c't 17/2023
S. 3
Standpunkt

Hollywood: Vom Ende der Geschichten

Aktuell kämpft Indiana Jones im Kino gegen Nazis wie anno 1981. Forscher von Disney Research entwickelten eine künstliche Intelligenz, um den nunmehr 81-jährigen Harrison Ford äußerlich wieder auf den Stand der Achtzigerjahre zu bringen (siehe S. 91). Der Film kostete nicht zuletzt deswegen 300 Millionen US-Dollar.

Es hat Gründe, dass Lucasfilm nicht einfach einen Actionfilm mit einem jüngeren Star dreht. George Lucas’ Produktionsfirma gehört zu Disney, einem börsennotierten Unternehmen, und dem geht es um Geld - nicht um Kunst. Eine etablierte Serie ist viel Geld wert, denn sie lockt eine große Fangemeinde ins Kino. "Helena Shaw und das Rad des Schicksals" zieht nicht so wie Indiana Jones. Buchhalterisch kann es sich auszahlen, Harrison Ford für viel Geld digital zu verjüngen, statt aufwendig Marketing für eine neue Idee zu betreiben.

Das Kino droht im Dauerfeuer von Netflix, Disney+ & Co. unterzugehen. Das Publikum wird zu Hause derart mit Video-Content zugeballert, dass es gar nicht mehr auf die Idee kommt, das Kinoprogramm zu checken. Blockbuster, die früher gezogen hätten, fahren Verluste ein. Im Ergebnis schaffen es nur noch Prequels und Sequels, Verfilmungen von Comics, Büchern, Videospielen und Biografien auf die große Leinwand. Ein Sommerhit, der auf nichts Vorhergehendem basiert? Mittlerweile undenkbar. Im vergangenen Kinojahr funktionierten nur Top Gun, Avatar, Indiana Jones und Fast X. Bald folgen Mission Impossible und die Biografie Oppenheimer.

Hollywoods Lust am Wiederkäuen bringt außer kostspieligen visuellen Effekten noch andere Probleme mit sich. Die Erzählstrukturen haben sich seit den Achtzigern verändert. Männliche Helden dominieren nicht mehr. Frauenfiguren tragen die Handlung, statt kreischendes Beiwerk zu geben. Das ist gut und richtig. Lucasfilm-Chefin Kathleen Kennedy überkompensiert dabei aber, verstrickt sich in den eigenen Dogmen und erzeugt bei vielen Fans kognitive Dissonanz, die zwar ihren geliebten Helden auf der Leinwand sehen, aber nicht mehr wiedererkennen. Das Alter der Leinwandveteranen tut sein Übriges dazu. Enttäuscht von den erschlafften, vorgeführten und digital gelifteten Schatten einstiger Helden bleiben die Fans dem Kino bald fern. Der Spiegel nannte Indy V schon in der zweiten Woche Kassengift.

Star Wars und Star Trek, Alien, Ghostbusters, Indiana Jones und Terminator ergeht es am Ende gleich: Der ambitionierte Wiederbelebungsversuch verpufft in Enttäuschung. Irgendwann ist jedes Franchise verbrannt. Vielleicht denkt Hollywood sich dann etwas Neues aus. Um wieder Geschichten zu erzählen, statt nur Content zu erzeugen.

André Kramer
André Kramer

André Kramer

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