c't 18/2021
S. 46
Aktuell
Bitcoin-Hashrate halbiert

Ausgeschürft

China schaltet zahlreiche Mining-Farmen ab

China bekämpft den Bitcoin: Binnen weniger Wochen wurden riesige Mining-Farmen abgeschaltet, Anfang Juli war nicht einmal die Hälfte der Miner weltweit noch in Betrieb. Eine gute Nachricht für die Umwelt, sank doch so auch der Stromverbrauch um mehr als die Hälfte. Doch was bedeutet die Halbierung des Mining-Netzwerks für die Kryptowährung?

Von Mirko Dölle

China macht Ernst: Nach mehrmaliger Ankündigung der Regierung, Bitcoin und Mining-Aktivitäten nicht länger dulden zu wollen, wurde zwischen Mai und Juli etlichen Mining-Farmen der Strom abgedreht. Innerhalb von nur sieben Wochen schrumpfte die Hash-Leistung des Bitcoin-Netzwerks um mehr als die Hälfte, von rund 180 EH/s (Exa-Hashes pro Sekunde) am 14. Mai auf unter 85 EH/s am 4. Juli 2021.

Die Abschaltung von über 50 Prozent aller Miner einer Kryptowährung, die anfällig für eine 51-Prozent-Attacke ist, klingt bedrohlich. Tatsächlich bestand diese Bedrohung über Jahre hinweg; seit geraumer Zeit standen weit mehr als die Hälfte der weltweiten Miner in China, Mitte 2020 waren es laut der jüngsten Studie von Statista gut zwei von drei Minern des Bitcoin-Netzwerks. Das ist mehr als genug, um sowohl kurzfristig als auch dauerhaft die Bitcoin-Blockchain und damit die Kryptowährung zu kontrollieren.

Faktisch genügt bereits die Kontrolle über etwas mehr als 50 Prozent der weltweiten Hash-Leistung für einen sogenannten 51-Prozent-Angriff. Dabei nutzt ein Angreifer aus, dass es sich bei der Bitcoin-Blockchain um eine lediglich rückwärts verkettete Liste handelt, man also anhand der Blockchain nicht feststellen kann, ob es nicht bereits neuere Blöcke mit Transaktionen gibt, die man noch nicht kennt. Deshalb verteilt ein Miner einen neu gefundenen Block möglichst schnell an die Bitcoin-Nodes, die ihn weltweit an andere Nodes, Miner und natürlich die Bitcoin-Clients der Nutzer verteilen.

Paralleluniversen

Bis ein neuer Block über das Bitcoin-Netzwerk propagiert wurde, dauert es einige Sekunden bis Minuten – in der ein anderer Miner einen konkurrierenden Block erzeugen und seinerseits propagieren kann. Dann gibt es zwei unterschiedliche, aber jeweils gültige Versionen der Blockchain, es ist ein sogenannter Fork entstanden. Bitcoin-Erfinder Satoshi Nakamoto hat dieses Problem vorhergesehen und deshalb festgelegt, dass stets nur die längste Blockchain gilt. Es kommt also darauf an, für welche Variante die nächsten Blöcke erzeugt wurden – irgendwann ist eine Blockchain länger und die andere Variante wird verworfen.

Damit es nicht zu häufig zu solchen Forks kommt und Miner schneller neue Blöcke finden, als sie im Bitcoin-Netzwerk propagiert werden können, wird die sogenannte Difficulty (Schwierigkeitsgrad) alle zwei Wochen (genauer: alle 2016 Blöcke) so angepasst, dass es im Durchschnitt zehn Minuten dauert, bis der erste Miner einen neuen Block zusammengestellt hat.

Um die Bitcoin-Blockchain zu kontrollieren, benötigt ein Angreifer so viel Rechenleistung, dass er schneller neue Blöcke erzeugen kann als der Rest der Welt – also mehr als 50 Prozent der im Bitcoin-Netzwerk verfügbaren Rechenleistung. Damit kann man dann etwa den Handel mit der Kryptowährung blockieren, womit sie wertlos wird, indem man lediglich leere Blöcke ohne Transaktionen erzeugt. Oder man arbeitet an einer Variante der Blockchain, die einen größeren Verkauf von Bitcoins ungeschehen macht – womit man anschließend sowohl den Verkaufserlös als auch die Bitcoins besitzt.

Unangreifbar?

Bei Bitcoin sind 51-Prozent-Attacken eigentlich ausgeschlossen: Bei einer Hash-Rate von 100 EH/s wie Anfang August 2021 müsste ein Angreifer rund eine Million der modernsten Bitcoin-Miner kaufen. Das ist nicht nur ein finanzielles Problem, es übersteigt auch die jährliche Fertigungskapazität des weltweit größten Miner-Herstellers. Außerdem benötigt man für den Betrieb über drei Gigawatt elektrischer Leistung – etwa so viel, wie die beiden größten Kernkraftwerke der Welt zusammen liefern können. Die Mining-Farmen müssen auch aufwendig gekühlt werden, sonst erreichen sie nicht die nötigen hohen Hash-Raten, auch dafür wird viel Energie benötigt. Eine solch riesige Farm nebst Infrastruktur lässt sich nicht einfach aus dem Hut zaubern.

