke selbst tragen.

Meinung nur mit Ausweis

Die Identifikation soll laut Vorlage per amtlichem Ausweis, elektronischem Identitätsnachweis, mit einer qualifizierten elektronischen Signatur oder einem anerkannten elektronischen Identifizierungssystem erfolgen, zum Beispiel per Postident oder einem Videochat, wie er zur Freischaltung von Prepaid-SIMs genutzt wird.

Elisabeth Niekrenz von der netzpolitischen Organisation „Digitale Gesellschaft“ warnt: „Personen, die Straftaten begehen oder Debatten beeinflussen wollen, können weiterhin über VPN einen vermeintlich ausländischen Account ohne Identifizierung anlegen. Für den Normalnutzer würden die Hürden, am politischen Diskurs teilzunehmen, aber deutlich erhöht.“ Das gilt auch für Diskussionsforen etwa für Suchtkranke, Missbrauchsopfer oder für zivilgesellschaftliche Organisationen. Sie sind vielfach auf völlige Anonymität angewiesen.

Ein weiterer Kollateralschaden: Bei einer Identifizierungspflicht könnten sich Kinder und Jugendliche bei sozialen Netzwerken und Gaming-Plattformen nicht mehr anmelden, da eine Ausweispflicht erst ab 16 Jahren besteht. Niekrenz: „Medienkompetenz, also wie Informationen auf sozialen Medien verbreitet werden und wie man sich ein eigenes Bild macht, kann so kaum gewonnen werden.“

Auch Jüngere haben ein im Grundgesetzartikel 5 verbrieftes Recht auf Meinungsfreiheit. Im Netz könnten sie es dann nur ausleben, wenn sie vorher einen Ausweis beantragen. Meinungsfreiheit nur mit Ausweis sieht das Grundrecht aber nicht vor. Auch seinen Namen muss man nicht nennen. Eine Klarnamenpflicht verbot schon Paragraf 13 Absatz 6 des Telemediengesetzes. Das passt zu weiteren Datenschutzgesetzen.

Datenhändler und -diebe reiben sich die Hände

Sobald die Identifikationspflicht kommt, knallen bei Datendieben die Sektkorken. Denn dann horten Plattformen auf Geheiß der Politik riesige Datensammlungen mit Namen, Anschriften, Geburtsdaten und womöglich Fotos – auf Servern und mit Installationen, denen man nicht unbedingt trauen kann. So könnten echte Adressdaten auch in die Hände von Menschen geraten, die wegen einer Meinungsäußerung „besorgt“ sind und vielleicht unliebsame Besuche planen.

Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Prof. Dr. Ulrich Kelber, äußert sich zwar nicht zum laufenden Gesetzgebungsverfahren, befürchtet aber ebenfalls: „Die Betreiber freuen sich über zusätzliche persönliche Daten, mit denen sie noch genauere Nutzerprofile erstellen können. Im schlimmsten Fall sind beim nächsten Datenleck dann tausende Adressen oder Kopien von Personalausweisen zugänglich.“ Er warnt vor gravierenden Eingriffen in die Grundrechte und fordert: „Wir brauchen ein Sicherheitsgesetz-Moratorium und eine Bestandsaufnahme der Situation. Eine Pflicht zur Identifikation ist der falsche Weg.“ Auch der Geschäftsführer des IT-Branchenverbands Bitkom Bernhard Rohleder kritisiert die Eingriffe in Grundrechte durch die neuen Vorschriften und warnt, dass die Plattformen wohl eher zu viel melden werden als zu wenig.

Mehr Personal statt mehr Gesetze

Einig sind sich die meisten, dass man Kriminalität auch im Internet stärker bekämpfen muss. Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des Richterbundes: „Die sozialen Netzwerke haben es bisher versäumt, Hassbotschaften auf ihren Plattformen wirksamer einzudämmen. Insbesondere haben sie sich vielfach schwergetan, die zur Strafverfolgung erforderlichen Auskünfte zu erteilen.“

Online tun sich aber weitere Lücken auf. Elisabeth Niekrenz von der Digitalen Gesellschaft: „Viele strafbare Postings werden unter Klarnamen veröffentlicht und trotzdem nicht verfolgt. Und viele Betroffene stoßen bei der Anzeigenerstattung auf Unverständnis der Beamten.“ Eine Strafverfolgung wäre aber möglich. Niekrenz: „Daten aus Nutzerkonten, die im Inland gespeichert sind, können bereits jetzt laut Strafprozessordnung beschlagnahmt werden. Zudem bieten frei verfügbare Profilinformationen oft gute Recherchemöglichkeiten.“

Der Deutsche Richterbund rechnet für den Fall des Falles mit einer sechsstelligen Zahl an Meldungen. Sven Rebehn: „Soll die jetzt beschlossene Meldepflicht der Netzwerke für bestimmte Straftaten nicht nur auf dem Papier stehen, braucht es hunderte zusätzliche Staatsanwälte und Richter, mehr Spezialisierung und vereinfachte technische Meldewege zu den Behörden. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in ausreichenden Ressourcen der Strafjustiz. Die Bundesregierung beziffert das Investitionsvolumen der Länder allein für die Justiz auf 24 Millionen Euro pro Jahr, was angesichts erwarteter sechsstelliger Fallzahlen pro Jahr sicher nicht zu hoch gegriffen ist.“  (mil@ct.de)

Auf eine Kleine Anfrage der FDP an die Landesregierung Niedersachsen nach der Zahl der Ermittlungsverfahren zu Hasskriminalität und Drohungen antwortete die Landesregierung in der Drucksache 18/4326.

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