iX 8/2017
S. 34
Titel
Enterprise-Linux
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Anbieter für Linux in Unternehmen

Koalitionsfähig

Lässt man die Nischenprodukte außen vor, reduziert sich die Zahl der Linux-Distributoren, die fertige Systeme für den produktiven Einsatz im Rechenzentrum anbieten, auf ein recht übersichtliches Maß. Ein Blick auf Red Hat, SUSE und Co.

Bei Anbietern von Linux-Distributionen im Unternehmenseinsatz fallen einem zunächst Red Hat, SUSE und Canonical ein. Bei genauerem Hinschauen lassen sich noch Oracle, Univention oder Collax nennen, womit ein weiterer Red-Hat- und ein zusätzlicher Debian-Klon vertreten wäre (siehe Kasten „Jenseits der Platzhirsche“). Sicherlich gibt es einige größere Umgebungen, die das freie Community-Linux des Debian-Projekts professionell einsetzen, allerdings erfordert dies entweder entsprechendes Know-how im jeweiligen Unternehmen oder geeignete Dienstleister für den Support. Daher finden sich bei Installationen im großen Maßstab meistens die Linux-Varianten von Red Hat und SUSE, weshalb sich der weitere Artikel auf diese beiden Distributoren konzentriert.

Sowohl Red Hat als auch SUSE haben als klassische Linux-Distributoren begonnen, wobei beide schon deutlich länger als 20 Jahre im Geschäft sind. Sie heute noch als Distributoren für das freie Betriebssystem zu bezeichnen, ist allerdings schon fast falsch, haben sie inzwischen doch ein recht umfangreiches Portfolio, das weit über das Betriebssystem Linux hinausgeht. Dazu gehören etwa IaaS- (Infrastructure as a Service) oder SDS-Produkte (Software-defined Storage). Außerdem liegt das Kerngeschäft dieser bekennenden Open-Source-Firmen nicht im Verkaufen von Schachteln mit Software; Dienstleistung im Sinn von Betriebsunterstützung, Beratung und anderer Hilfestellungen sind die eigentlichen Produkte.

SLES war gestern, heute und morgen

Auf seiner Webseite präsentiert SUSE mehr als 20 Produkte (Abb. 1).

Die Webseite der Open-Source-Firma aus Nürnberg listet über 20 Produkte (siehe Abbildung 1). Der Großteil davon sind allerdings spezielle Varianten des hauseigenen Enterprise-Linux SLES (SUSE Linux Enterprise Server) [1]. Der Interessent findet Versionen für Architekturen außerhalb von x86, beispielsweise ARM, Power und Mainframes. Eine andere SLES-Dimension deckt unterschiedliche Anwendungsfälle ab. Es gibt eine Variante für SAP-Anwendungen oder eine für den Einsatz mit kurzen und vorhersagbaren Latenzzeiten (Echtzeit oder auf Neudeutsch: Real Time). Die Liste ließe sich noch eine ganze Weile fortsetzen und würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.

Eine Linux-Distribution ist aber nur eine von vielen Komponenten eines heutigen Rechenzentrums – egal ob in Software definiert oder nicht. Um SLES oder RHEL einsetzen zu können, bedarf es eines soliden Unterbaus. Diesen als Dienstleistung und über Schnittstellen anzubieten und aufzubauen, ist der derzeit angesagte Trend. Wer eigene Hardware betreibt und Open Source eine hohe Priorität zuordnet, kommt an OpenStack nicht vorbei. Fans der freien Wolke finden bei SUSE ebenfalls ein Zuhause. Selbstredend werkelt hier ein SLES unter der Haube, aber die Anforderungen an die SUSE OpenStack Cloud sind andere als die an ein Linux-System für den Stand-alone-Server oder den Bürorechner. Schon in der Minimalfassung müssen die Leute des Open-Source-Dienstleisters aus Nürnberg Expertenwissen in Storage- und Netzwerktechnik mitbringen – gleich, ob es um Switching, Routing, Firewalling oder Storage Networking geht.

Speichernetze kann der Chamäleon-Fan auch komplett eigenständig betreiben. Das Stichwort heißt „SUSE Enterprise Storage“ (SES). Der Artikel „Storage Wars“ ab Seite 40 widmet sich SES 4 und seinem Pendant Red Hat Ceph Storage 2 (RHCS2) ausführlich. Die Veröffentlichung dieses Produkts Anfang 2015 markiert für den Autor eine Art Paradigmenwechsel. Bis dahin bekam der Kunde bei SUSE ein Linux mit YaST für die Systemkonfiguration und andere Komponenten, allen voran SUSE Manager und SUSE Studio für das Verwalten von SLES oder Images im großen Format, zugeschnitten auf das eigene RZ.

