c't 5/2022
S. 32
Aktuell
NFT

Goldgräberstimmung

Wer vom NFT-Hype profitiert – und wer verliert

Quentin Tarantino, Johnny Depp und Paris Hilton werben öffentlich für ihre NFTs. Auch Markenhersteller wie Adidas wollen ihre Artikel künftig nicht nur physisch, sondern auch digital im Metaversum verkaufen. Damit fachen sie den Hype um Non-fungible Tokens weiter an, während viele Kleinanleger ihr Geld verlieren und die Technik selbst noch ihren Platz in der Welt sucht.

Von André Kramer

Der Hollywood-Schauspieler Johnny Depp malt nach eigenen Angaben seit vielen Jahren, habe seine Werke aus Respekt vor der Kunst aber bisher nie öffentlich ausgestellt. Ende Januar entschied er, eine Sammlung von Porträts als NFTs (Non-fungible Tokens) anzubieten. Aufgrund seiner Angst vor der öffentlichen Reaktion taufte er die Sammlung „Never Fear The Truth“. Depp malt seine Freunde, unter anderem den Regisseur Tim Burton und den Autor des Romans „Fear and Loathing in Las Vegas“ Hunter S. Thompson. NFTs sind eine Art Echtheitszertifikat für digitale Werke. Die Daten lassen sich beliebig oft kopieren, das NFT weist sie aber einem eindeutig identifizierbaren Besitzer zu.

Auch der Filmemacher Quentin Tarantino ist ins NFT-Geschäft eingestiegen. In Kooperation mit SCRT Labs verkauft er über tarantinonfts.com Scans seines handgeschriebenen Originaldrehbuchs zu seinem Film „Pulp Fiction“ als NFTs – und zwar kapitelweise. Die erste Ausgabe mit dem Titel „Royale with Cheese“ ging für 1,1 Millionen US-Dollar über den Tresen. Weitere sollen folgen.

Quentin Tarantino verkauft sein Pulp-Fiction-Drehbuch abschnittsweise als NFTs. Das Kapitel „Royale with Cheese“ wechselte bereits den Besitzer.
Bild: tarantinonft.com

Affenliebe

Eine Handvoll NFT-Projekte hat sich mittlerweile zu eigenen Marken entwickelt, beispielsweise die gerenderten Affenporträts des „Bored Ape Yacht Club“ (BAYC). Der Fußballer Neymar kaufte publikumswirksam für knapp 160 Ether, umgerechnet über 370.000 US-Dollar, ein NFT des BAYC. Der Rapper Eminem zahlte Anfang des Jahres 123 Ether, zu der Zeit etwa 450.000 US-Dollar für einen Bored Ape. Paris Hilton und Jimmy Fallon zeigten in dessen Late-Night-Talkshow am 25. Januar in einer bizarren Szene ihre eigenen Bored Apes auf Pappkarten. Hilton warb in der Show für ihre eigene NFT-Kollektion, die sie gerade zusammen mit der Agentur Superplastic entwickelt.

NFT-Marken wie die Bored Apes werden zu Statussymbolen: Wer es sich leisten kann, präsentiert publikumswirksam die für sechsstellige Beträge erworbenen Affen wie sonst Sportwagen, Beverly-Hills-Anwesen und Luxushandtaschen. Damit strahlen sie den NFT-Glanz wie Leuchttürme in die Welt. Der Wirbel um die öffentlich zur Schau gestellte Affenliebe ist bares Geld wert. Der Bored Ape Yacht Club besteht aus einer Sammlung von 10.000 digitalen Affen. Mit einem Volumen von über 2,3 Milliarden US-Dollar ist er das zweitstärkste NFT-Projekt bisher.

