c't 12/2021
S. 28
Aktuell
Social-Network-Apps

Das gesprochene Wort zählt

Clubhouse und der Social-Audio-Hype

Der Erfolg von Clubhouse hat viele große Internetfirmen auf den Plan gerufen. Von Facebook bis Spotify arbeiten alle an ­sozialen Netzwerken auf Basis von Live-Gesprächen.

Von Jo Bager

Clubhouse hat mit seinen Live-Rederäumen (mit seiner iOS-App) Anfang des Jahres einen plötzlichen Hype ausgelöst. Das hat eine Reihe von Gründen, etwa die Themenvielfalt und das Format der Gespräche. Jeder kann bei Clubhouse in einem Verzeichnis Diskussionsräume zu Themen suchen, die ihn interessieren – oder selber einen Raum aufmachen: eine Art 24-Stunden-Barcamp.

In den Räumen diskutiert jeweils eine kleine Gruppe von Teilnehmern, der Rest lauscht. Zuhörer können sich zu Wort melden, die Moderatoren ihnen das Wort ­erteilen. Dieses Format wird gerne mit Live-Podcasts verglichen. Viele Menschen mögen solche „virtuellen Lagerfeuer“, die ein Gefühl der Nähe suggerieren, ohne völlige Aufmerksamkeit zu erfordern.

Die Pandemie hatte aber wohl auch zum Erfolg beigetragen: Clubhouse gibt insbesondere extrovertierten (und der Videokonferenzen mit Zoom müden) Menschen eine Bühne. Vor allem unter Marketingleuten war Clubhouse zunächst beliebt, später kamen Journalisten, Twitterer und Politiker hinzu. Und dann war da noch die Sache mit der Verknappung: Rein kam man nur mit Einladung, was offenbar eine Zeit lang die Neugier anfachte.

Überall Social Audio

Der Hype um Clubhouse hat in kurzer Zeit viele Konkurrenten auf den Plan gerufen, die an ähnlichen Angeboten schrauben. Von den Social-Media-Plattformen Facebook und LinkedIn gibt es derzeit nur Ankündigungen. Facebook will im Rahmen einer allgemeinen Audiostrategie Podcasts, Soundbites – kurze, kreative Audioclips – sowie „Live-Audio-Räume“ unterstützen. Die Plattform will diese Räume „zunächst in Gruppen und für Personen des öffentlichen Lebens“ testen und ihnen von Anfang an Möglichkeiten bieten, ihre Inhalte zu monetarisieren. Auch von der Microsoft-Tochter LinkedIn gab es bis ­Redaktionsschluss nicht viel mehr als ein paar Mockups der Bedienoberfläche.

Spotify hat den Betreiber der App ­Locker Room gekauft, derzeit ein Audio-­Netzwerk rund um Sport. Das Streaming-­Unternehmen plant, das Themenspektrum der App zu erweitern und will sie möglicherweise auch umbenennen. Reddit testet seine Plattform namens Talk im Beta­betrieb. Wer sie ausprobieren will, muss sich derzeit auf eine Warteliste setzen lassen. Einen Talk starten können zunächst nur Personen, die bei Reddit Moderatoren-­Status haben. Discord nennt seine Live-Audio-Funktion „Stage Channels“. Auch hier gilt, dass nicht jeder Discord-Nutzer einen solchen Channel eröffnen kann, sondern nur Betreiber eines Community-Servers.

Als wichtigster Konkurrent für Clubhouse wird derzeit Twitter gehandelt. Das liegt unter anderem daran, dass der Kurznachrichtendienst an seine große Nutzergemeinde anknüpfen kann. Seit Anfang Mai testet Twitter seine sogenannten Spaces im Betabetrieb. Nur, wer 600 Follower aufweisen kann, darf einen Space eröffnen. Viele Funktionen von Clubhouse fehlen noch, etwa die Option, Gespräche mit mehreren Moderatoren zu führen. Vor allem aber betreibt Twitter kein zentrales Verzeichnis der Spaces. So erfährt man ohne eine gezielte Suche nach Neuem nur von Spaces anderer Twitterer, denen man bereits folgt.

Die Live-Rederunden von Clubhouse könnten stilbildend für einen neuen Typ von Funktionen auf diversen Plattformen wirken.

Quatschen als Standard-Feature

Es dauerte nur ein paar Wochen nach dem Hype, bis die ersten Stimmen einen Abgesang auf Clubhouse anstimmten. Nach einer im Januar und Februar durchgeführten Umfrage des Meinungsforschungs­unternehmens Civey hatten weniger als vier Prozent der Deutschen jemals die neue Plattform genutzt, viele kannten sie nicht einmal. Also alles viel Wind um nichts?

Dafür entstehen zu schnell zu viele Nachahmer. Social Audio scheint gut in die Zeit zu passen, sonst würde sich nicht ein halbes Dutzend großer Player auf das neue Format stürzen. Es spricht viel dafür, dass Live-Laberräume eine ganz normale Funktion bei vielen Diensten und Plattformen werden könnten, denn Nutzer, die zum Quatschen kommen, bleiben. Und das ist pures Gold in der Aufmerksamkeitsökonomie. Für Clubhouse wäre das allerdings keine gute Entwicklung. Denn wenn man erst einmal überall quatschen kann: Wer geht dazu dann noch ins Clubhouse? (jo@ct.de)

Links zu den Diensten: ct.de/y7nh

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