Ein Paradigmenwechsel

Heute dreht sich nicht mehr alles um das Prozessieren von Daten im Rechner, neudeutsch: Compute, also das optimierte Ausführen von Prozessen wie Webbrowser, Textverarbeitung oder Berechnungen beliebiger Art, sondern um das Entgegennehmen, Verarbeiten und Ausgeben von Daten im Festplatten-Sprech.

Die Schöpfer von Mac OS X, BSD, Debian oder anderer Distributionen und Windows sind weitestgehend im Bereich Betriebssystemhersteller anzusiedeln. Mit SES betrat SUSE eine komplett neue Arena und muss sich nun mit anderen „Spielern“ auseinandersetzen: Zu nennen wären vor allem EMC, HPE, IBM und NetApp. Eine besondere Hürde: Ausgerechnet Red Hat hat mit Inktank genau die Firma gekauft, die maßgeblich hinter der Entwicklung der verwendeten Software Ceph steht. Analog zu SUSE OpenStack Cloud erfinden die Nürnberger auch bei SES das Rad nicht komplett neu. Als Fundament für das Paket zur verteilten Datenspeicherung dient SLES.

Red Hat hat seine fast 30 Produkte zur besseren Übersichtlichkeit verschiedenen Kategorien zugeordnet (Abb. 2).

Eigentlich sieht die Situation bei Red Hat ähnlich aus. Man könnte sogar behaupten, dass die Entwicklung dort ein bisschen weiter fortgeschritten ist. Mit der Übernahme von JBOSS im Jahr 2006 hat sich Red Hat deutlich sichtbar von dem Fokus des Linux-Distributors verabschiedet. Die Produktseite listet fast 30 Einträge auf. Wie in Abbildung 2 zu sehen, sind diese glücklicherweise in Kategorien unterteilt, damit Interessenten nicht komplett in der Informationsflut untergehen.

Analog zu SUSE finden sich Variationen der hauseigenen Linux-Distribution RHEL (Red Hat Enterprise Linux) [2]. Es ist nicht verwunderlich, dass Red Hat ebenfalls unterschiedliche Architekturen und Anwendungsfälle abdeckt. Die Auswahl ist zwar etwas kleiner als bei SLES, sollte dennoch die typische IT-Landschaft zufriedenstellen.

In Sachen Cloud verfügt Red Hat über ein breiter angelegtes Portfolio als SUSE. Für das „nackte“ IaaS gibt es selbstredend ein „rotes“ OpenStack, die Red Hat OpenStack Platform. Daneben können die US-Amerikaner mit weiteren Angeboten zum Verwalten mehrerer Wolken oder Kombinationen von Einzelprodukten rund um die Cloud aufwarten (siehe „Alle Links“ am Ende des Artikels).

Kenner der Szene wissen, dass SUSE eigentlich früher auf den OpenStack-Zug aufgesprungen war. Inzwischen ist Red Hat hier aber ganz vorn dabei. Ein gern benutztes Instrument sind die Statistiken, welche Firma wie viel Prozent zum Quellcode einer OpenStack-Version beigetragen hat. In den Datenspeichermarkt ist Red Hat früher als SUSE eingestiegen. Den Anfang markiert die Übernahme von Gluster im Jahr 2011 – also mehr als drei Jahre vor SUSEs erstem SES. 2014 erfolgte die oben angesprochene Eingliederung von Inktank, der bis dahin treibenden Kraft hinter Ceph.

Vorsprung durch Gemeinsamkeit

Beide Softwareansätze für die Datenspeicherung – Ceph und GlusterFS – visieren fast identische Zielgruppen an. Spekuliert wurde darüber, dass Red Hat sich für einen Ansatz entscheidet. Tatsächlich sind aber beide noch im Portfolio. Das bleibt auch erst einmal so. Nach Aussage von Red Hat will die Firma ein Paket anbieten, das im Hintergrund entscheidet, welche Technik sich für den jeweiligen konkreten Anwendungsfall am besten eignet. Dabei ist nichtflüchtiger Speicher für Container die „neue Mission“ von GlusterFS.

Die vielfältigen Produkte von Red Hat ergeben ein rundes Gesamtbild (Abb. 3).

