c't 13/2024
S. 116
Wissen
Transparenz

Ein großer Kampf

FragDenStaat-Projektleiter Arne Semsrott im Interview

Arne Semsrott leitet seit einem Jahrzehnt das Projekt FragDenStaat der Open Knowledge Foundation (OKF). Im Interview mit c’t spricht er über Erfolg und Misserfolg beim Kampf um mehr Transparenz von Politik und Verwaltung im Digitalzeitalter und ihre Bedeutung für die Demokratie in einer aufreibenden Zeit wie dieser.

Von Tim Gerber
, Bild: Arne Semsrott
Bild: Arne Semsrott

c’t: Arne, wie steht es aktuell um die Transparenz von Verwaltung und Politik in Deutschland?

Arne Semsrott: Es bleibt ein großer Kampf. Man hätte ja die Hoffnung haben können, dass sich mit der Ampelkoalition einiges zum Besseren wendet. Und diese Hoffnung ist auf jeden Fall nicht erfüllt worden. Wir beobachten, dass eine Partei, die in der Opposition für Transparenz kämpft, in dem Moment, wo sie an die Regierung kommt, nicht mehr unbedingt noch ein großer Verfechter derselben ist. Das sind einfach unterschiedliche Paar Schuhe. In der Opposition hatten die Grünen oft Probleme, selbst an Infos zu kommen. Die haben sie jetzt nicht mehr. Das führt aber nicht dazu, dass mehr Infos an die Öffentlichkeit kommen. Teilweise ist eher der gegensätzliche Trend zu beobachten.

c’t: Hast du da noch Hoffnung, dass doch noch das im Koalitionsvertrag versprochene Transparenzgesetz kommt?

Semsrott: Es gab mehrfach Ankündigungen, dass jetzt auch wirklich der erste Entwurf kommt, und es gab tatsächlich zwischendurch auch konkrete Daten, die uns genannt wurden. Die wurden immer wieder nicht eingehalten. Es gibt mächtige Gegenspieler. Im Bundeskanzleramt sitzt an einer entscheidenden Stelle Wolfgang Schmidt [Anm. d. Red.: Chef des Bundeskanzleramts, SPD]. Und die ganzen Affären um Gedächtnislücken von Olaf Scholz und Kalendereinträge, die dann nicht mehr auffindbar sind und dergleichen, die sind immer auch mit ihm verbunden. Es liegt in der Natur der Sache, dass der kein Fan von einem Transparenzgesetz ist und das merkt man in diesem Verfahren auch.

Die Hoffnung ist also eher nicht so ausgeprägt. Die große Herausforderung ist es, erst mal einen Referentenentwurf zu schaffen, der dann an die anderen Ressorts geht. Diese Hürde ist immer noch nicht genommen. Wird langsam Zeit. Wenn es jetzt im September keinen fertigen Kabinettsentwurf gibt, dann wird die Zeit wahnsinnig knapp. Der muss dann ja noch durchs Kabinett, den Bundestag und seine Ausschüsse, und wir haben nächstes Jahr Wahlkampf. Da wird nicht mehr viel passieren. Mit der nächsten Bundesregierung – so viel kann man jetzt ja schon vermuten – wird es auf keinen Fall besser.

c’t: Nun gibt es ja schon ein Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Warum braucht man dann noch das Transparenzgesetz?

Semsrott: Diesem Gesetz merkt man sein Alter schon sehr gut an. Es wurde nach viel Kampf vom Bundestag 2005 verabschiedet und damals war die Welt der Informationsfreiheit eine andere. Die war noch viel stärker als heutzutage aktengebunden. Wir hatten damals nicht die mobile Kommunikation, wie wir sie heute haben. Heute ist es natürlich auch für Regierungsmitglieder ganz selbstverständlich, per SMS oder Signal oder was auch immer zu kommunizieren. Das Internet war nicht mitgedacht bei diesem Gesetz. Da ging es größtenteils darum, dass Behörden Akten haben und die dann per Post Antragstellern zugeschickt werden. Wenn wir wirkliche Impulse haben wollen für ein modernes Transparenzgesetz des 21. Jahrhunderts, brauchen wir einfach ein neues Gesetz.

c’t: Macht es einen wesentlichen Unterschied, dass mit dem neuen Gesetz die Behörden auch proaktiv ihre Informationen veröffentlichen müssen, ohne Antragstellung durch einzelne?

