c't 7/2020
S. 30
Aktuell
Julian Assange
Bild: Frank Augstein/AP/dpa

Hinter Glas

Zwischenbilanz und Ausblick: das Verfahren gegen Assange

In London hat die Anhörung zur ­Auslieferung von Julian Assange an die USA begonnen. Die Verteidigung argumentiert mit der aufklärerischen Motivation des Wikileaks-Gründers – und mit Suizidgefahr.

Von Detlef Borchers

Das Gerichtsgebäude Woolwich Court in London ist direkt mit dem Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh verbunden. Auf der Anklagebank, die mit kugelsicherem Glas geschützt in der hintersten Reihe des Raumes liegt, sitzen häufig Terroristen und Gewaltverbrecher. Ende Februar musste hier auch Wikileaks-Gründer Julian Assange Platz nehmen.

In den ersten Anhörungen über seine Auslieferung in die USA führte das zu einer Debatte zwischen seinen Verteidigern und der Richterin Vanessa Baraitser. Sie entscheidet alleine über die Auslieferung des Australiers, der nach seinem sieben Jahre dauernden Ausharren in der ecuadorianischen Botschaft von der Polizei festgenommen wurde und nun in Belmarsh inhaftiert ist.

Der Antrag der Verteidigung, Assange zwischen seinen Anwälten sitzen zu lassen, damit er sich mit ihnen beraten kann, wurde von der Richterin abgelehnt. Sie spendierte Assange lediglich einen Kopfhörer, damit er die Ausführungen besser verstehen kann. Sollte Assange sich mit seinen Anwälten besprechen wollen, werde sie die Verhandlung jeweils unterbrechen, auch wenn die Anhörung dann sechs Wochen dauern könnte.

USA: Assange hat Pressefreiheit verwirkt

Bemerkenswerterweise hatte Kronanwalt James Lewis als Prozess-Bevollmächtigter der US-Regierung keine Einwände gegen den Antrag der Verteidigung. Dafür blieb er in der Sache umso unerbittlicher: Assange müsse ausgeliefert werden, weil Wikileaks mit seinen Veröffentlichungen im Jahre 2010 und 2011 Menschenleben in Gefahr gebracht habe. Damit habe er einen Schutz im Namen der Presse- oder Meinungsfreiheit verwirkt. Beweise für die Behauptung, dass Wikileaks beziehungsweise Assange durch die Veröffentlichung geheimer Depeschen des US-Außenministeriums und der Botschaften oder durch Berichte vom Irakkrieg Menschenleben gefährdet habe, legte er nicht vor. 

Das Auslieferungsabkommen zwischen den USA und Großbritannien, das politisch motivierte Straftaten von einer Auslieferung ausklammert, erklärte Lewis kurzerhand für veraltet und fehlerhaft, weil das britische Parlament diesem von den beiden Regierungen ratifizierten Abkommen nicht zugestimmt habe.

Die Verteidigungslinie

Gegen diese Argumente setzte die Verteidigung ihre Auffassung, dass nicht nur das geltende Auslieferungsabkommen, sondern auch internationale Gesetze wie die Europäische Menschenrechtskonvention und die Statuten von Interpol in Fällen von politisch motivierten Straftaten eine Auslieferung untersagen. Sämtliche Veröffentlichungen von Dokumenten der US-Regierung seien klar politisch motiviert gewesen. Wikileaks habe damit auf Missstände verwiesen, die abgeschafft werden sollten.

Auch hätten Assange und seine Mitarbeiter alle von ihnen veröffentlichten Dokumente geprüft und Namen von Personen gegebenenfalls gelöscht. Für den Vorfall im Jahre 2011, als unzensierte US-Depeschen weitergegeben wurden, machte Verteidiger Edward Fitzgerald britische Journalisten verantwortlich, die das Passwort der verschlüsselten Depeschen-Datei in einem Buch veröffentlicht hatten.

Ob die Richterin diesen Argumenten folgen wird, lässt sich bislang nicht abschätzen. Ein Ausblick auf die nächsten Verhandlungstage im Mai oder Juni ist jedoch möglich, denn Assanges Anwälte haben eine Zusammenfassung ihrer Position veröffentlicht.

Das Argument Selbstmordgefahr

Gemäß dieser Schrift soll noch ein weiteres Argument in die Verhandlung eingeführt werden: die gebrechliche Gesundheit von Assange und die Suizid­gefahr, sollte es zu einer Auslieferung kommen.

Bei einer Gefahr für Leib und Leben haben britische Gerichte und Ministerien in der Vergangenheit die Auslieferung untersagt. Die Präzedenzfälle waren der Hacker Gary MacKinnon und der Aktivist Laurie Love. MacKinnon brach in NSA-­Rechner ein und veröffentlichte Dokumente des Geheimdienstes, während Love Mitglied des Hackerkollektivs „Ano­nymous“ war, das nach US-Angaben „tausende“ von Regierungsrechnern und -Datenbanken durchsuchte. Beide mussten allerdings jahrelang und über mehrere Instanzen gegen ihre Auslieferung kämpfen.

Gegen die Entscheidung von Richterin Vanessa Baraitser kann in zwei Instanzen vor britischen Gerichten Einspruch erhoben werden. Dann könnte auch verhandelt werden, ob Assange weiter in Auslieferungshaft bleiben muss. Die Anwälte von Assange ließen durchblicken, dass sie zudem erwägen, den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen. 

Die fortdauernde Inhaftierung nach Ablauf seiner Haftstrafe bezeichnen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Journalistenverbände wie Reporter ohne Grenzen als Skandal. Zuletzt haben eine Reihe von Prominenten die Freilassung von Assange gefordert, unter ihnen der ehemalige deutsche Außenminister Sigmar Gabriel und der Journalist Günter Wallraff. (cwo@ct.de)

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