Im Zweifel für die Sperre
Was viele nicht wissen: Heise Medien, der Verlag, in dem iX erscheint, hat seine Wurzeln im Bereich Telefon- und Adressbücher. Und unter den Telefonbuchanbietern in Deutschland geht die nackte Angst um: Droht demnächst eine Anklage wegen Drogenhandel, wenn jemand im Telefonbuch die Nummer seines Dealers nachschlägt?
Klingt absurd, aber bei Urheberrechtsverstößen sieht es ein deutsches Gericht genau so: Das Landgericht Leipzig hat den nicht kommerziellen Schweizer DNS-Anbieter Quad9 wegen Verletzung des Urheberrechts verurteilt, weil er die IP-Adresse einer Website aufgelöst hat, auf der man ein Musikalbum von Sony unrechtmäßig herunterladen konnte (siehe S. 24). Als Täter verurteilt, wohlgemerkt, nicht bloß als Störer, der zum Urheberrechtsverstoß eines anderen beiträgt. Sollte dieses Urteil auch in der nächsten Instanz Bestand haben, drohen DNS-Anbietern nicht nur Sperraufforderungen, sondern auch Schadensersatzklagen, wenn Nutzer über ihren Dienst Urheberrechtsverletzungen begehen.
Man kann sich vorstellen, dass das die Bereitschaft der DNS-Anbieter erheblich erhöht, Sperraufforderungen schnell nachzukommen. Im Zweifel wird dann halt lieber zu viel als zu wenig blockiert. Ruft da jemand Zensur? (Dass sich DNS-Sperren leicht umgehen lassen, soll an dieser Stelle außen vor bleiben.)
Man kann jetzt lang und breit über das Urteil diskutieren. Sich wundern, warum ein technischer Dienstleister wie Quad9, der grundlegende Internetinfrastruktur bereitstellt, strengeren Regeln unterliegen soll als der Betreiber einer Filesharing-Plattform. Rätseln, warum die im Telemediengesetz vorgesehenen Haftungsprivilegien von Internetdiensten wie Zugangsprovidern (die ja oft als Teil ihres Business einen DNS-Dienst anbieten) nicht auch für DNS-Betreiber gelten sollen. Sich fragen, warum Sony gegen Quad9 klagt, aber nicht gegen große DNS-Anbieter wie Cloudflares 1.1.1.1 oder Googles 8.8.8.8.
Man könnte aber auch mal darüber nachdenken, warum ständig neue juristische und technische Klimmzüge nötig sind, um die Interessen der Musik- und Filmbranche im Netz zu schützen. Seit das Internet ab der Jahrtausendwende zum Massenmedium wurde, haben die Gesetzgeber das Urheberrecht immer wieder ausgeweitet, durchaus auch zulasten der Allgemeinheit oder nicht kommerzieller Angebote. Nebenwirkungen wie DRM, Einschränkungen bei der Untersuchung technischer Systeme, Abmahnwellen, Geoblocker oder unzuverlässige Uploadfilter hat man dabei in Kauf genommen.
Wenn das Urteil aus Leipzig Bestand hat, können DNS-Betreiber für alle Websites mit illegalem Content haftbar gemacht werden, die sie nicht aktiv blocken. Das wäre dann ungefähr so, als müssten Telefonbuchanbieter für jede Telefonnummer haften, die sie abdrucken.