c't 8/2021
S. 124
Test & Beratung
Therapeutische Apps
Bild: Thorsten Hübner

Die digitale Couch

Apps und Web-Dienste zur Begleitung einer Psychotherapie

Lange war der Bedarf nach ­Psychotherapie nicht so groß wie zu Zeiten des Lockdowns. Mehr Menschen als je zuvor ­suchen einen Therapieplatz. Gleichzeitig ist das Angebot durch die Schutzmaßnahmen eingeschränkt, sodass die ­Wartezeiten steigen. Verschreibungspflichtige Mobil- und ­Web-Apps können diese Zeit über­brücken oder eine Therapie ­ergänzen. ­

Von André Kramer

Aktuell leiden rund 20 Millionen Menschen in Deutschland unter einer psychischen Erkrankung. Die Zahl der Menschen, die eine Psychotherapie in Anspruch nehmen, wächst: Laut Arztreport 2018 hat die Diagnose Depression seit 2005 um 76 Prozent zugenommen. Versichertendaten der Barmer zeigen, dass bei 26 Prozent der jungen Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren mindestens eine gesicherte Diagnose einer psychischen Störung vorliegt. Bei einem Großteil handelt es sich dabei zu gleichen Teilen um Anpassungsstörungen, also ­Reaktionen auf schwere Belastungen, und depressive Episoden. Angststörungen spie­­len eine etwas geringere, aber ebenfalls signifikante Rolle.

Hilfe zu finden kann sich aber schwierig gestalten. In Großstädten fehlen laut einer Studie der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) etwa 7000 Behandlungsplätze. In ländlichen Regionen müssen Patienten zuweilen lange Wege in Kauf nehmen. Jeder zweite an Depression Erkrankte hat im ersten Lockdown massive Einschränkungen in der Behandlung seiner Erkrankung erlebt, hat das „Deutschland-Barometer Depression“ der Stiftung Deutsche Depressionshilfe im November 2020 herausgefunden. Den Lockdown, insbesondere fehlende Tagesstruktur und häusliche Isolation, haben Betroffene im Vergleich zur Gesamtbevölkerung als deutlich belastender erlebt. Die Belastung hielt auch Wochen nach Ende der Maßnahmen an.

Dass immer mehr Menschen therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, ist durchaus ein positives Signal. Es zeigt nicht zwingend, dass psychische Erkrankungen häufiger geworden sind, aber dass sie mittlerweile ernster genommen werden als noch eine Generation früher. In der Regel muss man vor Antritt einer Psychotherapie allerdings drei bis sechs Monate warten. Laut der erwähnten Studie der BPtK lag die Wartezeit 2018 im Schnitt bei 19,9 Wochen, wobei es auf dem Land wiederum länger dauert als in Großstädten. Aktuell sehe es durch die Coronamaßnahmen für Therapiesuchende düster aus, da sich der Bedarf verdreifacht habe. Um der Versorgungslücke entgegenzuwirken, erhielten Ärzte und Psychotherapeuten im Frühjahr 2020 die Möglichkeit, Videosprechstunden oder telefonische Behandlungen bei den Krankenkassen abzurechnen. Trotz solcher Alternativen reicht das Angebot aber nicht aus. Die Gefahr dabei: Bis ein Therapieplatz zur Verfügung steht, können sich die Symptome verschlechtert haben.

Die Apps und Web-Dienste Deprexis, HelloBetter, iFightDepression, Invirto, Moodgym, SelfApy und Somnio eignen sich dazu, diese Wartezeit zu überbrücken oder eine Therapie zu unterstützen. Alle genannten Produkte basieren auf kognitiver Verhaltenstherapie. Der Ansatz eignet sich für Web-Apps, weil er auf eigenverantwortliche Übungen beim Ändern von Denkmustern und Ausprobieren vom Gelernten im Alltag setzt. Die Wirksamkeit aller beschriebenen Apps ist in wissenschaftlichen Studien belegt. Eine Psychotherapie ersetzen können sie allerdings nicht, und auch für schwere Erkrankungen wie Psychosen, Suchterkrankung und Traumafolgestörung sind die vorgestellten Produkte nicht vorgesehen und nicht geeignet.

Eine sinnvolle Ergänzung zur Therapie können sogenannte Moodtracker sein, Mobil-Apps, die täglich die Stimmung ­abfragen und Kurztagebücher anbieten (siehe Artikel im Anschluss). Auch sie sind zur unbegleiteten Selbsttherapie aber nicht zu empfehlen.

Wer unter psychischen Beschwerden leidet, sollte in jedem Fall einen Psychotherapeuten aufsuchen. In akuten Fällen steht die kostenlose Telefonseelsorge unter 0800-1110111 und 0800-1110222 für Gespräche bereit.

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