iX 1/2020
S. 3
Editorial
Januar 2020

Ich will mich ja nicht beschweren, aber ...

Der Deutschen liebster Zeitvertreib, erklärte mir einmal ein amerikanischer Geschäftspartner, sei es, sich zu beschweren. „You Germans socialize through complaining“, so sein treffender Satz, der mir nie wieder aus dem Kopf gehen wird. Er erklärte, wie froh beispielsweise US-Bürger über ein derart gut ausgebautes und leistungsfähiges Bahnnetz wären, aber: „Ihr Teutonen schimpft doch lieber über Verspätungen und schlechtes Internet bei 300 km/h, während kein anderes Land diesen Logistik-Wahnsinn auch nur versucht. Wir stehen derweil im Stau.“ 

Nüchtern betrachtet bedeuten selbst 80 Prozent pünktliche Züge für den ­Berufspendler „nur“ zwei Verspätungen pro Woche, normalerweise ist das montagmorgens und freitagnachmittags, wenn das überlastete und vernachlässigte System an seine Grenzen kommt und auch die meisten Kfz-Pendler Stop-and-go erleiden. Aber über pünktliche Züge lässt es sich halt nicht so gut wettern. Apropos: Das („Bei jedem Wind und Wetter“) war ja früher ein Slogan der Bahnwerbung in der Prä-ICE-Zeit, wo D-Züge gelegentlich sagenhafte 160 km/h erreichten und die meisten Fahrten zwei- bis dreimal so lange dauerten, auch ohne klimawandelbedingte Extremwetterereignisse. Heute sind wir 2 Milliarden Bahnpassagiere (pro Jahr) immerhin manchmal online.

Bei allen Problemen bleibt der schnelle Fernverkehr ein großer, wichtiger und beliebter Standortvorteil für den Businessstandort Deutschland. Wer mal werktags im ICE die Computer und Jacketts zählt, weiß, was ich meine. Leider sind die Laptops und Smartphones der deutschen Mittelständler nur allzu selten flott mobil online. Außerhalb der Großstädte ist die Breitbandunter­versorgung eine jahrzehntealte nationale Peinlichkeit, die auf Postminister Schwarz-Schilling und eine unselige Entscheidung zugunsten von Kupferkabeln zurückgeht. Eigentlich unfassbar, dass ein politischer Skandal aus den 80ern noch immer dafür sorgt, dass viele Unternehmen auf dem Land nur noch weiter vom nächsten Bahnhof entfernt liegen als vom nächsten Glasfaseranschluss.

Nicht selten wäre gerade der aber notwendig, um schnellen Mobilfunk voranzubringen. Und so kommt es, dass sich Freunde aus „E-Estland“ (WLAN an Autobahnparkplätzen und in Naturparks) erst mal bei der Familie als „offline“ abmelden, wenn sie nach Deutschland reisen. Während Island Gigabyte-Glasfaser zu Berghütten ausrollt, müssen deutsche Unternehmen hoffen, dass der 5G-Mobilfunk hier endlich schnellere Uplinks erzwingt. Bisher hatte der Gesetzgeber hierzulande schlicht vergessen, den ­Mobilfunkunternehmen volle Netzab­deckung zur Bedingung zu machen.

Es bedurfte erst medialer Aufmerksamkeit durch Greta-Effekt, Klimawandel und 5G, um die Politik zum Eingreifen zu bringen. Dieses Mal soll es aber keine Funkloch-Placebo-App, kein Klimaschutzgesetzfeigenblatt sein, im Gegenteil: Die „Kapitalerhöhung DB“ soll die umweltfreundliche Bahn bis 2030 mit über 150 Extra-Milliarden ausstatten, um die durch die fatalen Börsengangpläne verrottete Infrastruktur wieder auf- oder neu auszubauen. Fast zeitgleich schreibt die Bundesnetzagentur für alle Schienenwege, wo am Tag mehr als 2000 Passagiere vorbeikommen, 100 MBit/s Downlink ins Pflichtenheft, bereits bis 2022. Allerdings nicht in das Pflichtenheft der Bahn, der Auftrag gilt den Mobilfunkbetreibern. Die sind nun angewiesen, auch Autobahnen und Bundesstraßen mit einer Latenz von unter 10 ms zu versorgen, und Bahn-Nebenstrecken immerhin noch mit 50 MBit/s.

Gut 1 Milliarde will der Bund so für „bisher unterversorgte Gebiete“ lockermachen, also fürs oft gar nicht so „flache“ Land. Für Gewerbetreibende außerhalb der Speckgürtel klingt das gut, denn die wissen, dass es manchmal schneller ist, einen USB-Stick in die nahe Stadt zum Kunden zu tragen, als die Daten hochzuladen – und dass das nur von der Datenmenge abhängt. Entfernungen lassen sich so in Megabyte messen – ich kenne Unternehmer, die 50 MByte von Regensburg entfernt wohnen. Das ist die Grenze, ab der es schneller ist, den USB-Stick ins Auto zu werfen, als auf den Upload zu warten. Aber wie sagt der Deutsche, wenn es ihm gut geht? „Ich kann nicht klagen.“

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