Make Magazin 1/2016
S. 54
Bauanleitung
Aufmacherbild

Fliegen beim Spazierengehen

Im Winter haben Modellflieger Pause – es sei denn, sie wenden sich Modellen zu, die so klein und leicht sind, dass sie auch in größeren Innenräumen genügend Platz zum Fliegen finden, ohne nach Sekunden unweigerlich an Möbeln zu zerschellen. Insofern sind die hier vorgestellten Luftwellengleiter die idealen Wintermodelle – schnell zu bauen, einfach zu fliegen und absolut faszinierend.

Wie so oft schwappen neue Dinge über den Atlantik zu uns herüber. So kamen auch die „Walkalong Glider“ einst über den großen Teich. Da diese Gleiter von einer selbst erzeugten Luftwelle getragen beziehungsweise geschoben werden, nenne ich sie vielleicht treffender und zu gut deutsch: „Luftwellengleiter“ oder kurz „Schubsis“. Im Internet wimmelt es unter dem Suchbegriff „Walkalong Glider“ geradezu davon (siehe auch Link am Ende des Artikels).

Die Luftwelle über dem steil gehaltenen Karton trägt das Gleitmodell – Fliegen klappt, solange man laufen kann! Steuern ist durch seitliches Versetzen des Kartons möglich.

In der Luftwelle, die man im Laufen vor sich herschiebt, fliegt so ziemlich alles, was leicht ist. Ich kam darauf, als ich auf YouTube jemanden mit einem Flieger vor der Stirn schwebend durch eine Halle laufen sah. War da Hexerei im Spiel oder heiße Luft, die von einem überhitzten Kopf abgeht? Nichts dergleichen – partout keine Zauberkräfte, nur Physik und Aerodynamik!

Der Hang in der Hand

Der Körper schiebt beim Gehen/Laufen eine Aufwindfront vor sich her, ähnlich dem Hangaufwind vor einer steilen Gebirgswand. Nur kommt der Wind hier nicht zum Hang, sondern der Hang bewegt sich relativ zur ruhenden Luft, was letztlich den gleichen Effekt ergibt. Damit das bewegte Luftpaket nicht allzu sehr seitlich ausweicht, benutzt man hilfsweise einen großen Karton, eine Styroporplatte oder Ähnliches – je größer, desto wirkungsvoller, versteht sich. Prinzipiell gehen auch ein umgedrehter Regenschirm, ein Tablett und im Idealfall die nebeneinander liegenden Hände oder eben eine breite Stirn.

Wichtig ist, dass das Modell etwa im Schritttempo fliegt, also extrem leicht ist. Unter „leicht“ werden hier Gewichte von 0,5 bis etwa 3 Gramm verstanden! Die Schiebeplatte wird ziemlich steil, in etwa 70 Grad zur Horizontalen gehalten und zwar so, dass sich das Modell knapp oberhalb und kurz vor der Oberkante befindet. Eine zu flach geführte Platte bringt weniger Wirkung – wie auch ein flacher Hang. Platte und Modell müssen einen möglichst konstanten Abstand haben. Im Idealfall steigt dann das Modell über Kopfhöhe.

Schmetterling aus 1,5 mm Styropor, Spannweite 20 cm, Gewicht 0,9 g. Zum Erreichen der Flugstabilität sind die Flügel hinten 3 mm hochgebogen.

Und jetzt kommt noch etwas hinzu: Wandert der Karton etwas zur Seite, dann beginnt das Modell in die entgegengesetzte Richtung zu kreisen. Auf diese Weise kann man Hindernissen wie Wänden und Möbeln, Personen und so weiter ausweichen. Kinder und Jugendliche lernen das in sehr kurzer Zeit. Ein Parcours mit Hindernissen (Slalomstangen, Hula-Hoop-Reifen oder Ähnlichem) bietet sich geradezu an.

Aerodynamik und Fliegen

Die Aerodynamik dieser Fluggeräte spielt sich im Bereich ab, in dem auch Schmetterlinge fliegen. Die Profile für Tragflächen und Leitwerk müssen entsprechend dünn sein. In erster Linie werden Nurflügel-Gleiter eingesetzt. Das hängt damit zusammen, dass die Aufwindfront nur in einem engen Bereich homogen ist. Das Profil ist normalerweise eine ebene Platte, die im hinteren Teil etwas hochgeklappt wird, um Eigenstabilität zu erzeugen (die ebene Platte ist nur bedingt eigenstabil). Eine andere Variante sind sogenannte S-Schlag-Profile, die ebenfalls ohne zusätzliches Leitwerk eigenstabil fliegen.

