c't 12/2021
S. 12
Aktuell
Online-Handel

Ende der ­China-Schnäppchen?

Die EU verschärft die Regeln im internationalen Online-Handel

Ab Juli gelten neue Regeln für den Online-Einkauf in Nicht-­­EU-Ländern: Der Großteil der China-Päckchen wird steuerpflichtig und die Händler ­müssen europäische Vertreter benennen. Für die Kunden wird es deshalb spürbar teurer – ­Verbraucherschützer fordern ­allerdings noch strengere ­Regeln.

Von Christian Wölbert

Auf Amazons Online-Marktplätzen in Spanien, Frankreich und Italien ist es schon so weit: Dort stellen Händler mit Sitz in China bereits mehr als die Hälfte der 10.000 größten Verkäufer, wie aus Daten der New Yorker Marktforschungsfirma Marketplace Pulse hervorgeht. Aber auch auf Amazon.de dürften die ­chinesischen Händler bald die Mehrheit stellen. Ihr Anteil liegt laut den Daten aktuell bei 40 Prozent – 2016 waren es erst 10 Prozent.

Ein Grund für den Durchmarsch der chinesischen Händler ist die Tatsache, dass sie über Plattformen wie Amazon oder AliExpress europäische Kunden direkt beliefern, ohne Zwischenhändler, die mitverdienen wollen. Allerdings sind viele Anbieter auch deshalb so günstig, weil sie bei der Steuer tricksen und die Produktsicherheit vernachlässigen, wie Stichproben – auch von c’t – in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt haben.

Amazon-Logistikzentrum in Leipzig: Die neue Marktüberwachungsverordnung der EU trifft auch den Versand­riesen.
Bild: Amazon

Eine der jüngeren Untersuchungen stammt von der dänischen Handelskammer. Diese bestellte im vergangenen Jahr über Amazon, AliExpress und Wish 54 Produkte in China – vor allem Spielzeug und Elektronik. Von den 50 Produkten, die tatsächlich in Dänemark ankamen, verstießen 46 gegen EU-Sicherheitsregeln. In 16 Fällen wäre eigentlich Einfuhr­umsatzsteuer fällig gewesen, sie wurde aber in keinem einzigen Fall gezahlt, weil die Verkäufer bei der Angabe des Warenwerts gemogelt hatten (siehe ct.de/ya9h).

Sieben Milliarden Euro Mehreinnahmen?

Mit dem unfairen Wettbewerb soll bald Schluss sein: Anfang Juli treten neue EU-Steuerregeln für Bestellungen bei außereuropäischen Online-Händlern in Kraft. Wichtigste Änderung ist der Wegfall der bisherigen Freigrenze von 22 Euro für Direktimporte. Dadurch wird auf alle Päckchen 19 Prozent Einfuhrumsatz­steuer fällig. Weil Abgaben unterhalb von 1 Euro nicht erhoben werden, liegt die neue Freigrenze faktisch bei 5,23 Euro. Außerdem müssen die Händler künftig für alle Sendungen eine Zollerklärung ausfüllen.

Die EU-Kommission verspricht sich viel von den Maßnahmen. Die Steuerreform schaffe „einen fairen Wettbewerb zwischen europäischen und ausländischen E-Commerce-Marktteilnehmern“, schreibt die Brüsseler Behörde in einer Broschüre. Sie rechnet mit zusätzlichen Steuereinnahmen in Höhe von sieben Milliarden Euro pro Jahr.

Anders formuliert: Für Verbraucher wird das China-Shopping in vielen Fällen um die 19 Prozent Steuer teurer. Je nach Vorgehen des Händlers müssen die Empfänger außerdem noch eine Bearbeitungsgebühr des Postdienstleisters zahlen. Da lohnt sich die Bestellung von Kleinkram wie Ladegeräten oder Bastelplatinen in China kaum noch (siehe Kasten).

All das gilt nur, wenn das Päckchen direkt aus China kommt. Das ist vor allem bei Ultrabillig-Plattformen wie AliExpress oder Wish der Fall. Auf Amazon.de findet man auch viele chinesische Anbieter, die ihre Ware paletten- oder containerweise nach Europa schaffen und bei Amazon in Europa zwischenlagern.

Schlupflöcher für Steuerhinterziehung bleiben in beiden Fällen offen. Sowohl bei Kleinsendungen als auch beim Containerexport können Händler durch die Angabe falscher Warenwerte die Steuerlast reduzieren. Und bei den Klein­sendungen bleibt die Chance, weiterhin komplett steuerfrei durchzukommen – wenn ein Warenwert von 5,23 Euro oder weniger angegeben wird.

Eine Million Päckchen am Tag

Stichproben wie die der dänischen Handelskammer lassen erwarten, dass die Verkäufer auch nach Juli weiter tricksen. Denn ein Problem bleibt unverändert: Der Zoll kann angesichts der gigantischen Mengen nur einen Bruchteil der Sendungen kontrollieren. Allein am Flughafen Lüttich kamen 2019 rund 350 Millionen Päckchen an, also etwa eine Million pro Tag. In der belgischen Stadt baut Alibaba einen Brückenkopf auf, der Großteil der AliExpress-Päckchen kommt hier an.