Adidas kooperiert mit Bored Apes, CryptoPunks und dem NFT-Sammler Gmoney, um im Metaversum Fuß zu fassen.
Bild: Bored Ape Yacht Club

Milliardenumsätze

Als bevorzugte Plattform für NFTs hat sich OpenSea hervorgetan. Bezahlt wird in der Kryptowährung Ether. Die Gründer Devin Finzer und Alex Atallah starteten 2018 mit fünf Leuten. Im August 2021 setzten sie 3,4 Milliarden US-Dollar um. 85 Millionen US-Dollar Provision gingen an OpenSea.

Angesichts solcher Beträge wetten auch viele Kleinanleger auf schnellen Reichtum. Interessenten, die sich die Topwerte nicht leisten können, versuchen frühzeitig auf das richtige Pferd zu setzen. Das reizt NFT-Anbieter offenbar zu wunderlichen Angeboten: Omar Farooq verkauft über seinen „Color Museum Market“ 10.000 Farben als NFTs zu je 350 US-Dollar. Der Grund: Warum nicht? Mit den Farben kann man nichts anfangen.

Das Angebot an digitalen Bilderserien, die mehr oder weniger aussehen wie die erfolgreichen Vorbilder, ist mannigfaltig. Die Initiatoren versprechen Partnerschaften mit Promis – ganz wie bei den Bored Apes. Aber nur wenige spült der Hype an die Spitze; der Großteil versinkt in der Bedeutungslosigkeit und mit ihm die investierten Ersparnisse.

Anders als auf kuratierten Handelsplätzen wie Nifty Gateway kann auf OpenSea jeder praktisch alles anbieten. Finzer und Atallah versprechen zwar, Fake-Angebote automatisch auszufiltern, allerdings klappt das nicht immer. Über ein gefälschtes Bored-Ape-Projekt verlor ein Trader 17.500 US-Dollar. Der Anbieter „Evil Ape“ verschwand Ende September 2021 mit 2,7 Millionen US-Dollar von Anlegern, die Affenbilder seiner „Evolved Apes“ kauften. Mit dem Geld sollte laut Versprechen ein Videospiel entstehen. Ein ähnlicher Betrugsfall betraf das angeblich geplante Spiel „Blockverse“. Anleger verloren hier 1,2 Millionen US-Dollar.

Markenartikel im Metaversum

Von dem Hype um die Affen versuchen Markenhersteller zu profitieren. Seit 21. Januar arbeitet Adidas zusammen mit Prada an einem neuen NFT-Projekt. Es soll Besitzern eines „Adidas Originals Into the Metaverse“-NFTs Zugang zu einer „interaktiven, dynamischen Plattform“ bieten. Die Aktion gehört zu einer Offensive des Sportartikelherstellers im Metaversum. Adidas „untersucht den Wert von web3“ und möchte die Interessenten virtueller Welten für sich gewinnen. Der Chef der Adidas-Digitalsparte Tareq Nazlawy hat bereits Ende Juni eine Kooperation mit dem Bored Apes Yacht Club, dem puertoricanischen NFT-Sammler Gmoney und der NFT-Comicreihe Punks Comic von Pixel Vault initiiert. Ein Tweet des BAYC zeigt einen Affen mit Adidas-Jacke nebst Logos der oben genannten.

Die Partner sind nicht zufällig gewählt. Nur ein NFT-Projekt hat bisher mehr umgesetzt als die Bored Apes. Punks Comic erzählt Geschichten mit Charakteren der CryptoPunks, einer Sammlung von 10.000 pixeligen NFT-Avataren. Die CryptoPunks sind wie der BAYC ein NFT-Schwergewicht mit einem Verkaufsvolumen von insgesamt fast zwei Milliarden US-Dollar – die drittstärkste NFT-Marke weltweit. Adidas besitzt über die genannten Kooperationen hinaus auch virtuelles Land im Metaversum von The Sandbox, der Nummer fünf mit umgesetzten 387 Millionen US-Dollar. Die genannten Zahlen stammen von NonFungible.com.

