c't 6/2022
S. 130
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Prozessoren

Zeitenwende

5 Jahre Ryzen: Der Prozessor, mit dem AMD in die Erfolgsspur zurückfand

Am 2. März 2017 erschienen die ersten Ryzen-Prozessoren, bei denen viel Rechenleistung plötzlich nur noch halb so viel kostete wie zuvor. Zudem retteten sie wohl das Überleben von AMD, auch wenn bei den CPUs nicht alles glattlief.

Von Christian Hirsch

Core-i7-Leistung zum halben Preis“. So stand es auf der Titelseite der c’t 6/2017, in dem der Test der ersten Ryzen-Prozessoren abgedruckt war. Die Tage vor Druckschluss verliefen in der Redaktion ähnlich spannend wie in einem Krimi, denn wir erhielten die beiden Exemplare des Achtkerners Ryzen 7 1800X erst drei Arbeitstage vor dem Drucktermin. Unser Kollege Andreas Stiller brachte sie uns per Taxi direkt vom Flughafen, denn AMD händigte die Prozessoren auf einer Presseveranstaltung in den USA persönlich aus.

Auf unseren zwei Testsystemen konnten wir Anwendungs- und Spiele-Benchmarks parallel durchführen. Nach drei langen, hektischen Arbeitstagen mit einigen Überraschungen kamen die insgesamt 14 Seiten dank des Engagements einer Handvoll technischer Assistenten und Redakteure rechtzeitig in der Druckerei an. Der Testartikel schloss mit dem Satz „Aus Kundenperspektive kann man AMD zum Comeback mit Ryzen nur beglückwünschen“.

​Von null auf hundert

​Für AMD war Ryzen ein Befreiungsschlag, denn ohne diese Prozessorfamilie würde es den Chiphersteller wohl nicht mehr geben. Die vorherige Bulldozer-Architektur von 2011 mit zwei Integer-Clustern, aber nur einem Gleitkommamodul pro Kern war ein Griff ins Klo. Die damit ausgestatteten CPUs der Serien A und FX konnten über Jahre nicht mit Intels Core-i-Prozessoren mithalten, vor allem bei der Effizienz und der wichtigen Singlethreading-Performance.

​AMD begann deshalb schon kurze Zeit nach der Bulldozer-Einführung mit der Entwicklung von dem, was 2017 als Zen-Architektur das Licht der Welt erblicken sollte. Die ersten Jahre leitete Prozessorkoryphäe Jim Keller das Team, der zuvor schon an der Entwicklung des DEC Alpha 21164, AMD Athlon, Athlon 64 und Apples erstem eigenem ARM-Chip A4 beteiligt und später für Tesla und Intel tätig war.

​Gestartet mit einem leeren Blatt Papier ist ein Design herausgekommen, das wieder deutlich näher an Intels Core-Architektur angelehnt ist. So kam bei Zen ein Micro-Op-Cache für bereits übersetzte Mikrooperationen hinzu, was die Dekodereinheiten entlastet. Das spart obendrein Energie, weil sich der vordere Teil des Frontends öfter komplett abschalten lässt.

​Zudem hielt bei den Ryzen-Prozessoren Simultaneous Multithreading (SMT) Einzug, sodass ein Kern zwei Threads simultan abarbeiten kann. SMT lastet die Recheneinheiten besser aus und bringt bei gut parallelisierter Software rund 40 Prozent mehr Performance. Den Zen-Kernen spendierte AMD auch große Level-2- und -3-Caches. Das bringt ein Leistungsplus, weil Daten seltener aus dem deutlich langsameren RAM geholt werden müssen.

​Beim Aufbau der Zen-Prozessoren gibt es deutliche Unterschiede zu den Core-i-CPUs, deren Vorteile sich zum Teil erst Jahre später zeigten. Zum einen ist jeder Ryzen ein System-on-Chip und enthält nicht nur CPU-Kerne, Caches, Speichercontroller und optional eine Grafikeinheit, sondern zusätzlich I/O-Funktionen wie SATA und USB. Dadurch funktionieren Sie auch ohne separaten Chipsatz, was für Mini-PCs und die später erschienenen Mobilprozessoren ein Vorteil ist.

​Zum anderen hat AMD die einzelnen CPU-Bestandteile über die eigens entwickelte Hochgeschwindigkeitsschnittstelle Infinity Fabric miteinander verbunden. Diese funktioniert sowohl innerhalb eines Chips als auch untereinander zwischen verschiedenen Chips. Das ermöglicht außer klassischen, monolithischen Halbleiter-Dies, zu denen die ersten beiden Ryzen-Generationen und die (mobilen) Ryzen-Kombiprozessoren mit integrierter Grafik zählen, auch ein Chiplet-Design. Dabei sind mehrere Chips in einem gemeinsamen Prozessorgehäuse vereint.