Übrigens, das für SUSE Gesagte gilt auch hier: Wenn möglich dient das hauseigene Enterprise Linux als Fundament für andere Produkte wie die OpenStack Platform oder Ceph Storage. Apropos Container: Hier hat Red Hat im Vergleich zu SUSE die Nase vorn und veröffentlichte bereits im März 2015 eine abgespeckte und angepasste RHEL-Version namens Atomic Host. Mit OpenShift gibt es eine auf Kubernetes basierende Software zur Container-Verwaltung dazu.

SUSE stellte letzten Herbst seine Idee einer CaaS-Plattform (Container as a Service) vor. Diese befand sich zur Entstehungsphase dieses Artikels im Betastadium, SUSE könnte sie mit Erscheinen dieser Ausgabe freigeben; der offizielle Termin lautet Sommer 2017. Wie Red Hat setzt SUSE ebenfalls auf Kubernetes. Wer die Szene aufmerksam verfolgt, weiß, dass SUSE aber auch im Cloud-Foundry-Lager aktiv ist. Dies kann verwirrend wirken. Die Idee dahinter ist aber, dass man dem Kunden keine Technik vorschreiben, sondern das für ihn geeignete Produkt anbieten möchte. Diese Vielfalt hat ihren Preis, zumindest auf den ersten Blick sieht das Angebot von Red Hat runder aus (siehe Abbildung 3).

Allerdings ist die Softwareauswahl nur eines von mehreren Kriterien für oder gegen einen bestimmten Hersteller. Gerade in traditionellen Rechenzentren ist die Frage nach der Betriebsunterstützung inklusive Erreichbarkeit, Reaktionszeiten und Lebensdauer von großem Interesse. Ein detaillierter Vergleich aller Produkte von Red Hat und SUSE könnte locker eine gesamte Ausgabe der iX füllen; eine Zusammenfassung auf wenigen Zeilen ist fast unmöglich.

Greift man exemplarisch die jeweilige Linux-Distribution heraus, finden sich auf den ersten Blick viele Gemeinsamkeiten. Beide Hersteller unterstützen die aktuelle Version zehn Jahre lang und gegen entsprechendes Entgelt sogar länger. Red Hat und SUSE erwarten, dass man immer die verfügbaren Aktualisierungen einspielt und auf dem letzten Update- beziehungsweise Service-Pack-Level ist. Weitere Details lassen sich auf den Webseiten der beiden Open-Source-Dienstleister nachlesen.

Übersteigt die Größe der IT-Landschaft ein gewisses Maß, wächst der Bedarf nach mehr Zuwendung durch den Softwarehersteller – idealerweise exakt zugeschnitten auf den Kunden. Sowohl SUSE als auch Red Hat bieten das als Dienstleistung an. Bei Letzteren läuft dies unter dem Namen „Technical Account Management“ (TAM), während es bei Ersteren „Premium Support“ heißt. Red Hat und SUSE ordnen hier einem Kunden individuelle Experten zu.

Maßgeschneiderte Betreuung

Deren typische Aufgaben bestehen in den regelmäßigen Qualitätskontrollen der Support-Tickets und dem proaktiven Versorgen mit unternehmensrelevanten Informationen. Dazu kommt ein verbesserter und meist schnellerer Zugang zu den Teams zur Betriebsunterstützung des jeweiligen Herstellers. Regelmäßige Vor-Ort-Besuche oder das Organisieren von Workshops zum Wissenstransfer sind ebenfalls enthalten.

Gerade in großen Unternehmen ist die maßgeschneiderte Unterstützung durch die Anbieter ein echter Mehrwert. Der Autor dieses Artikels kennt den Deluxe-Support beider Open-Source-Firmen aus eigener Erfahrung. Der subjektive Eindruck ist, dass die internen Dienstwege bei SUSE etwas kürzer und schneller sind als bei Red Hat. Die Tatsache, dass trotz der Übernahme-Odyssee durch Novell und Micro Focus die Mehrzahl der Produktmanager und Entscheider noch immer in Deutschland sitzen, spielt sicherlich eine Rolle.

Nach Amsterdam 2015 findet die SUSECon 2017 wieder in Europa statt, diesmal in Prag (Abb. 4).

SUSE bietet für seine Kunden regelmäßige Experten-Tage an. Techniker, Entwickler, Produktmanager führen dort neue Produkte oder Funktionen vor, geben Ratschläge zu Installation und Betrieb oder geben Neuigkeiten und andere interessante Informationen weiter. Für die Red-Hat-Fans gibt es die Convergence oder die OpenShift Commons. Nicht zuletzt halten sowohl SUSE als auch Red Hat jährliche Hauskonferenzen ab. Aus europäischer Sicht hat die SUSECon die Nase vorn. Seit einigen Jahren alterniert der Veranstaltungsort zwischen Nordamerika und Europa. Der Red Hat Summit wechselt lediglich zwischen den US-Küsten, genauer zwischen Boston und San Francisco.