Semsrott: Genau! Es ist eigentlich nicht mehr vermittelbar, dass man Informationen darüber, wie Steuergeld ausgegeben wird, heute noch extra anfragen muss. Es ist in vielen anderen Staaten inzwischen total normal, dass beispielsweise Verträge der öffentlichen Verwaltung von sich aus veröffentlicht werden. Und warum das in Deutschland nicht möglich sein soll, erschließt sich mir einfach nicht.

Mit ihrem Kampf für mehr Transparenz von Politik und öffentlicher Verwaltung will sich die Plattform FragDenStaat im Idealfall selbst überflüssig machen.
Mit ihrem Kampf für mehr Transparenz von Politik und öffentlicher Verwaltung will sich die Plattform FragDenStaat im Idealfall selbst überflüssig machen.

c’t: Es gibt in einzelnen Bundesländern schon so etwas. Habt ihr da Erfahrungen, wie gut das funktioniert oder nicht?

Semsrott: Wenn man mit Verwaltungsmitarbeitern spricht, kann man den Eindruck bekommen, dass Transparenz dazu führen würde, dass einem der ganze Laden um die Ohren fliegt. Offensichtlich ist das nicht passiert. Eine Verwaltung kann sich auch an Transparenz gewöhnen und das hat zur Aufdeckung von Skandalen geführt, einer Korruptionsaffäre in Hamburg zum Beispiel um den Verkauf von Rolling-Stones-Tickets. Hamburg ist da immer noch Vorreiter, aber auch Rheinland-Pfalz, Thüringen haben etwas in die Richtung.

Es hat sich schon einiges getan. Die Impulse kommen sehr klar von Länderseite, die man im Bund aufnehmen müsste. Vor allem hat so eine Transparenz aber eine präventive Wirkung. Also wenn eine Verwaltung vorher weiß: Das, was ich hier erstelle, das kommt an die Öffentlichkeit, dann wird anders damit umgegangen.

c’t: Bei vielen Projekten behaupten politisch Verantwortliche auf Nachfrage gern, dass es im Moment Wichtigeres gebe. Wie wichtig findest du mehr Transparenz in der jetzigen politischen Situation?

Semsrott: Also, es wird ja wahnsinnig viel über die Demokratiekrise gesprochen und über fehlendes Vertrauen in die Institutionen und wie stark die Demokratie bedroht wird. Ich finde es seltsam, dass in dem Zusammenhang so wenig über Transparenz gesprochen wird. Sie wäre ein wichtiger Grundpfeiler, auch um zum Beispiel Verschwörungsmythen gegenüberzutreten. Dafür ist dieses Gesetzesvorhaben eine Voraussetzung, damit die Demokratie wieder ein bisschen mehr Schwung bekommt.

Arne Semsrott an seinem Arbeitsplatz im Berliner Büro der Open Knowlegde Foundationen, Bild: Tim Gerber
Arne Semsrott an seinem Arbeitsplatz im Berliner Büro der Open Knowlegde Foundationen
Bild: Tim Gerber

c’t: Ziemlich aktuell ist die Sache mit den Corona-Akten vom RKI, die von einem eher rechten Medium herausgeklagt wurden. Wie schätzt du den Vorgang ein?

Semsrott: Sensationell dumm gespielt vom Gesundheitsministerium! Hätte es diese Protokolle von sich aus herausgegeben und die ein bisschen erklärt und eingeordnet, wäre es ein Leichtes gewesen, alle Vorwürfe, die danach aufgekommen sind, zu entkräften. Wenn man aus so einer Blockadehaltung heraus alles dafür tut, dass Informationen geheim bleiben, selbst unspektakuläre Infos, die diese RKI-Protokolle größtenteils sind, dann kommen natürlich die Verschwörungsleute zu einem. Also ein hausgemachtes Problem.

c’t: Dass die Transparenz dann eventuell eben auch Verschwörungsanhängern nützt oder sogar ausländischen Geheimdiensten, muss man also in Kauf nehmen?

Semsrott: Das ist halt eine plurale Demokratie, wo es unterschiedliche Interessen gibt. Ich glaube nicht, dass das ein Problem der Transparenz ist, sondern ein Problem des demokratischen Diskurses. Wenn Informationen erst über die Gerichte letztlich nur einer Klagepartei zugespielt werden, hat die natürlich die exklusive Möglichkeit, damit umzugehen. Hätte das Gesundheitsministerium vor einem Jahr das von sich aus veröffentlicht, hätten Journalistinnen und Journalisten das von sehr unterschiedlichen Seiten beleuchten können.

c’t: Im Prinzip kann jedermann nach dem IFG Zugang zu Behördenakten bekommen. Wozu braucht man dann so eine Plattform, wie ihr sie mit FragDenStaat betreibt?