Experten erwarten dennoch spürbare Auswirkungen der neuen Steuerregeln. „Bei extrem billigen Produkten wird sich der Einkauf in China weniger lohnen“, sagt Linn Selle, Expertin für Online-Handel beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Das liege nicht nur am Wegfall der 22-Euro-Grenze, sondern auch an der Pflicht, eine Zolldeklaration abzugeben. „Das bedeutet für die Händler zusätz­lichen Aufwand und vereinfacht Zollkontrollen“, erklärt sie im Gespräch mit c’t.

Linn Selle vom Bundesverband der ­Verbraucherzentralen fordert die Politik auf, Online-Plattformen auch für ­Schäden durch gefährliche Produkte haftbar zu machen – wenn sonst ­niemand in der EU verantwortlich ­gemacht werden kann.
Bild: Gert Baumbach, vzbv.de

Ähnliche Erwartungen hat die Deutsche Post: „Wir gehen tendenziell von einem Rückgang der Menge im Bereich Kleinstsendungen aus, zum Beispiel Handy­hüllen“, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Große Versender könnten deshalb verstärkt Lager in der EU einrichten und die Produkte containerweise in die EU importieren.

Außer dem Wegfall der 22-Euro-­Regel erschwert ein im Weltpostverein ausgehandelter Vertrag das Geschäft der Direktversender: Seit 2020 dürfen Postdienstleister in Industrieländern ihre Transportentgelte für Päckchen aus China schrittweise anheben.

Amazon als Vertreter in der EU

Eine weitere Neuerung trifft Direktversender und Händler mit EU-Zwischenlager gleichermaßen. Am 16. Juli, nur zwei Wochen nach der Steuerreform, tritt eine neue EU-Marktüberwachungsverordnung in Kraft. Sie zwingt alle außereuropä­ischen Anbieter, eine „verantwortliche Person“ innerhalb der EU zu benennen und deren Namen und Anschrift auf ihren Produkten oder der Verpackung zu nennen.

Allzu hoch ist die Hürde für Händler nicht: Sie können zwischen zahlreichen Dienstleistern wählen, die sich als „verantwortliche Person“ bereitstellen. Amazon bietet seinen Händlern ebenfalls einen solchen Service an, gegen eine Pauschale von gerade mal 25 Euro pro Monat. Denn auch der Aufwand für die Vertreter ist überschaubar. Sie müssen lediglich Anfragen von Marktüberwachern beantworten und Konformitätsdokumente bereithalten. Dabei handelt es sich in der Regel nur um Papiere, in denen der Hersteller sich selbst bescheinigt, dass das Produkt alle EU-Regeln einhält. Ein Widerrufsrecht nach EU-Standard besteht hierdurch für die Kundschaft nicht.

Verbraucherschützerin Selle glaubt deshalb nicht, dass die Verordnung dazu führt, dass Chinaprodukte plötzlich sicherer werden. „Wir sind zum jetzigen Zeitpunkt eher skeptisch“, sagt sie. Denn Händler, die sich nicht an die Regeln halten und außerhalb der EU sitzen, können weiterhin nicht bestraft werden. Auch die „verantwortlichen Personen“ müssen nicht für Schäden durch die Produkte ­haften.

Aus Selles Sicht ist die Verordnung trotzdem „ein guter erster Schritt“. Denn das Gesetz nimmt erstmals explizit „Fulfillment-Dienstleister“ wie Amazon in die Pflicht. Sie müssen die Rolle als Vertreter künftig automatisch übernehmen, wenn Händler ansonsten niemanden beauftragen. Händler, die keinen Vertreter benennen, dürften deshalb zumindest mit Amazon schnell Ärger bekommen. Produkte von Händlern, die sich nicht an die Regeln halten, könnten ab dem 16. Juli „entfernt werden“, erklärte ein Sprecher des Konzerns auf Anfrage.

Den Plattform-Hebel sollte die EU-­Kommission noch stärker nutzen, fordert Selle: Neben Fulfillment-Dienstleistern müssten künftig auch reine Online-Plattformen wie Wish oder Ebay herangezogen werden, „wenn man sonst keinen Ansprechpartner in der EU hat“. Darüber hinaus verlangt der VZBV, dass die Plattformen haften müssen, wenn unsichere Produkte tatsächlich einmal einen Schaden verursachen und ansonsten niemand greifbar ist. Selle ist davon überzeugt, dass die Plattformen dann die Händler strenger kontrollieren und die Produkte tatsächlich sicherer werden. „Es muss sich etwas an der Wurzel ändern, und das sind die Plattformen.“

Dass der Umweg über die Plattformen sich lohnt, zeigt auch eine Maßnahme der Bundesregierung. Sie hatte 2019 festgelegt, dass Amazon & Co. für Steuerausfälle haften müssen, wenn sie ausländische Händler ohne gültige Steuernummer zulassen. Seitdem melden sich wöchentlich rund 1000 neue Online-Händler aus China bei dem für sie zuständigen Finanzamt Berlin-Neukölln an. Ende 2020 waren fast 50.000 Händler dort registriert – 2017 waren es erst 432. (cwo@ct.de)

Studie der dänischen Handelskammer: ct.de/ya9h

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