c't 15/2023
S. 42
Aktuell
Smart Home

Holpriger Start

Warum der Smart-Home-Standard Matter noch nicht ins Rollen kommt

Erste Smart-Home-Geräte mit dem Matter-Logo liegen zwar in den Regalen. Doch Branchengrößen wie Philips oder Ikea hinken ihren Zeitplänen hinterher oder machen wie Belkin einen Rückzieher. Für viele Kunden wird es mit Matter momentan eher komplizierter statt einfacher.

Von Berti Kolbow-Lehradt

Matter verspricht nicht weniger als eine einfache Inbetriebnahme und nahtlose Integration zahlreicher Smart-Home-Komponenten unterschiedlichster Hersteller auf den Plattformen Amazon Alexa, Apple Home, Google Home und Samsung SmartThings. Die umständliche Konfiguration mit den jeweiligen Hersteller-Apps soll entfallen. Alles, einfach und unter einem Dach – soweit die Theorie.

​Um den Einsatz von Clouddiensten zu minimieren, managen sogenannte Matter Controller, zum Beispiel Smart Speaker, das Netzwerk lokal. Der Datenaustausch erfolgt via WiFi, dem Funkstandard Thread oder Ethernet. Über letzteren Weg soll man Bridges mit anderen Funkstandards wie etwa ZigBee anbinden, was bisher aber nur die Controller von Apple und Google beherrschen. Hat man eine Smart-Home-Komponente einmal angemeldet, soll man sie bequem von einer Matter-kompatiblen App zur anderen verschieben können („Multi-Admin“).

Mittels eines in der Wiz-App erzeugten QR-Codes lassen sich Matter-fähige Leuchtmittel des Herstellers erstmals auch offiziell unter Apple HomeKit betreiben., Bild: Berti Kolbow-Lehradt
Mittels eines in der Wiz-App erzeugten QR-Codes lassen sich Matter-fähige Leuchtmittel des Herstellers erstmals auch offiziell unter Apple HomeKit betreiben.
Bild: Berti Kolbow-Lehradt

Mäuseschritte 

Die ersten Hersteller von Smart-Home-Geräten liefern nun passende Hardware oder Updates für Bestandsprodukte. Die Zwischenstecker, Bewegungsmelder und Kontaktsensoren von Eve haben offiziell die Beta-Phase verlassen und sind seit April mit Matter-Firmware im Handel erhältlich. Für zuvor gekaufte Exemplare ist per Eve-App ein Firmware-Update verfügbar, sofern es sich um die Thread-fähigen Modelle handelt.

​Von den Zubehörherstellern haben zum jetzigen Zeitpunkt vorwiegend kleinere Player abgeliefert. Aqara geht mit über 40 Sensoren, Schaltern, Steckdosen und weitere Komponenten mit ZigBee an den Start. Der Betrieb setzt einen der Aqara Hubs M2, E1 und M1S als Vermittlungsstelle voraus und wird vom Hersteller vorsichtshalber weiter als „Beta“ etikettiert. Einer der größeren Player ist das zu Signify (Hue) gehörende Unternehmen Wiz, das in der neueren „V2“-Version der Hersteller-App Firmware-Updates für über 130 WLAN-Leuchtmittel bereitstellt. Da Lampen und Leuchten von Wiz grundsätzlich über WLAN kommunizieren, ist kein weiteres Gateway nötig. Ubisys‘ G1-Universalschaltzentrale mit ZigBee-Funk reicht derzeit Hunderte Geräte diverser Hersteller an ein Matter-Netzwerk durch (siehe c’t 6/2023, S. 110).

Ob Komponenten den Standard unterstützen, verrät ein Logo auf der Verpackung und meist die Support-Seite des Herstellers. Ein herstellerübergreifendes Verzeichnis verfügbarer Produkte gibt es nicht. Die zuständige Zertifizierungsorganisation CSA listet zwar online über 1000 geprüfte und abgenommene Geräte. Doch ob und wann sie im Handel erhältlich sind, erfährt man dort nicht. 

Hardware-Hürden

Matter ist ein komplexer und hardware-hungriger Standard. Die Vorgaben füllen 3400 Seiten. Um die vielen neuen Befehlssätze zu stemmen, ist ein für Smart-Home-Verhältnisse üppiges Megabyte Arbeitsspeicher Pflicht – schon für einfache Sensoren. Selbst für Branchengrößen sind die Anforderungen hoch. Ikea und Philips Hue haben ihre Ziele verfehlt und ihre ZigBee-Gateways statt wie geplant „Anfang des Jahres“ bis heute nicht um Matter ergänzt. Hue nannte auf c’t-Anfrage keine neuen Terminpläne, Ikea antwortete bis Redaktionsschluss nicht. 