Semsrott: Leider ist es in der Praxis immer noch schwierig, Infos auf einem anderen Weg zu bekommen. Es ist die Frage, wie dieses eher theoretische Recht auf Zugang zu Informationen in der Praxis umgesetzt wird. Und da sieht man, dass Behörden es einem viel leichter machen könnten, Infos zu bekommen. FragDenStaat versucht, es zumindest einfacher zu machen. Zum Beispiel erst mal Kontaktdaten von Behörden bereitzustellen und Formtexte, die es einem ermöglichen sollen, dieser Behördenmacht nicht ganz alleine gegenüberzustehen. Wir stellen eine Öffentlichkeit für Anfragen her, die dazu führt, dass Behörden auch wirklich antworten. Die Erfahrung ist ja, dass, wenn man abseits von der Plattform Anfragen stellt, sie ganz einfach nicht beantwortet werden. Anfragen müssen idealerweise nicht zweimal gestellt werden, sondern alles, was schon befreit wurde, findet man dann direkt auf unserer Plattform.

Das ist die Idee von FragDenStaat. Wir haben aber auch gemerkt über die Zeit, dass es eben nicht reicht, einfach nur den Erstkontakt herzustellen, sondern dass wir mit strategischen Klagen auch einige Grundsatzfragen klären müssen, weil nicht alle Menschen das Kleingeld haben oder das große Geld, um dann selbst zu klagen, und das machen wir dann.

c’t: Wie würdest du den Trend einschätzen in der Rechtsprechung? Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig spielt ja eine ganz große Rolle. Wie siehst du die Entwicklung dort über die 20 Jahre Praxis mit dem IFG im Bund?

Semsrott: Wir haben inzwischen fast 200 Klagen eingereicht und wir gewinnen fast alles. Das meiste, was wir gewinnen, ist dann am Schluss aber nicht so spektakulär. Entweder weil sich eine Klage erledigt oder weil die Behörden nach Klageeinreichungen lieber kein Urteil riskieren wollen und die Akten dann doch herausgeben. Oder es sind Untätigkeitsklagen und die spuren, wenn man Klage eingereicht hat. Manchmal gibt es ein Erstinstanz-Urteil und danach werden die Infos rausgegeben.

Das Problem sind eher die größeren, brisanteren oder spektakuläreren Fälle, die durch die meisten Instanzen gehen und dann eben in Leipzig landen. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ist merklich konservativer geworden. Man merkt diesen Urteilen vor allem ein großes und ungerechtfertigtes Vertrauen in die Verwaltung an. Wir haben einige Urteile kassiert, denen man, wie ich finde, ansehen kann, dass das BVerwG skeptisch ist gegenüber der Informationsfreiheit.

So hat es das Gericht zum Beispiel für rechtmäßig befunden, dass Behörden hohe Gebühren für einzelne Anfragen festsetzen können. Das hätte man durchaus anders entscheiden können. In einer seltsamen Entscheidung hat es für rechtmäßig befunden, dass Twitter-Direktnachrichten und damit dann auch SMS und ähnliche Nachrichten über Kurznachrichtendienste nicht herausgegeben werden müssen, wenn sie nicht veraktet werden. Was den Behörden ein Mittel in die Hand gibt, Sachen einfach nicht zu verakten, um sie dann nicht herausgeben zu müssen.

Und wir sehen immer wieder Urteile, mit denen das BVerwG den Spielraum für Informationsfreiheit deutlich einschränkt, sodass wir uns inzwischen überlegen müssen, ob wir mit manchen Grundsatzfragen da eigentlich noch hinwollen oder ob wir nicht vielleicht eher auf Leaks setzen als auf das Informationsfreiheitsgesetz.

c’t: Aber am Anfang war das nach unserer Beobachtung ein bisschen anders. Da hat das BVerwG noch einige der Informationsfreiheit förderliche Entscheidungen getroffen und die vornehmlich aus Berlin kommende Rechtsprechung in diesem Sinne korrigiert.