Um den Schwerpunkt einzustellen, benötigt man Gewicht vorne an der Flügelspitze. Hierfür eignen sich je nach Gleitergröße Kreppband, Stecknadeln oder Büroklammern. Ein Vorteil von Kreppband: Man kann es zur Trimmung stückweise abschneiden.

Wegen des geringen Gewichts benötigen die Schubsis zum Fliegen eine möglichst ungestörte Luft. Wirbel entstehen bei jedem Laufen oder Gehen. Wenn etwa mehrere Piloten mit Schubsis umherlaufen, kommt es leicht zu Störungen, wenn sie in die Luftwirbel der anderen kommen. Die Luftwirbel benötigen erfahrungsgemäß etwa zehn Sekunden zum Abklingen.

Startmethode

Die Startrampe: Das Modell hebt von selbst ab, wenn man flott zu gehen beginnt.

Die schwierigste Phase ist der Start. Am sichersten startet man von einer Startrampe aus Zeige- und Mittelfinger (Gabel bilden und Modell drauflegen). Man beginnt mit der Platte und dem Modell – beides in Position – flott zu gehen. Sobald der Aufwind stark genug ist, hebt der Gleiter von selbst ab (Video siehe Link).

Material

Am besten eignet sich Styropor, das man mit dem Hitzdrahtgerät auf Stärken von 0,7 bis 1,5 mm schneidet – zum Selbstbau eines Styropor-Schneidegeräts siehe Kasten. Es gibt ein relativ grobkörnig geschäumtes Styropor, das extrem leicht ist. Dieses kommt zum Beispiel in Möbelverpackungen als lose Beilagen vor. Die Luftporen zwischen den Körnern stören in keiner Weise. Kleinkörnig, dicht geschäumtes Styropor, etwa aus Styropor-Formverpackungen, ist dagegen schwer und eher spröde. Depron- und Hartschaumplatten sind ohnehin nicht geeignet, da sie zu viel wiegen. Je langsamer ein Gleiter fliegt, desto entspannender und eindrucksvoller ist das Fliegen!

Trimmung

Kindern macht es viel Spaß, Luftwellengleiter zu fliegen – Erwachsenen auch.

Prinzipiell sollten sowohl die Nurflügel-Gleiter wie auch die Modelle mit Leitwerk von den folgenden Seiten leicht schwanzlastig eingeflogen werden, da sie in der Luftwelle immer leicht kopflastig werden – der Aufwind ist an der Platte stärker als weiter vorn. Wenn die Gleiter beim Gleitflug ohne Platte einen leicht wellenartigen Flug zeigen, sind sie für das Luftwellengleiten goldrichtig getrimmt.

Luftwellengleiter können verschiedenste Form haben, das Funktionsprinzip ist immer dasselbe.

Gleiter, die nicht geradeaus fliegen, sondern eine Kurventendenz zeigen, haben meist einen Flügelverzug (Verwindung). Dieser muss durch Gegendrehen beseitigt werden. Verzüge kann man feststellen, indem man den Flügel aus rund 50 cm Entfernung genau aus der Flugrichtung anvisiert. Der Flügel muss symmetrisch sein!

Modellvarianten

Es gibt unzählige Modellvarianten, die als Luftwellengleiter geflogen werden können: Nurflügel, Leitwerksmodelle, Gleitschirm, Drachen, Vogelattrappen, Schmetterlingsformen und viele mehr. Auf den folgenden Seiten werden exemplarisch einige bewährte Modelltypen vorgestellt. Die 1:1-Pläne für diese Modelle gibt es über den Link am Ende des Artikels.

Zanonia

Der Gleiter nach dem Vorbild des Zanonia-Samens eignet sich besonders für den Einstieg. Bekanntlich fliegen diese Samen über weite Strecken und tragen so zur Verbreitung des Baumes bei.

Mittels Schablone nach dem Download-Plan wird der Umriss auf ein 1,5 mm dickes Styroporblatt übertragen und mit einer neuen Minicutter-Klinge oder Rasierklinge vorsichtig ausgeschnitten. Die Klinge muss dabei flach geführt werden, sonst wird eventuell Randmaterial mitgerissen. Man kann auch direkt an der Schablone entlang schneiden. Das Ausschneiden mit einer Schere ist prinzipiell auch möglich, führt aber meist – wenn es nicht äußerst vorsichtig erfolgt – zu unerwünschten Verwerfungen im Material. Diese können notfalls durch Überwalzen mit einem Teigroller wieder beseitigt werden.

