c't 15/2024
S. 168
Story
Die Wolke
Bild: KI Midjourney, Bearbeitung: c’t, inspiriert von Franz Kafkas Zeichnung „Der Mann am Tisch“

Die Wolke

Am 3. Juni 2024 hat sich der Todestag des Prager Schriftstellers und Versicherungsjuristen Franz Kafka zum hundertsten Mal gejährt. Aus diesem Anlass sei dem für albtraumhaft-beklemmende Erzählungsverläufe berühmten Autor eine in passendem Sprachstil verfasste c’t-Story gewidmet, in der es um die ganz und gar jetztzeitige Arbeit mit Software geht.

Von Monika Oertner

Der Redakteur Marek O. nutzte, ebenso wie die übrigen Verlagsbediensteten, für seine Schreibarbeit ein zeitgemäßes Werkzeug aus dem Hause Winzig, erprobt, gut und zuverlässig und wie selbstverständlich zu bedienen. Für das Tagwerk unverzichtbar schien es jedermann in der Redaktion, und es war fürsorglich und mahnte, wann immer man das Schreiben unterbrach, seine Worte vor dem Vergessen zu bewahren und das Werk im Speicher abzulegen. Marek O., brav und wohlgelitten im Kreise der Kollegen, führte Tag für Tag und ohne zu murren die ihm zugeleiteten Aufgaben aus, große wie kleine, erquickliche wie ermüdende. Noch nebenher schrieb er seit einiger Zeit an einem umfangreichen Auftragsartikel, dessen Gegenstand ihm sehr am Herzen lag. Seine Gedanken und Nachforschungen waren in stetem Strome zu einem Text zusammengeflossen, auf den er mit einigem Stolze hinsah, während er Tippfehler bereinigte, an den letzten Ungereimtheiten schliff, hier ein Wörtlein anfügte, dort ein anderes ersetzte, dabei sein Werk reifen und mit jeder Revision der Vollendung nahen fühlte.

Endlich zufrieden, verfasste er eines Morgens begleitende Zeilen an die Chefredaktion, als sich der Artikel mit einem Male nicht mehr aufschlagen ließ: Anstatt dicht gefüllter Seiten erblickte Marek eine leere Fläche, worauf, nur einen Herzschlag später, eine rechteckige Meldetafel folgenden Wortlauts prangte: „Ihr Dokument ist in der Wolke derzeit nicht auffindbar, versuchen Sie es später erneut.“ Den guten Rat beherzigend, erzielte Marek an diesem Tage noch viele Male das gleichbleibende Ergebnis, und verdrossen, seine Arbeit, so kurz vor dem Abschlusse stehend, nun durch die Kapriolen des Schreibwerkzeugs verzögert zu sehen, nahm er sich anhängige Bureau-Aufgaben vor, eine um die andere, doch auch nach deren jeweiliger Erledigung erhielt er, sobald er um Zugang zu seinem Artikel ersuchte, keine bessere Auskunft als eben jene abschlägige.

Kommentieren