Semsrott: Genau, das ist aber eine Sache der Zuständigkeiten im Bundesverwaltungsgericht. Die Besetzung dieses Senats hat mehrfach gewechselt und es ist traditionell der Präsidenten-Senat, der zuständig ist. Wenn man sich die Biografie des Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts ein bisschen anschaut, dann überrascht es auch nicht, dass er kein großer Fan der Informationsfreiheit ist.

c’t: Du greifst mitunter zu illegalen Methoden – jedenfalls nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Berlin. Du hast Akten aus einem Strafverfahren veröffentlicht, bevor sie Gegenstand einer mündlichen Verhandlung gewesen sind, nämlich zur letzten Generation. Warum?

Semsrott: Aus zwei Gründen. Zum einen, weil ich im konkreten Fall der Meinung bin, dass die Öffentlichkeit ein Recht hat zu erfahren, was genau in Beschlüssen von Gerichten zur letzten Generation drinsteht. Wenn wir uns diese Ermittlungen gegen die letzte Generation wegen der angeblichen Bildung einer kriminellen Vereinigung anschauen, dann sind das Ermittlungen mit enormen Grundrechtseingriffen. Es gab Hausdurchsuchungen bei Leuten, die für Mitglieder der letzten Generation gehalten wurden, Telekommunikationsüberwachung, das Pressetelefon wurde abgehört, das heißt auch besonders geschützte Kommunikation mit Journalistinnen und Journalisten. Da gab es wirklich massive Maßnahmen und die wurden stark öffentlich diskutiert. Dann müssen auch die zugrunde liegenden Beschlüsse, also in dem Falle vom Amtsgericht München, öffentlich bekannt sein, weil nur dann darüber diskutiert werden kann, ob diese Maßnahmen denn gerechtfertigt sind. Das Problem ist nur, dass es eben verboten ist, diese Beschlüsse zu veröffentlichen.

Das ist nach meiner Überzeugung mit der Pressefreiheit nicht vereinbar. Ich glaube – und das ist der zweite Punkt – dass so ein absolutes Verbot einer Veröffentlichung letztlich gegen das Grundgesetz, gegen die Verfassung verstößt und auch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Die Presse soll frei berichten. Wenn man ganz pauschal ohne eine Abwägung mit der Pressefreiheit verbietet, bestimmte Dokumente zu veröffentlichen, dann haben wir da einen Konflikt und der gehört gerichtlich geklärt.

c’t: Im Oktober steht die mündliche Verhandlung an. Wie fühlt sich das an, so auf der Anklagebank zu sitzen, und was droht dir persönlich in dem Verfahren?

Semsrott: Nach dem Gesetz bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe. Aber ich würde in dem Fall eher von einer Geldstrafe ausgehen.

c’t: Obwohl du ja uneinsichtig bist?

Semsrott: Uneinsichtig, aber dafür geständig immerhin. Ich nehme das sportlich. Also mir war klar, was da kommen könnte. Und das ist eine willkommene Gelegenheit, um diese Grundsatzfrage mal klären zu lassen. Das Gericht hat jetzt schon durchblicken lassen, dass es auch das öffentliche Interesse anerkennt, die Staatsanwaltschaft sowieso. Deswegen ist es ja direkt beim Landgericht und nicht beim Amtsgericht gelandet. Das heißt, alle Parteien sind sich bewusst, dass es hier um eine Grundsatzsache geht, und dann ist es für mich auch okay, ein gewisses persönliches Risiko in Kauf zu nehmen.

c’t: Das heißt, es besteht auch Hoffnung, dass das Gericht das Verfahren aussetzt und die Frage zuerst dem Bundesverfassungsgericht vorlegt?

Semsrott: Das könnten die machen und das haben wir auch angeregt. Ich gehe davon aus, dass sie das nicht tun. Dann gehen wir halt in nächster Instanz zum Bundesgerichtshof und danach nach Karlsruhe. [Anm. d. Red.: Der für die Revision in diesem Fall zuständige 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat seinen Dienstsitz in Leipzig, mit Karlsruhe ist das Bundesverfassungsgericht gemeint.]

c’t: Über eines der letzten Urteile des BVerwG habt ihr euch sehr beklagt. Kannst du kurz erläutern, worum es da ging?