Anschließend drückt man den Falz mit dem Stahllineal entlang der gekennzeichneten Linie ein. Die Enden müssen etwa 3 mm nach oben stehen. Dazu fährt man mit dem Stahllineal unter beide Enden und kippt sie mit dem Lineal nach oben. Da das Material zurückfedert, muss man zunächst um einem größeren Winkel hochklappen. Das Vorderteil des Zanonia-Gleiters sollte dabei mit einem weiteren Lineal auf den Tisch gedrückt werden.

Dann ist zu prüfen, ob der Flügel aus der Flugrichtung gesehen symmetrisch ist. Zur Festlegung des Schwerpunktes kommt noch ein Trimmgewicht von ungefähr 0,1 Gramm an die vorderste Stelle des Flügels, etwa ein Krepppapier-Klebebandstreifen in mehreren Lagen. Der Gleitflug muss geradeaus und leicht schwanzlastig (in leichten Wellen) erfolgen. Sollte das Modell kopflastig sein, dann kann man die hochstehenden Endklappen stärker nach oben biegen und umgekehrt bei Schwanzlastigkeit. Man merkt bald, dass die Klappen wie ein Leitwerk wirken, mit dem man das Modell trimmen kann.

Easy Glider – der Superflieger

Das erfolgreiche Urmodell stammt von Roland Oehmann und stellt eine etwas fortgeschrittene Form des Nurflügels mit Winglets dar. Gefertigt aus etwa 1,5 mm dünnem Styropor fliegt der Easy Glider im Schritttempo und kann gut gesteuert werden. Die Form wird aus dem Styroporblatt mittels Schablone ausgeschnitten und die Falzlinien eingezeichnet. Die seitlichen Falze verlaufen bewusst schräg zur Flugrichtung, damit die Winglets eine negative Schränkung bekommen. Nach dem Eindrücken der Falze mit dem Stahllineal werden die beiden Winglets nach unten geknickt und der Mittelteil erhält eine leichte V-Form nach oben. Den Mittelfalz sollte man nicht zu stark eindrücken, sondern nur andeuten. Die Mittel-V-Form wird mit dem Kreppbandstreifen zusätzlich fixiert, der als Trimmgewicht dient.

Die Trimmung erfolgt wieder etwas schwanzlastig, sodass da Modell ohne Platte im Gleitflug in leichten Wellen fliegt. Ansonsten ist der Easy Glider ein purer Genussflieger, den man auch mit den Händen als Aufwinderzeuger fliegen kann.

Roto – der Drehflügler

Der Drehflügler arbeitet nach dem Prinzip des Magnuseffektes: Wenn er nach unten fällt und sich zu drehen beginnt, setzt eine Querkraft ein, die den rotierenden Flügel nach vorne treibt. In ähnlicher Weise entsteht auch Auftrieb am Flugzeugflügel, indem ein drehender Wirbel um das Flugzeugprofil (die sogenannte Zirkulation) bei Anströmung eine Auftriebskraft erzeugt.

Der Drehflügler namens Roto fliegt in der Luftwelle, der Start erfordert allerdings etwas Übung.

Die grundsätzliche Fertigungstechnik (Schneiden, Falzen) entspricht derjenigen beim Zanonia-Gleiter. Die Grundform wird aus einem etwa 2 mm starken Styroporblatt mit der Minicutterklinge unter Benutzung eines Lineals ausgeschnitten. Auch hier darauf achten, dass das Material eben bleibt. Sodann werden auf den gegenüber liegenden Seiten die Falze eingedrückt (ein Falz oben, ein Falz unten) und an einer Tischkante mithilfe von zwei Linealen ein Teil nach oben und der andere nach unten gefalzt, sodass eine leichte Z-Form entsteht. Die Endscheiben zeichnet man mit einer Dose oder Ähnlichem als Schablone auf, schneidet sie aus und klebt sie mit etwas Styroporkleber an die Flügelenden. Auch die Endscheiben müssen absolut eben sein.