Offen in der Gemeinschaft

Beide Open-Source-Firmen existieren nicht isoliert vom Rest der IT. Da drängen sich Fragen auf, etwa: Wie einfach ist der Zugang für Neukunden, gibt es Kooperationen und Partnerschaften mit anderen Dienstleistern oder wie ist der Umgang mit der Community? Jede dieser Fragen wäre fast einen eigenen Artikel wert. Für den vorliegenden Text soll es daher nur exemplarische Antworten geben.

Wer sich die Enterprise-Distributionen SLES und RHEL genauer anschauen möchte, benötigt nicht sofort einen Vertrag mit dem Hersteller. Auf einfache Weise lassen sich Evaluierungsversionen bekommen, herunterladen und testen. Das geht bei beiden bequem über die jeweiligen Webseiten. Dabei ist SUSE etwas großzügiger und lässt dem Interessenten ganze 60 Tage für seine Tests. Bei Red Hat sind es 30.

Analoge Konstrukte existieren für die Datenspeicher- und OpenStack-Pakete beider Hersteller. Für den Gebrauch in den eigenen vier Wänden lohnt sich die Anschaffung eines Enterprise-Abos wohl eher nicht. Das heißt aber nicht, dass man auf SLES- oder RHEL-Technik auf dem heimischen Rechner verzichten muss. Der Anwender kann auf die sogenannten Community-Versionen der bekannten Produkte zurückgreifen. Fedora und openSUSE erfüllen hier mehrere Funktionen. Sie sind Teil der Softwareentwicklung für die kommerziellen Produkte. Sie dienen als Spielwiese, Testumgebung und Rückmeldungskanal für neue oder weiterentwickelte Funktionen oder Ansätze.

Bei Red Hat ist die Auswahl etwas größer. Für das „nackte“ Linux kann der Benutzer außerdem auf CentOS zurückgreifen. Diese ursprünglich als RHEL-Klon initiierte Distribution gehört seit Anfang 2014 offiziell zum eigenen Haus. Auf der OpenStack-Seite wartet Red Hat ebenfalls mit einer Community-Variante auf. Der geneigte Leser sollte sich nach RDO (Red Hat Distribution for OpenStack) umschauen. Die Container-Community kann sich bei OpenShift Origin und beim Project Atomic bedienen. Wie der Kasten „Kooperation trotz Konkurrenz“ zeigt, sind sowohl SUSE als auch Red Hat in anderen Softwareprojekten aktiv.

Weiter oben war von Red Hats Beiträgen zu OpenStack die Rede. Kritische Leser bemerken vielleicht, dass die deutsche Systemschmiede hier etwas zurückliegt. Der erste Eindruck täuscht aber. So ist der langjährige SUSE-Mitarbeiter Andreas Jäger in der Qualitätssicherung des Codes sehr präsent. Den Vorsitz des Kreises der OpenStack-Direktoren hat seit 2012 Alan Clark inne – ein Kollege von Andreas Jäger. Ähnliches findet sich beim Ceph-Projekt. Zwar bezahlt Red Hat quasi einen großen Teil der ursprünglichen Entwickler von Inktank, einschließlich des Gründers Sage Weil. Aber im 2015 gegründeten Advisory Board findet man Lars Marowsky-Brée, einen maßgeblichen Antreiber der SUSE-Aktivität im Ceph-Umfeld.

Fazit

Red Hat und SUSE haben sich deutlich über die ursprüngliche Rolle eines Linux-Distributors hinaus entwickelt. Red Hats Produktpalette ist etwas größer und vielfältiger als die von SUSE – sowohl bei den kommerziellen als auch den Community-Varianten. Im OpenStack- und Ceph-Umfeld sind beide ausgesprochen aktiv. Allerdings sind die „Roten“ den „Grünen“ in der Container-Welt etwas voraus. Bei der Betriebsunterstützung bieten beide Hersteller eine Deluxe-Variante an.

Aus mitteleuropäischer Sicht scheinen hier die Dienstwege bei SUSE subjektiv etwas kürzer und schneller zu sein als Bei Red Hat. Bei beiden stehen die Zeichen auf Wachstum. Das belegen die Finanzberichte sowie die offenbar nicht enden wollenden Stellenausschreibungen. Nicht zuletzt sind beide Firmen inzwischen feste Größen in der IT im Allgemeinen und im Open-Source-Sektor im Besonderen. (sun)