iX 10/2016
S. 3
Editorial
Oktober 2016
Jürgen Seeger

Meine Cloud, deine Cloud

Früher, als alles schlechter war, fand man das normal. Wer einen Großrechner von – beispielsweise – IBM kaufte, hatte gefälligst auch Terminals, Tastaturen und Drucker bei Big Blue zu ordern. Das galt nicht nur für die Hardware, sondern auch für die Software. Offene Schnittstellen, dokumentierte Protokolle? Fehlanzeige.

Wer schon etwas länger dabei ist, wird sich noch an den Begriff „offene Systeme“ erinnern. Das war nicht nur ein Marketing-Slogan, den die Unixler gegen die abgeschottete Welt der IBM-Mainframes ins Feld führten. Er bezeichnete auch ein Architektur- und Konstruktionsprinzip, das auch die PC-Welt dominiert: Über definierte Schnittstellen sollten die Kunden ihre IT-Landschaft mit Produkten verschiedener Hersteller frei kombinieren können. Um das Wirklichkeit werden zu lassen, bedurfte es vieler Konsortiumsgründungen, Konferenzen und Hinterzimmerabsprachen. Alle marktführenden Hersteller waren dabei, ihre Vertreter konnten Bonusmeilen im siebenstelligen Bereich sammeln.

Immerhin konnte sich das Ergebnis, obwohl es nicht immer idealtypisch war und nie bis aufs letzte i-Tüpfelchen funktionierte, unter dem Strich sehen lassen. Man konnte einen Drucker von HP an einen Rechner von Siemens anschließen und darauf eine Textverarbeitung von WordPerfect betreiben. Die Basis dafür waren – mehr oder weniger gemeinsam – definierte Standards.

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, viele kennen es auch gar nicht anders. Über Vendor-Lock-in diskutierte man allenfalls noch im Zusammenhang mit Windows-Anwendungen, die es für andere Betriebssysteme nicht gab.

Bis das Cloud-Computing aufkam. Plötzlich erscheint es wieder normal, sich an einen Hersteller zu binden. Wer „Irgendetwas as a Service“ bei AWS bucht, kann nicht einfach so zu Microsofts Azure wechseln. Was obendrein die Angebote schwer vergleichbar macht, sobald es um mehr als ein bisschen Storage geht, die Unterschiede in den Sicherheitslevels vernebelt und so fort.

Was offensichtlich fehlt, ist ein Set von Standards, der die wichtigsten Eckpunkte definiert, Dienste über veröffentlichte Schnittstellen miteinander kommunizieren lässt und sie letztendlich austauschbar macht. Nur so ist auch Wettbewerb und Markttransparenz herstellbar.

Es gibt dazu verschiedene Ansätze wie den EuroCloud Star Audit oder die schon 2014 veröffentlichte ISO-Norm 27018 für den Cloud-Datenschutz. Deren Reichweite ist aber nicht hinreichend, weil sie sich überwiegend auf Sicherheit und Datenschutz konzentrieren. Ambitionierter war das Projekt DBCE, Deutsche Börse Cloud Exchange, das verschiedene Anbieter dahin bringen wollte, vergleichbare, austauschbare Angebote einzustellen. DBCE musste leider Anfang 2016 seinen Dienst einstellen.

Erfolgversprechender könnte ein Vorstoß sein, den VMware jüngst auf seiner Hausmesse in Las Vegas gewagt hat. VMware Any Cloud besteht aus der Cloud Foundation und den Cross-Cloud Services. Damit sollen sich Cloud-Services von Amazon, HPE, IBM und wem auch immer verwalten und einfach gegeneinander austauschen lassen. Das betrifft auch den Übergang von On-Premises und Hybrid zu Public Clouds, etwa von vSphere zu AWS. Koordinieren sollen das alles – natürlich – VMwares Managementwerkzeuge (siehe Seite 29 in diesem Heft). Bei IBM ist man davon so begeistert, dass man gleich selbst seine Dienste dafür anbietet und von eigenen Cloud-Management-Tools nicht mehr spricht.

Ob VMware Any Cloud wirklich ein wichtiger Schritt zum „offenen“ Cloud-Computing wird, hängt nun von VMware selbst ab. Wenn die Kalifornier ihre Schnittstellen eifersüchtig hüten und Nachahmer mit Klagen überziehen, wird ihre Any Cloud nicht mehr als YACP (Yet Another Cloud Project). Wenn sie das System öffnen und sich dem Wettbewerb stellen, könnte Any Cloud der Anfang vom Ende des Vendor-Lock-in beim Cloud-Computing sein.

Unterschrift Jürgen Seeger Jürgen Seeger