​So konnte AMD mit vergleichsweise geringem Entwicklungsaufwand zeitnah Server-CPUs der Epyc-Serie mit bis zu 64 Kernen anbieten, die acht Zen-Dies auf einem großen Träger kombinieren. Ab den Ryzen 3000 kommen sogar Chips unterschiedlicher Fertigungstechnik zum Einsatz, denn sie bestehen aus CPU-Core-Dies, die nur die Rechenkerne enthalten, und einem I/O-Die für den Rest. Dank der hohen Flexibilität kann AMD mit einer einzigen CPU-Architektur vom billigen Athlon-Dual-Core über Mobil- und Desktop-CPUs bis zum 64-Kern-Server-Prozessor einen großen Anwendungsbereich abdecken.

​Sattes Performanceplus

​In der Praxis erzielte AMD mit der Zen-Architektur einen großen Sprung bei Effizienz und Geschwindigkeit. Im Vergleich zu den Vorgängern der Serie A stieg die Rechenleistung pro Taktzyklus um über 40 Prozent. Zudem brachte AMD erstmals acht vollwertige CPU-Kerne auf eine Mainstream-Plattform für bezahlbare Desktop-PCs und das zu einem sehr attraktiven Preis. Mit dem Intel Core i7-6900K für die High-End-Plattform LGA2011v3 lieferte sich der Ryzen 7 1800X ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen, allerdings kostete Intels Achtkerner damals 1100 Euro und somit doppelt so viel wie der Ryzen 7 1800X (559 Euro).

​Vor allem bei Anwendungen, die von vielen Kernen profitieren, wie Rendering, Videokodieren und Verschlüsselung erregte die erste Ryzen-Generation Aufsehen. Das Topmodell für Intels Brot-und-Butter-Fassung LGA1151, der Core i7-7700K, hatte lediglich vier Kerne und musste sich deshalb in diesen Disziplinen deutlich geschlagen geben. Bei der Singlethreading-Leistung konnte AMD mit den Ryzen 1000 zwar einen großen Teil des bisherigen Rückstands aufholen, erreichte aber noch nicht das Niveau der schnellsten Kaby-Lake-CPUs. Deshalb blieb Intel für Office-PCs vorerst die erste Wahl und war auch in 3D-Spielen schneller.

​Die Gaming-Schwäche war AMD bewusst. Im Begleitmaterial zu den Prozessoren fanden sich merkwürdigerweise nur Benchmarks in 4K-Auflösung, bei der die Grafikkarte den limitierenden Faktor darstellt und die Unterschiede zwischen den CPUs nur wenige Prozent betrugen. Unsere zusätzlichen Messungen bei 1440p-, 1080p- und 720p-Auflösung zeigten bei vielen Spielen jedoch mit dem Ryzen 7 1800X einen eklatanten Rückstand der Bildrate von bis zu 30 Prozent gegenüber den beiden Intel-CPUs Core i7-7700K und Core i7-6900K.

​Da wir keine Erklärung für die schlechte Performance hatten und einen Defekt oder Fehler unsererseits vermuteten, waren wir auch zwei Tage vor Heftschluss noch fleißig damit beschäftigt CPUs, Boards und Grafikkarten hin und her zu tauschen, sowie diverse Male Windows neu zu installieren. An unseren Ergebnissen änderte das jedoch nichts. Den Tag der Veröffentlichung erwarteten wir mit einem flauen Magengefühl, doch dann bestätigten die Tests anderer IT-Magazine unsere Messwerte.

​Im Nachhinein musste AMD eingestehen, dass es bei 3D-Spielen in der Tat ein Problem gibt. Im Laufe der kommenden Monate stellten sich dafür mehrere Ursachen heraus. Der Scheduler von Windows kam mit dem speziellen Aufbau der Ryzen-Prozessoren nicht zurecht, bei dem sich jeweils vier Kerne einen Block des Level-3-Cache teilten, was AMD auch als CPU Core Complex (CCX) bezeichnet. Verteilt das Betriebssystem Threads derselben Anwendung auf Kerne in verschiedenen CCX, sind die Latenzen bei der Kommunikation erheblich höher als zwischen Kernen im gleichen CCX. Erst zwei Jahre später mit Windows 10 1903 lernte der Scheduler dies zu unterscheiden. Schnelleres RAM mildert dieses Problem ab, denn Level-3-Cache und Infinity Fabric arbeiten mit dem Speichertakt. Die ersten Ryzen traten mit DDR4-2666 an, später stieg das offiziell unterstützte Tempo bis auf DDR4-3200.

​Weitere Gründe für die anfangs schlechte Spiele-Performance waren die geringere Singlethreading-Performance im Vergleich zu den Intel-CPUs sowie der Turbomodus mit festen Stufen. Liefen auf der CPU mehr als zwei aktive Threads, taktete sie nur noch mit der niedrigeren Turbostufe für Last auf allen Kernen. Mit der zweiten Ryzen-Generation besserte AMD nach, sodass die CPU dynamisch die Taktfrequenz bis zum Maximum ausschöpft, sofern noch thermisches Budget vorhanden ist.

