c't 5/2022
S. 36
Aktuell
Podcasts und Content-Filter
Joe Rogan hostet den wohl weltweit erfolgreichsten Podcast auf Spotify und holt streitbare Gäste ins Studio.
Bild: The Joe Rogan Experience

Der Joe-Rogan-Algorithmus

Ein Podcast stellt die Debattenkultur auf den Kopf

Im Podcast von Joe Rogan kritisierten Gäste unter anderem die Coronapolitik der US-Regierung. Nachdem 270 Wissenschaftler Rogan der Verbreitung von Falschinformationen beschuldigten, forderte der Rocksänger Neil Young die Absetzung der Show und löste einen Streit um die Debattenkultur im Internet aus.

Von Hartmut Gieselmann

Der Streit um den Podcast von Joe Rogan schlug hohe Wellen: Weil mehrere seiner Gäste Zweifel an der Wirksamkeit und den Nebenwirkungen von Corona-Impfstoffen äußerten, forderten 270 Wissenschaftler den Betreiber Spotify auf, die Verbreitung „gefährlicher Falschinformationen“ zu beenden. Rockmusiker Neil Young setzte noch einen drauf und forderte Spotify auf, die Show abzusetzen. Als Spotify dem nicht nachkam, entfernte Young kurzerhand seine Musik – bis auf wenige Ausnahmen – von der Plattform.

Der Disput bescherte Rogan, der zuvor hauptsächlich in den USA bekannt war, weltweite Aufmerksamkeit. Die einen titulierten Rogan als rechten Schwurbler, die anderen sahen in Youngs Aktion einen Beweis für die Cancel Culture eines linksliberalen Establishments. Edward Snowden brachte die mediale Aufregung auf den Punkt: „Niemand hat eine stärkere Meinung über Joe Rogan als Menschen, die Joe Rogan niemals zugehört haben.“

Das Phänomen Joe Rogan lässt sich nicht mit einzelnen kurzen Zitaten aus seinen Sendungen begreifen, die durch die Social-Media-Kanäle rauschen. Denn „The Joe Rogan Experience“ stellt sich modernen Trends zum immer schnelleren und homogeneren Medienkonsum in der Filterblase entgegen. Wo YouTube und Facebook per Algorithmus ihren Mitgliedern immer mehr vom Gleichen vor die Nase setzen, um Berieselungsdauer und Werbeeinnahmen zu maximieren, lädt Rogan kontroverse Gäste in sein Studio. Wo TikTok Videos zu einem Stakkato mit einer Aufmerksamkeitsspanne von wenigen Sekunden verdichtet, plaudert Rogan drei bis vier Stunden am Stück mit einem Gast. Seit zwölf Jahren macht er das, pro Woche durchschnittlich drei Mal. Laut Medienberichten erreicht Rogan damit durchschnittlich elf Millionen Zuhörer.

Seit September 2020 sind die bald 1800 Folgen seiner Show auf der Streamingplattform Spotify zu hören und zu sehen, mit der er einen Exklusivvertrag über 100 Millionen US-Dollar abschloss. Das schwedische Unternehmen lässt Rogan bei der Wahl seiner Gäste und Themen deutlich mehr Spielraum, als ihm vielleicht ein US-Konzern geben würde. Und so lädt Rogan häufiger Köpfe ein, die andernorts als Parias gelten und bei Twitter, YouTube und Facebook gesperrt wurden.

Jenseits der Schubladen

Zu seinen Gästen gehörte kürzlich etwa Robert Malone, der als mRNA-Forscher den Hersteller Pfizer kritisiert und Mängel bei Impfstoffstudien gefunden haben will. Auch Alex Jones war zu Gast, Betreiber der rechten Online-Postille infowars.com. Rogan hört ihnen aufmerksam zu, tauscht Anekdoten und Einschätzungen aus, ohne sie frontal anzugreifen.

Die Gäste kommen keinesfalls nur aus dem rechten Spektrum. Rogan redet mit dem rechten Gitarristen Ted Nugent ebenso wie mit dem linken Sänger Henry Rollins. Er raucht mit Elon Musk einen Joint und spricht mit Edward Snowden über Abhörmethoden der NSO Group.

Für seinen offenen, ruhigen Diskussionsstil erhält Rogan Anerkennung sowohl aus dem rechten, linken, liberalen wie auch konservativen Lager. Vergleicht man Rogan jedoch mit Tilo Jung, der im deutschen Podcast „Jung & Naiv“ sowohl Gregor Gysi als auch Andreas Kalbitz interviewte, fallen Unterschiede auf: Jung bereitet sich besser auf seine Gäste vor und stellt sich falschen Behauptungen selbstbewusst entgegen. Rogan widerspricht hingegen nur, wenn es allzu abstrus wird. Als Alex Jones beispielsweise den Treibhauseffekt von CO2 anzweifelt, bittet Rogan seinen Kollegen um einen Faktencheck. Der googelt dann live einen Artikel der BBC, der die Behauptung widerlegt.

Diese zuweilen unzureichende Vorbereitung und Gegenrede gestand Rogan in einer Reaktion auf die Kritik ein. Womöglich ist sie auch der hohen Frequenz und der Länge seiner Sendungen geschuldet. Ein dreistündiges Gespräch an jedem zweiten Tag lässt sich nicht so gut vorbereiten wie ein einstündiges Interview pro Woche. Und sein Unterhaltungsformat ist dem nötigen wissenschaftlichen Diskurs bei einigen Themen offenbar nicht gewachsen.

Immerhin: Spotify will künftig bei Sendungen zu Corona auf wissenschaftliche Informationsseiten verweisen. Rogan gelobte, Fakten genauer prüfen und ein breiteres Spektrum von Experten in seine Sendung einzuladen. Wenn es ihm gelingt, ist seine Sendung eine Bereicherung. Denn indem Rogan Filterblasen perforiert, gibt er Einblicke in die Gedankenwelt politisch konträrer Personen und macht plausibel, warum diese ihre Ideen zum Teil so vehement vertreten. (hag@ct.de)

Kommentare lesen (1 Beitrag)