Semsrott: Das war ein Verfahren, in dem wir am Schluss gar nicht mehr beteiligt waren. Wir sind in der Instanz davor schon als zunächst Beigeladene ausgeschlossen worden, was ich skandalös finde. Es ging um die Frage, ob Antragsteller nach dem IFG direkt schon bei Antragstellung ihre Postadresse gegenüber Behörden offenlegen müssen. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit war der Ansicht, dass das nicht geschehen muss. Das Innenministerium hat das aber standardmäßig verlangt. Der Bundesbeauftragte hat deswegen nach Datenschutzrecht das Ministerium angewiesen, diese Postadressen nicht mehr in jedem Fall zu erheben. Dagegen hat das Ministerium geklagt und hat vorm Oberverwaltungsgericht verloren. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Urteil jetzt aber wieder umgedreht. Das bedeutet, dass Behörden jetzt immer von allen Antragstellern nach dem IFG die Postadresse anfordern können. Nicht müssen, aber können. Und das gibt aus unserer Sicht den Behörden sehr viel Munition, um dieses schwierige Recht auf Informationszugang noch weiter abzuschießen.

c’t: Warum?

Semsrott: Wenn wir uns die Situation anschauen, in denen Menschen Anfragen nach dem IFG stellen, sind das oft nicht Profis wie du und ich, die das eh die ganze Zeit machen und schon wissen, wie es läuft, und die dann auch kein Problem damit haben, vielleicht ihre Arbeitsadresse anzugeben. Sondern es sind Leute, die vielleicht in einer ein bisschen vulnerableren Position sind, die eh schon Angst haben vor Behörden und die dann nach einer Anfrage direkt damit konfrontiert werden, dass sie ihre Postadresse angeben sollen, ohne genau zu wissen, was damit passiert.

Das dient genauso wie Gebühren der Einschüchterung und führt – das sehen wir über FragDenStaat – dazu, dass häufig Leute ihre Anfrage zurückziehen. Gebühren zu veranschlagen oder eine Postadresse von Leuten anzufragen, sind für Behörden Möglichkeiten der Einschüchterung. Sie führen dazu, dass weniger Menschen ihr Recht auf Information durchsetzen können.

Wenn diese Maßnahmen zusammenkommen, bleiben am Ende eben nur noch Leute wie du und ich übrig, die Profis halt. Das ist dann sehr weit entfernt von dem ursprünglich angedachten Jedermannsrecht auf Informationsfreiheit.

c’t: Über FragDenStaat könntet ihr ja jede Anfrage stellvertretend für andere stellen und über eure Geschäftsadresse abwickeln?

Semsrott: Das diskutieren wir tatsächlich gerade. Und auch eine Funktion, wo User untereinander Patenschaften für Anträge übernehmen können – so würden wir das jetzt nennen. Wenn sich jemand nicht traut, in seinem eigenen Namen mit seiner Postadresse eine Anfrage zu stellen, dann stellt er sie auf unsere Plattform und andere Leute können das dann im eigenen Namen machen. Das ist eine Möglichkeit.

Wir überlegen auch so was zu machen wie einen zentralen Postdienst: Wir stellen jetzt alle Anfragen, die User vorschlagen, und dann hat die Verwaltung auf einmal Tausende Anfragen von FragDenStaat. Hier würde das so ein bisschen automatisiert. Alles ein gangbarer Weg und wir werden da auch was machen. Wir werden auch die Scanmöglichkeiten über FragDenStaat deutlich verbessern, sodass es einfacher wird, zum Beispiel die Briefe, die man bekommt, bei uns zu veröffentlichen.

Anderseits sind wir Nerds genug, dass wir wissen, dass diese Zentralisierung ihre Probleme birgt. Und wenn wir uns eine Situation vorstellen, in der vielleicht eine Bundesregierung oder eine Landesregierung in Berlin oder anderswo eine andere politische Couleur hat und es sich zum Ziel gesetzt hat, jetzt FragDenStaat über Gemeinnützigkeit oder andere Möglichkeiten abzuschießen, dann ist das der Point of Vulnerability.

Allein wegen dieses Angriffspunkts ist eine Zentralisierung schwierig. Wir machen es, wo es notwendig ist. Wir geben auch nicht auf und wir kämpfen. Aber Dezentralisierung ist schon sinnvoller und ist eigentlich unser Ziel. Im Grunde wollen wir zu einer Situation kommen, wo es FragDenStaat irgendwann nicht mehr braucht. Wir wollen uns letztlich abschaffen können, weil in diesem utopischen Zustand alle Leute sehr einfach ihre Infos kriegen und FragDenStaat nicht mehr dafür brauchen würden. (tig@ct.de)

Rechtsgrundlagen Transparenz: ct.de/yfe9

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