c't 5/2022
S. 38
Aktuell
Online-Werbeprofile

Themenplanung

Googles Modell für Online-Werbung

Wie soll Chrome zukünftig zwecks zielgerichteten Marketings Informationen über die Interessen seiner Nutzer sammeln, ohne zu viel ihrer Privatsphäre preiszugeben? Googles neuester Vorschlag nennt sich Topics.

Von Torsten Kleinz

Google hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Onlinewerbung neu zu erfinden. Googles Meinung hat Gewicht, denn das Unternehmen bringt Chrome heraus, den meistgenutzten Browser der Welt. Ende Januar hat der Konzern „Topics“ vorgestellt: Chrome soll automatisch erfassen, welche Websites ein Nutzer besucht, und ihm bestimmte Interessen zuordnen. Wer etwa täglich auf Sportschau.de surft, ist ein Sportfan; wer hingegen die Website der New York Times aufsucht, ist vermutlich an Politik interessiert.

Aus diesen Infoschnipseln fügt der Browser ein Interessenprofil zusammen, das Werbetreibende über ein API anzapfen können, um Anzeigen gezielt auszuspielen. Topics soll einerseits die Bedürfnisse der Werbeindustrie bedienen, die in weiten Teilen vom zielgerichteten Marketing lebt. Zugleich soll der Vorschlag die Privatsphäre der Surfer besser schützen als das heute übliche Nutzertracking mit Third Party Cookies.

Topics ist nicht der erste Entwurf für einen Cookie-Ersatz. Mit der Vorstellung von Topics zieht Google einen Schlussstrich unter seinen kontroversen Vorschlag namens Federated Learning of Cohorts (FLoC) – der ebenfalls als Kompromiss gedacht war. Statt Interessen zu sammeln, sollte der Browser über ein komplexes System Nutzer bestimmten Kohorten zuordnen, die dann von der Werbebranche adressiert worden wären.

Dieses System stieß von allen Seiten auf Kritik. Die Wettbewerber befürchteten, dass Google den wahren Datenschatz aus dem Browser für sich behalten und alle anderen mit sehr viel vageren Informationen abspeisen wolle.

Verbraucherschützer und Bürgerrechtler sahen in dem Konzept, den Browser selbst als Datensammeltool der Werbeindustrie zu etablieren, einen Dammbruch gegen die Privatsphäre. Am schädlichsten jedoch war die Zurückweisung durch die wichtigste Kundengruppe: Bei ersten Testläufen zahlten Werbekunden für das Kohorten-Targeting nicht annähernd die gleichen Preise wie bei heute üblichen invasiven Werbemethoden.

Neue Woche, neues Profil

Mit Topics versucht Google nun, alle Konflikte zugleich zu entschärfen. Der Browser soll zwar nach wie vor als zentrales Element aus seiner Surf-Historie ein Interessenprofil generieren und Werbetreibenden zugänglich machen. Im Unterschied zu FLoC soll dieses aber für die Nutzer einfach zugänglich sein: Sie bekommen eine Liste der aktuellen Interessen angezeigt und können gegebenenfalls falsch identifizierte Themen herauslöschen. Die Nutzer bekommen zudem jede Woche automatisch ein neues Interessenprofil zusammengestellt.

Rudimentäres Tracking

Positiv für die anderen Werbevermarkter: Das komplexe und undurchsichtige Konstrukt der Kohorten entfällt. Das System soll zudem, anders als bei FLoC, unabhängig von Googles Servern laufen.

Dennoch ist die Werbeindustrie wenig begeistert von Topics, weil es viel weniger Targeting ermöglicht als Cookies. Bestimmte Werbemethoden wie das bei Firmen beliebte und Verbrauchern gehasste Retargeting sind mit Topics überhaupt nicht möglich.

Es ist also alles andere als klar, ob Topics eine breite Unterstützung aus der Industrie erhält. Wohl auch aus diesem Grund hat Google weitere Vorschläge für die Zukunft des Targetings gemacht. Sein Konzept „FLEDGE“ etwa verlagert nicht nur die Interessenprofile, sondern auch Werbeauktionen direkt auf den Browser.

Google will baldmöglichst mit Praxis-tests beginnen. Der aktuelle Zeitplan sieht vor, dass bis zum vierten Quartal dieses Jahres alle Techniken einsatzbereit sind, die Third Party Cookies ersetzen können. Tatsächlich abschalten will Google die Werbe-Cookies Mitte 2023. (jo@ct.de)

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