Mit Belkin hat sich ein Hersteller sogar komplett von Matter zurückgezogen. Man wolle sich „neu formieren und den bisherigen Ansatz überdenken“, teilte das Unternehmen dem Onlinemagazin The Verge mit. Hier zeigt sich, was Kritiker zu Beginn befürchteten: Ein Markenartikler mit eigenem Ökosystem, der bereits mit den großen Plattformen zusammenspielt, hat außer mehr Konkurrenzdruck durch Billiganbieter kaum Vorteile für sich und seine Kundschaft. 

Tatsächlich nützen die ersten Matter-Produkte vorwiegend Smart-Home-Fans, die auf Marken mit bisher beschränkten Kombinationsmöglichkeiten oder mit niedrigem Preisniveau setzen. So lässt sich Eve-Zubehör nun außer im Apple-Kosmos auch mit Alexa und Google Home steuern. Govee, SwitchBot und Wiz können dank Matter erstmals ohne den Marsch durch Apples kostspieliges Prüfverfahren eine offizielle HomeKit-Integration bieten. 

Das Matter-Logo ist derzeit nur selten im Handel zu sehen. Goovees LED-Strip M1 ist eines der ersten Produkte.
Das Matter-Logo ist derzeit nur selten im Handel zu sehen. Goovees LED-Strip M1 ist eines der ersten Produkte.

Wer andere Marken einsetzt, nimmt womöglich keinen Unterschied wahr. Technik etwa von Aqara, Nanoleaf und Ubisys versteht sich auch ohne Matter mit allen großen Ökosystemen, wohlgemerkt mittels der jeweiligen Cloudschnittstellen.

Erste Stichproben ergeben, dass Matter noch unrund läuft. Schon bei der Kopplung und auch bei der Gruppensteuerung und der Weitergabe in andere Apps kommt es zu Hakeleien. Mal behebt ein Firmware-Update das Problem, mal führt geduldiges Wiederholen zum Ziel – mal bleibt das Troubleshooting ergebnislos. Die gerade veröffentlichte Matter-Version 1.1 soll solche Bugs beseitigen, muss nun aber den Weg in die Geräte-Firmware finden.

Von einem reibungslosen Zusammenspiel zwischen den Ökosystemen kann derzeit keine Rede sein. Google hat seine eine Matter-fähige Home-App für iOS zwar geliefert, doch Apple Home bleibt Android fern. Ob Amazon und Samsung den Support von Bridges ergänzen, ist nicht absehbar. Ferner unterstützt Amazon über Matter zwar Lampen, Steckdosen und Schalter, aber weiterhin keine Sensoren und Thermostate, obwohl der Standard das ermöglicht. 

Zudem weben die vier Hersteller anstelle eines gemeinsamen Thread-Netzes jeweils separate Netze. Dadurch ist die Mesh-Funktion des Funkprotokolls nur eingeschränkt nutzbar. Zwar unterstützen die großen Ökosysteme schon die Thread-Version 1.3, die das gemeinsame Verweben ermöglicht. Doch Amazon hat dafür noch keine passende Schnittstelle und die von Apple und Google werden offenbar nicht genutzt. Samsung wiederum bindet Thread-Geräte nicht über das eigene Gateway, sondern nur über Thread-Router der anderen Hersteller ein, was in der Praxis also zusätzliche Hardware erfordert.

Im Ergebnis macht Matter die Zusammenstellung passender Komponenten für ein nahtloses Smart-Home-Konzept aktuell komplizierter statt einfacher. Wer will, experimentiert mit der wackligen Technik besser in einem separaten Setup.

​Prinzip Hoffnung

Die Ernüchterung nach dem Hype muss aber längst nicht das Ende sein. Für einen Abgesang sei es deutlich zu früh, findet Alexander Döpper vom Elektronikdienstleister Insta, der im Auftrag von Branchengrößen Smart-Home-Komponenten entwickelt: „Dass der Standard buggy ist, ist zu diesem Zeitpunkt normal.

​Deutlichen Rückenwind für Matter erwartet Döpper vom Einstieg großer Hersteller für Gebäudesystemtechnik aus der Liga von Busch-Jaeger oder eQ-3. Diese haben ein starkes kommerzielles Interesse an dem Standard, weil er den Zugang zum Massenmarkt vereinfacht. Wegen ihrer langen Produktlebenszyklen stecken sie jedoch noch in der Planungsphase. Selbst wenn sich diese Hoffnungen bewahrheiten und auch die Publikumsmarken bei der Stange bleiben, vergehen geschätzt noch zwischen zwei und vier Jahre, bevor Matter einen festen Platz in den Produktregalen findet. „Matter braucht noch Zeit“, da ist sich Alexander Döpper sicher. (sha@ct.de)

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