c't 23/2021
S. 50
Aktuell
Gesundheitswesen

2022 aber wirklich!

Digitalisierung im Gesundheitswesen verzögert sich weiter

In der telematischen Infrastruktur des Gesundheitswesens (TI) knirscht es weiterhin. Doch obwohl kein Teilprojekt bisher rund läuft, drücken die Verantwortlichen aufs Tempo – und wollen die derzeit genutzte Technik in vier Jahren schon wieder einmotten.

Von Detlef Borchers

Die Projektgesellschaft Gematik hat die bundesweite Einführungsphase für das elektronische Rezept kurzfristig um ein Vierteljahr verschoben. Auch die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU), die ausgewählte Arztpraxen ab Oktober ausgeben sollten, kommt erst zum Januar 2022. Außerdem gibt es im Livebetrieb Schwierigkeiten, die Kommunikation zwischen Ärzten mit KIM („Kommunikation in der Medizin“) in die Praxisverwaltungssysteme zu integrieren; auch ist der von der Gematik selbst betriebene Verzeichnisdienst der KIM-Adressen noch unvollständig. Dennoch gibt es keine Anzeichen, dass die Beteiligten vom jeweiligen Stichtag 3. Januar 2022 abrücken.

Während die E-Rezept-App einen passablen Eindruck macht, gibt es mit der Technik dahinter noch Schwierigkeiten.
Bild: Gematik GmbH

Am 30. September teilte die Gematik mit, das sich die Ausgabe von E-Rezepten in der Modellregion Berlin-Brandenburg verzögere. Einen Tag später sollte eigentlich die Testphase 2 anlaufen. Dieser „Volltest“ werde nun zum 1. Dezember beginnen. So wäre formal die Bedingung erfüllt, dass das E-Rezept zum bundesweiten Start „getestet“ ist: „Je nach technischer Ausstattung werden Praxen und Apotheken bald bundesweit in der Lage sein, E-Rezepte auszustellen bzw. einzulösen. An der verpflichtenden Einführung des E-Rezepts zum 1. Januar 2022 ändert sich nichts“, so die Gematik. Ihr zufolge fehlten noch Updates in den Praxis- und Apothekenverwaltungssystemen, die erst mit dem Quartalsbeginn Anfang Oktober bereitgestellt würden. Außerdem haben laut Gematik viele Versicherte die erforderliche elektronische Gesundheitskarte der neuesten Generation noch nicht erhalten. Aus der Branche heißt es allerdings auch, dass es im bisherigen Testlauf massive technische Probleme gegeben habe.

Hardware und Akzeptanz fehlen

An Karten fehlt es auch bei der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Während Ärzte das E-Rezept auch mit der „Institutionskarte“ (SMB-C) ihrer Praxis signieren können, benötigen sie für die eAU ihren eigenen elektronischen Heilberufsausweis (eHBA). Nach Angaben der Bundesärztekammer besitzen derzeit aber nur 60 Prozent der Ärzte einen solchen Ausweis; bis zum Januar sollen es 70 Prozent sein. Dabei ist noch ein anderer Engpass zu überwinden: Von den rund relevanten 115.000 Arztpraxen und Kliniken haben nicht alle eine KIM-Adresse, über die sie die eAU an die Kassen übermitteln sollen. Bis auf Weiteres erhalten die Kassen die gedruckte Version; bei den Durchschlägen für Versicherte und Arbeitgeber soll die eAU ohnehin später starten.

KIM selbst läuft ebenfalls zögerlich an: Nach Angaben der Gematik haben Ärzte und andere medizinische Einrichtungen vom Start am 1. August bis zum 12. Oktober 180.000 KIM-Mails verschickt und dabei 23.827 Arztbriefe ausgetauscht. Zum Vergleich: Jährlich werden nach Berechnungen der Bundesärztekammer rund 144 Millionen Arztbriefe verschickt. Ein klarer Fingerzeig, dass noch viel zu wenige Praxisverwaltungssysteme KIM integriert haben.

Langsam geht es auch auf der dritten Großbaustelle zu, der elektronischen Patientenakte der Versicherten (ePA). Sie soll vom Arzt und der Krankenkasse mit Daten befüllt werden; der Versicherte kann sie über eine Smartphone-App einsehen. Nach Angaben des Gesamtverbandes der gesetzlichen Krankenkassen haben aktuell aber erst 0,2 Prozent der Versicherten eine elektronische Patientenakte. Dabei steht sie bereits seit dem 1. Januar 2021 zur Verfügung. Jedoch fehlt es an Aufklärung, was eine ePA ist und was sie ab 2022 leisten soll; zudem hängt auch sie an den weiter raren neuesten elektronischen Gesundheitskarten.

Das alles hindert die Gematik nicht daran, an ihren ehrgeizigen Zielen festzuhalten. Am 29. September beschloss ihre Gesellschafterversammlung mit der Mehrheit des noch von der CDU geführten Gesundheitsministeriums, bis 2025 die telematische Infrastruktur Version 2.0 einzuführen. Sie soll elektronische Identitäten ohne Smartcards sowie die Abkehr von der speziellen VPN-Hardware (Konnektor) bringen – angesichts der aktuell noch zu lösenden Probleme und nur mäßigen Akzeptanz zumindest ein ambitioniertes Unterfangen. (mon@ct.de)

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