In China war diese Infrastruktur bereits vorhanden und in Betrieb. Hätte die Regierung die Mining-Farmen ab Mitte Mai nicht abgeschaltet und vertrieben, sondern unter ihre Kontrolle gebracht und weiter laufen lassen, hätte sie die Bitcoin-Blockchain übernehmen können – zusammen mit den restlichen im Land befindlichen Minern sogar dauerhaft.

Da eine Vielzahl von Mining-Pools und -Farmbetreibern von den Abschaltungen betroffen ist und es auch große Farmen außerhalb Chinas gibt, hat sich die Hash-Leistung nicht bei einem einzelnen Pool oder Mining-Farmbetreiber konzentriert. Die Abbildung rechts zeigt die Aufteilung der Hash-Leistung auf die verschiedenen Farmbetreiber im Zeitraum Anfang Mai bis Mitte Juli 2021: Abgesehen von den kleinen Mining-Pools BTC.top und Huobi.pool (orange) sind die fünf größten Pools und Betreiber (blau) weiterhin signifikant vertreten. Durch die verminderte Hash-Leistung im Bitcoin-Netzwerk stieg aber die Bedeutung der sonstigen und nicht identifizierten Miner (grün).

Für die Besitzer von Bitcoins hatte die Halbierung der Hash-Leistung nur geringe Auswirkungen: Zwar sank der Bitcoin-Kurs in der Woche nach dem 14. Mai von rund 50.000 US-Dollar auf unter 40.000 US-Dollar, blieb dann aber bis Mitte Juli relativ konstant. Der große Einbruch bei der Hash-Leistung kam erst Anfang Juni, sie sank von rund 140 EH/s auf gut 85 EH/s – worauf der Bitcoin-Kurs kaum mehr reagierte.

Die übrigen Auswirkungen der massenhaften Miner-Abschaltung sind eher positiver Natur: Wenn nur nicht mal mehr die Hälfte der Miner in Betrieb ist, sinkt auch der Stromverbrauch der Kryptowährung um etwa die Hälfte und es entstehen nur noch etwa halb so viele Treibhausgase.

Aufbruchstimmung

Die verbliebenen Miner-Betreiber dürfen sich darüber freuen, dass ihre Hardware aufgrund der niedrigeren Difficulty nicht mehr so schnell veraltet. Neue Konkurrenz müssen sie auch nicht fürchten, denn der größte Hersteller von Bitcoin-Minern, Bitmain aus China, hat Mitte Juni den Verkauf neuer Mining-Hardware bis auf Weiteres eingestellt. Das geschah nicht ganz uneigennützig, zuvor waren die Preise um fast drei Viertel gefallen, da es zu einer regelrechten Schwemme an zum Teil neuwertiger Hardware auf dem Gebrauchtmarkt kam.

Die außer Betrieb genommenen Miner werden also keineswegs entsorgt und somit dauerhaft stillgelegt, sondern wechseln lediglich den Besitzer und den Standort. Der Einbruch der Hash-Rate dürfte also nur von kurzer Dauer sein. Bis Anfang August stieg sie bereits auf gut 100 EH/s an.

Auf der Suche nach neuen billigen Stromquellen dürfte es etliche Miner ins Ausland verschlagen. Etwa in die USA, wo erst jüngst ein zuvor stillgelegtes Gaskraftwerk für die Versorgung einer Mining-Farm wieder in Betrieb genommen wurde. In Südamerika hat man sogar schon Erfahrung mit Recycling-Projekten: In Paraguay etwa schürft man schon seit 2018 mit ausgedienter chinesischer Mining-Hardware in der Nähe des Itaipú-Damms, der billige Strom stammt aus Überkapazitäten des drittgrößten Wasserkraftwerks der Welt. Auch El Salvador, wo Bitcoin zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt wurde und Strom künftig weitestgehend emissionsfrei aus Vulkanen gewonnen werden soll, dürfte als neuer Standort für vormals chinesische Mining-Farmen interessant sein.

Durch die Vertreibung aus dem eigenen Land sollte die chinesische Regierung zukünftig nicht mehr in der Lage sein, einen Großteil des Bitcoin-Mining-Netzwerks etwa per Beschlagnahme unter ihre Kontrolle zu bringen. Das hilft dem Bitcoin: Die Kryptowährung wird so noch unabhängiger und unkontrollierbarer – ganz im Sinne von Satoshi Nakamoto. (mid@ct.de)

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