Larva Labs kreierte im Jahr 2017 10.000 pixelige CryptoPunks, die jetzt zu den Top-NFT-Werten gehören.
Bild: Larva Labs

In kürzester Zeit verkaufte Adidas auf OpenSea 30.000 NFTs und nahm dabei 21 Millionen US-Dollar ein. Auch in The Sandbox können Avatare jetzt teure Markenklamotten für einen Ladenpreis von 700 US-Dollar pro Stück tragen: Zur Wahl stehen jeweils vier Produkte, darunter Trainingsanzüge, Jogginghosen und Hoodies. Aktuell steht der NFT-Preis bei rund 2300 US-Dollar.

Andere Markenhersteller folgen dem Sportbekleider aus Herzogenaurach auf dem beturnschuhten Fuße. Der Konkurrent Nike kaufte im Dezember das auf virtuelle Turnschuhe spezialisierte Unternehmen RTFKT und dürfte bald mit ähnlichen Produkten nachziehen. Mercedes-Benz tweetete am 17. Januar, dass die fünf Künstler Baugasm, Klarens Malluta, Antonio Tudisco, Charlotte Taylor x Anthony Authié sowie Roger Kilimanjaro NFT-Kunst der neuen G-Klasse des Autoherstellers schaffen.

Im November 2021 bot Disney in Zusammenarbeit mit VeVe und über deren Mobil-App die „Golden Moments“ NFT Collection an, digitale Sammlerstücke verschiedener Disney-Marken von Pixar über Marvel bis Star Wars. Eines der elf NFTs kostet 60 US-Dollar; Walt und Mickey kosteten 333 US-Dollar. Die Tokens stehen in Auflagen von 4333 bis 12.333 zur Verfügung. Walt und Mickey wechselte jüngst auf OpenSea für 73 US-Dollar den Besitzer – weit unter Ausgabepreis. Elsa ist häufig, Bart Simpson eher selten – wie bei echten Sammelkarten. Aktuell sichert sich Disney mit der „Mickey Mouse NFT Collection“ erneut ein Stück vom NFT-Kuchen. Sie zeigt die Originalmaus pfeifend am Ruder von Steamboat Willie.

Disneys „Golden Moments“ NFT Collection enthält limitierte Auflagen virtueller Statuen von Mickey Mouse, Iron Man, R2-D2 oder Bart Simpson. Leider ist auch das Gold virtuell.
Bild: Disney und VeVe

Potenzial oder Perpetuum Mobile

NFT-Werke wie Bored Apes oder CryptoPunks sind weder große Kunst noch sind die Käufer sonderlich kunstinteressiert. Künstler, die ihre Werke über Galerien als NFT anbieten, wie der Berliner Johann König, sind Ausnahmeerscheinungen. In der Regel geht es ums Geld. OpenSea erinnert eher an eine Art digitales eBay als an eine Kunstgalerie, wobei NFTs nicht wie echte Sammlerstücke durch natürlichen Verfall über die Jahre knapp werden. Händler „sweepen“ gewisse NFT-Reihen, das heißt sie kaufen günstige Restbestände auf, um das Angebot zu verknappen und damit den Preis zu heben. In Clubs wie Proof Collection, der seine Mitgliedschaft selbst teuer als NFT verkauft, tauschen sich einflussreiche Sammler über das nächste große Ding aus. Was am Ende an Wert gewinnt, entscheiden Influencer, die eine große Gruppe von Interessenten für eine Idee begeistern können.

Interessenten aus der zweiten Reihe gehören nur selten zum informierten Insider-Kreis. Social-Media-Beiträge und -Anzeigen versprechen mit Buzzwords wie „Magic Moment“, „Next Big Thing“ und „Early Adopter“ Einstiege in einen boomenden NFT-Markt wie in den Neunzigern ins Web, werben für eine Parallelwelt im Metaversum mit vermeintlich ungeahnten Möglichkeiten zur Kundenakquise. Wer aktuell einsteigt, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit den Zug verpasst und versorgt die mit frischem Kapital, die bereits aufgestiegen sind. Damit der Hype immer weiter geht. (akr@ct.de)

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