​Intel unter Druck

​AMD erwischte Intel mit den Ryzen-Prozessoren zu einer denkbar ungünstigen Zeit. Der Chipriese bekam die eigene 10-Nanometer-Fertigung jahrelang nicht ans Laufen, weshalb es bei den Core-i-CPUs in den kommenden Jahren auch keine signifikante Fortentwicklung der Architektur gab. Als Notlösung folgte stattdessen ein Aufguss derselben Skylake-Architektur nach dem anderen. Beginnend mit Core i-8000 flanschte Intel schließlich bei jeder CPU-Generation jeweils zwei weitere Kerne mehr an, um nicht völlig von AMD abgehängt zu werden. Erst mit den wenige Monate alten Core i-12000 „Alder Lake“ konnte Intel bei Performance, Effizienz und Funktionen AMD wieder einholen.

​Aus Käuferperspektive waren die Ryzen-Prozessoren ein großer Gewinn, denn die Preise purzelten durch die neue Konkurrenz. Mit jeder neuen Generation gab es bei beiden Herstellern zudem einen kräftigen Performancezuwachs. Quasi eine Neuauflage des Gigahertz-Duells der Jahrtausendwende. AMD konnte in der Folge in allen Bereichen verloren gegangene Marktanteile zurückerobern und profitierte in den letzten Jahren durch Umsatz- und Gewinnrekorde auch finanziell.

Ryzen-Prozessoren für Desktop-PCs​​​​​
Generation CPU-Kerne Architektur Grafik / Compute Units Fertigungstechnik Verkaufsstart
Ryzen 1000 „Summit Ridge“ 4, 6, 8 Zen 14 nm GlobalFoundries März 2017
Ryzen 2000G „Raven Ridge“ 2, 4 Zen RX Vega / 8, 11 14 nm GlobalFoundries Februar 2018
Ryzen 2000 „Pinnacle Ridge“ 4, 6, 8 Zen+ 12 nm GlobalFoundries April 2018
Ryzen 3000G „Picasso“ 4 Zen+ RX Vega / 8, 11 12 nm GlobalFoundries Juli 2019
Ryzen 3000 „Matisse“ 4, 6, 8, 12, 16 Zen 2 (Chiplet) 7 nm TSMC + 12 nm GlobalFoundries Juli 2019
Ryzen 4000G „Renoir“ 4, 6, 8 Zen 2 RX Vega / 6, 7, 8 7 nm TSMC Juli 2020
Ryzen 5000X „Vermeer“ 6, 8, 12, 16 Zen 3 (Chiplet) 7 nm TSMC + 12 nm GlobalFoundries November 2020
Ryzen 5000G „Cezanne“ 4, 6, 8 Zen 3 Radeon / 6, 7, 8 7 nm TSMC April 2021

​Ein paar Stolpersteine gibt es jedoch auch bei der Erfolgsstory Ryzen. Wie alle anderen CPU-Designs mit Out-of-Order-Design waren sämtliche Zen-Prozessoren Anfang 2018 von den Sicherheitslücken Spectre V1 und V2 und von später aufgedeckten Varianten betroffen. Zudem traten bei den ersten Ryzen 1000 bis zur Fertigungswoche 30/2017 beim Kompilieren unter Linux Segmentation Faults auf. Betroffene Exemplare hat AMD im Rahmen der Garantie ausgetauscht. Diesen Bug konnten wir damals ebenso bestätigen wie den, der bei Lastprogrammen mit hochoptimiertem FMA3-Code das System zum Komplettabsturz brachte. Über ein Firmware-Update konnte dieser vom Chiphersteller vergleichsweise einfach und schnell behoben werden.

​Manche Vorteile sind aber auch mit Nachteilen verbunden, die sich erst später offenbarten. So verwendet AMD bei den aktuellen Ryzen 5000 zwar immer noch dieselbe CPU-Fassung AM4 wie bei der ersten Ryzen-Generation. Eine beliebige Auf- und Abwärtskompatibilität gibt es jedoch nicht. Zu Anfang war die Größe der Flash-Chips für das BIOS deutlich kleiner, weshalb aktuelle CPUs nur selten auf den damals aktuellen Boards mit Serie-300-Chipsatz laufen. Umgekehrt laufen auf modernen Platinen mit B550-Chipsatz nur Ryzen 3000 und neuer. Und die erste Ryzen-Generation wird von Windows 11 offiziell verschmäht. Wegen hoher Nachfrage sind derzeit kaum Ryzens mit vier und sechs Kernen zu günstigen Preisen lieferbar, sodass Intel wieder aufholt.

Blick nach vorne

​Inzwischen zeichnet sich das Ende der AM4-Plattform am Horizont ab. Ryzen-Prozessoren wird es aber wohl noch viele Jahre geben. In der zweiten Jahreshälfte kommen die Ryzen 7000 für die neue Fassung AM5, zu deren Neuerungen PCI Express 5.0, DDR5-RAM, 5-Nanometer-Fertigung sowie die weiter verbesserte Architektur Zen 4 zählen. Für die fernere Zukunft hat AMD bereits vor mehreren Jahren Zen 5 bestätigt, dabei munkelt man über ein Hybrid-Design ähnlich wie Apples M1 und Intel Core i-12000. (chh@ct.de)

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