Der Schein trügt
Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim deutschen Bundestag hat VDI/VDE-IT beauftragt, eine Studie zum Thema „Welt ohne Bargeld“ zu erstellen. Technische Innovationen und Versuche in anderen Ländern befeuern die gesellschaftliche Debatte in dieser Sache auch hierzulande immer wieder neu. Gegner von Münzen und Scheinen betrachten solche Zahlungsmittel als Anachronismus, der die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft bedroht (wie immer zuverlässig: Bitkom). Vertreter der Panikfraktion sehen eine totalitäre Weltwährung am Horizont heraufziehen, kontrolliert von wenigen gewissenlosen Konzernen, die die Menschheit in die digitale Knechtschaft zwingen.
Der Deutsche an sich zeigt sich davon derweil wenig beeindruckt und zahlt immer noch gern in bar. Im auf seine Technikaffinität stolzen Schweden gibt es hingegen kaum noch die Möglichkeit, eine Rechnung auf herkömmliche Weise zu begleichen. Für Bareinzahlungen etwa von Gastronomen oder Rentnern werden derart horrende Gebühren fällig, dass man die behauptete Begeisterung durchaus infrage stellen darf. Obwohl es ja schon etwas Erhabenes hat, den Klogang mit Mastercard abzurechnen.
In Indien, wo die Regierung mit rabiaten Methoden das Papiergeld abschaffen wollte, hatte sie zunächst gefährliches Chaos angerichtet, denn Eigentümer kleiner Geschäfte und Bauern arbeiten praktisch ausschließlich mit Rupien-Scheinen. Kaum jemand aus ärmeren Bevölkerungsschichten besitzt Bankkonto, Internetzugang oder Smartphone. Die eigentlichen Adressaten der Reform, Mitglieder einer korrupten Elite, hatten ihr Geld längst in Sicherheit gebracht oder reingewaschen. Der Traum von „Digital India“ scheint erst einmal ausgeträumt.
Und von China soll hier erst gar nicht die Rede sein. Anonymität, das immer noch stärkste Argument für Bargeld, ist dort zumindest von Regierungsseite nicht gewünscht. Kritik daran zu üben dürfte einige Punkte im Social Score kosten.
Alternativen zum Bargeld gibt es zwar, sogar anonyme wie Prepaid-Karten, aber alle sind funktional eingeschränkt und mit Restriktionen wie einem Höchstbetrag versehen. Bitcoin, gelegentlich als Ersatz beworben, ist technisch aufwendig, nicht anonym und dient bislang als reines Spekulationsobjekt für Zocker mit dicken Ressourcen.
Auch der gelegentlich diskutierte digitale Euro hätte allein Vorteile für die Zentralbanken. Sie könnten die Negativzinsen, die sie bislang nur den Geldinstituten aufbrummen, voll auf die Verbraucher abwälzen. Bisher geht das nicht, weil die Banken den Besitz und das Abheben von Bargeld nicht verbieten können. Immerhin hat die Europäische Zentralbank bislang keine Ambitionen in dieser Hinsicht gezeigt.
Dass Unternehmen, vor allem solche, die mit Dienstleistungen rund um das Bezahlen Geld verdienen, Bares nicht gern sehen, liegt auf der Hand. Denn gerade die Nichtanonymität digitaler Transaktionen ist Grundlage vieler Geschäftsmodelle, etwa des individualisierten Ausspielens von Werbung. Harte Bezahldaten sind der feuchte Traum jedes Big-Data-Verarbeiters.
Sollte trotz des begründeten Widerwillens irgendwann hierzulande das Bargeld doch verschwinden, muss das Recht auf anonymes Bezahlen ins Grundgesetz. Einige Parteien haben diese Forderung schon im Programm. An der Technik dürfte es kaum scheitern, hier entsteht gerade ein Tummelplatz für FinTech-Start-ups. Allerdings steht zu befürchten, dass sich ein unübersichtliches Sammelsurium von konkurrierenden Angeboten entwickelt. Dabei könnte doch alles so einfach sein. Vor allem wenn der Strom ausfällt.