Mittels Durchvisieren stellt man sicher, dass der Flügel nicht in sich verdreht oder unsymmetrisch ist. Sollte der fertige Roto im Flug nicht horizontal rotieren, sondern nach einer Seite abschmieren, ist entweder ein Verzug vorhanden oder der Rotor ist auf einer Seite etwas schwerer (das ist die Seite, zu der der Flügel tendiert). Man kann ein Stückchen Klebeband auf die Gegenseite kleben, um die korrekte Horizontallage zu erreichen.

Auch die Rotorflügel kann man in der Luftwelle fliegen. Man muss dabei jedoch sehr genau den Punkt über der Platte erwischen, bei dem ein Gleichgewichtszustand erreicht wird. Der Plattenwinkel muss unter Umständen etwas flacher als beim Nurflügelgleiter sein. Ansonsten lassen sich die Rotoren auch erfolgreich in Treppenhäusern und von Balkonen fliegen. Das richtige Starten erfolgt, indem man den Rotor an der Hinterkante packt und schon beim Loslassen in die richtige Drehung versetzt. Wichtig ist auch die horizontale Lage beim Startvorgang.

Leitwerksmodelle

Im Prinzip kann man auch Modelle mit Leitwerk in der Luftwelle fliegen. Der Rumpf sollte aber dafür aus den bereits erwähnten Gründen nicht zu lang und das Leitwerk hochgesetzt sein (T-Leitwerk). Sonst wird das Modell zu kopflastig, weil das Leitwerk zu viel Auftrieb erfährt. Ein hoch liegendes Leitwerk ist von der Platte weiter entfernt als ein tief liegendes. Flügel und Leitwerk liegen damit etwa auf der gleichen Stromlinie und erfahren somit gleiche Anströmgeschwindigkeit. Die Schiebeplatte wird beim Leitwerksmodell mit der Oberkante etwa zwischen Flügel und Leitwerk geführt.

Ganz besonders imposant anzusehen sind vorbildähnliche Modelle mit passiv drehenden Propellern. Interessanterweise wird durch die drehenden Propeller die Flugleistung überhaupt nicht beeinträchtigt (Video siehe Link). Als beste Einstellung der Propellerblätter für wenig Widerstand hat sich dabei ein Winkel von etwa +/– 45 Grad herausgestellt.

Propellerflugzeuge mit passiv drehenden Propellern und T-Leitwerk. Die Flügel bestehen aus gewölbten Platten (Profil 3), die Leitwerke sind ebene Platten (Profil 4). Zu beachten ist die Winkeldifferenz zwischen Leitwerk und Flügel: Das Leitwerk sollte 2 bis 3 Grad weniger geometrischen Einstellwinkel aufweisen als die Tragfläche.

Aus den vorher geschilderten Gründen sind auch hier Flugzeuge mit T-Leitwerk zu bevorzugen. Realisierbare Flugzeugmuster und deren Bemalung findet man zahlreich im Internet. Der Rumpf wird aus 3 bis 4 mm starkem Styropor hergestellt und muss seitlich durch zwei flache Balsaleisten versteift werden. Das Leitwerk ist eine ebene Platte (Profil 4), der Flügel besteht aus einer gewölbten Platte, dessen Wölbung durch Walzen des etwa 2,5 mm dicken Styroporblattes auf einer mehrfach zusammengelegten Wolldecke mithilfe eines Staubsaugerrohrs oder ähnlichen runden Gegenstands erzeugt wird. Auch hier ist auf gleichmäßige Wölbung und Symmetrie der beiden Flügelhälften zu achten.

Herstellung eines passiv drehenden Propellers: 4 × 4 mm Balsaleiste diagonal durchbohren und Kunststoff-Röhrchen einsetzen. Propellerblätter aus 0,03 mm Aluminium (z. B. aus Fertiggericht-Schale) ausschneiden und 90 Grad versetzt gegenüberliegend auf die Leiste kleben. Die Nadel dient als Welle, die kleine Perle als Drucklager. Das Gewicht eines Props soll ca. 0,25 g betragen.

Die Propeller stellt man aus dünner Alufolie her, wofür zum Beispiel die Schale eines aufgegessenen Fertiggerichts zerschnitten werden kann. Das Gewicht eines Propellers sollte nicht über 0,25 Gramm liegen. Die Propeller müssen sich beim Anblasen leicht drehen, sonst bieten sie zu viel Widerstand. Mit drehenden Props gleiten diese Modelle hervorragend und sind mit der Schiebeplatte relativ leicht auf Höhe zu halten. pek