iX 4/2021
S. 3
Editorial
April 2021

Googles Quadratur des Kreises

Sie kennen das: Einmal in einem Onlineshop nach, sagen wir, Regenjacken gesucht, schon wird man quer durchs Netz von Anzeigen für Regenjacken verfolgt. Möglich machen das Third-Party-Cookies, mit denen Werbenetzwerke Menschen auf ihrem Weg durchs Netz verfolgen und auf jeder neu angesteuerten Website wiedererkennen. Ah, Nutzer 9JLp0iP-7Cfdw2!x schon wieder, der hat sich doch unlängst für Regenjacken interessiert, vielleicht ist er jetzt endlich kaufwillig. Schnell mal eine passende Anzeige ausgespielt.

Diese Form personalisierter Werbung ist längst Standard im Onlinewerbegeschäft, das im letzten Jahr laut Wall Street Journal über 290 Milliarden US-Dollar umgesetzt hat. Von denen 52% bei Google gelandet sind.

Und jetzt will ausgerechnet Google die Third-Party-Cookies abschaffen? Nicht nur, dass Chrome – wie schon länger angekündigt – ab 2022 keine Tracking-Cookies mehr erlauben soll (Safari und Firefox tun das übrigens schon länger). Auch in Anzeigen will Google keine Third-Party-Cookies mehr zulassen (siehe S. 18). Und geht es nach Google, soll die Werbewirtschaft die potenzielle Kundschaft auch nicht mit anderen Mitteln tracken. Der Applaus der Datenschützer ist Google sicher, ihnen sind die Nutzerprofile der Werbenetze schon lange ein Dorn im Auge. Und auch immer weniger Menschen haben Lust, sich auf ihrem Weg durchs Netz komplett nackig zu machen.

Also Schluss mit personalisierter Werbung und werbetechnisch zurück ins 20. Jahrhundert? Nein, Google hat eine andere Idee: Die Privacy Box umfasst diverse Ansätze, personalisierte Werbung ohne individuelles Tracking zu ermöglichen. Federated Learning of Cohorts beispielsweise: Der Browser wertet das Surfverhalten selbst aus und ordnet den Nutzer nach seinen Interessen in recht exakt spezifizierte Gruppen ein. Werbende können ihre Anzeigen dann gezielt für bestimmte Gruppen – zum Beispiel männliche Regenjacken-Interessenten über 40 mit durchschnittlichem Einkommen – schalten, wie man das von Facebook her kennt. Die Surfhistorie bleibt auf dem eigenen PC oder Smartphone, das freut Datenschützer wie Nutzer, und gezielt werben geht immer noch, das freut die Werbebranche.

Also eine gelungene Quadratur des Kreises? Vielleicht, wäre da nicht ein Pferdefuß. Die Auswertung des Surfverhaltens und die Kohorteneinteilung erfolgt durch Software von Google. Keine andere Firma wird so genau wissen wie Google, wie diese Kohorten zustande kommen und was die Zugehörigkeit zu einer Kohorte bedeutet. Das Unternehmen, das jetzt schon den Onlinewerbemarkt dominiert und den meistgenutzten Webbrowser herstellt, baut damit seine zentrale Rolle bei der Onlinewerbung weiter aus. Mal sehen, was Werbetreibende, Werbebranche, Onlineshops und Websitebetreiber davon halten – und was die Kartellbehörden dazu sagen. Die britische Competition and Markets Authority hat bereits im Januar eine Untersuchung von Googles Privacy Sandbox eingeleitet.

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