MIT Technology Review 1/2016
S. 84
Meinung

Im Zweifel lieber bremsen

Mit der EEG-Novelle 2016 verspricht die Bundesregierung mehr Marktwirtschaft. Tatsächlich aber verhindert sie freien Wettbewerb.

Feste Einspeisevergütungen seien reine Planwirtschaft – dieser Vorwurf ist so alt wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz und nicht ganz falsch. Schließlich maßt sich der Staat an, genau den Preis bestimmen zu können, bei dem alle Beteiligten ausreichend Geld verdienen, ohne der Allgemeinheit unnötig auf der Tasche zu liegen.

Bau einer Windkraftanlage auf einer Halde bei Gelsenkirchen. Foto: Imagebroker/F1 online

Mit der EEG-Novelle 2016 soll sich das ändern. In seinem Ende November vorgelegten Eckpunktepapier kann das Bundeswirtschaftsministerium offenbar gar nicht genug von den Vokabeln „Markt“ und „Wettbewerb“ bekommen. Insgesamt will es ab 2017 rund 80 Prozent der neu zugebauten Ökostrommenge per Auktion vergeben. Potenzielle Betreiber müssen ein Gebot einreichen, ab welcher Einspeisevergütung sie ein Projekt errichten würden. Wer sich mit der geringsten Vergütung zufriedengibt, erhält den Zuschlag.

Letzten Sommer machten große Photovoltaik-Freiflächenanlagen den Anfang (siehe TR 1/2015, S. 42). Künftig soll auch die Windkraft ohne feste Einspeisevergütung auskommen. Für Windräder an Land findet im Mai 2017 die erste Auktion statt. Auf See sind Windparks betroffen, die ab 2021 in Betrieb gehen. Bei den PV-Freiflächenanlagen werde das gegenwärtige Ausschreibungsmodell „evaluiert und angepasst“, so das Ministerium. Nur für kleine PV-Anlagen, Biomasse, Wasserkraft und Geothermie ändert sich zunächst nichts – hier gibt es weiterhin Einspeisevergütungen.

„Damit wird die Entwicklung des EEG in Richtung mehr Marktnähe und Wettbewerb konsequent vorangetrieben“, schreibt das Bundeswirtschaftsministerium. Dabei ersetzt es bestenfalls eine Form der Planwirtschaft durch eine andere. Konkurrenz herrscht mit dem Auktionsmodell zwar zwischen den verschiedenen Windpark- und Photovoltaikbetreibern. Aber dafür hat die Regierung den Wettbewerb zwischen fossilen und erneuerbaren Energieformen fast komplett unterbunden.

Selbst wenn die Auktionen unter dem Strich tatsächlich günstigere Preise bringen sollten (was zahlreiche Experten bezweifeln): Mit einem freien Markt hat das wenig zu tun, denn die Regierung deckelt gleichzeitig den Zubau. Für PV-Freiflächenanlagen sollen jährlich 500 Megawatt vergeben werden, für Offshore-Windparks 6500 Megawatt bis 2020, für Windkraft an Land je nach Marktentwicklung 2000 bis 2900 Megawatt pro Jahr. Macht zusammen also gut 5000 Megawatt jährlich. Zum Vergleich: Allein die Photovoltaik konnte in ihren besten Zeiten mehr als 7000 Megawatt pro Jahr zulegen; bei der Windkraft an Land wurden 2014 knapp 5000 Megawatt neu installiert.

Das bedeutet: Egal wie günstig die Erneuerbaren noch werden – sie können die fossilen Energien kaum über einen Zubaukorridor hinaus verdrängen, den die Regierung für opportun erachtet. Und opportun findet sie offenbar alles, was die großen Energieversorger schont. Das Auktionsmodell ist bei allem marktliberalen Gerede vor allem eine Bremse. Gerade SPD-Politiker tun gern so, als sei die Abschaltung von Kohlekraftwerken so etwas wie ein unerfreulicher Kollateralschaden der Energiewende. Dabei muss der Kohleausstieg das logische Ziel jedes neuen Energiesystems sein.

Unbestritten ist, dass ein ungebremster Zubau auch seine Probleme mit sich bringt. Er belastet die Netze und macht den Strom gleichzeitig zu teuer und zu billig. Wenn viel Sonnen- und Windenergie in die Netze drängen, sinken die Börsenpreise für Strom. Das freut zwar die Industrie, hat aber auch zur Folge, dass preiswerte Kohle die klimafreundlicheren Gaskraftwerke aus dem Markt drängt. Die Differenz zwischen Börsenpreis und Einspeisevergütung zahlen aber überwiegend Privatverbraucher per EEG-Umlage – ohne von den gesunkenen Börsenpreisen zu profitieren, weil Energieversorger diese kaum an ihre Kunden weitergeben.

Einfache Lösungen sind nicht in Sicht. Wirklich helfen würde eine deftige Erhöhung der CO2-Kosten, doch das ist EU-Angelegenheit und politisch kaum durchsetzbar (siehe TR 5/2015, S. 82). Trotzdem gibt es noch genug andere Stellschrauben, an denen die Regierung drehen könnte. Zum Beispiel beim Stromspeicher. Von kleinen, dezentralen Solarstrom-Akkus haben alle etwas: Der Besitzer, weil der Eigenverbrauch in Zeiten sinkender Einspeisevergütung und steigender Strompreise immer lukrativer wird; der Netzbetreiber, weil das Verteilnetz entlastet wird (zumindest, wenn er die Akkus selbst regeln kann); und die Strombörse, weil zu Spitzenzeiten weniger Strom auf den Markt drängt.

Doch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel wollte die Förderung der Hausspeicher schon einstellen. Begründung: Sie passe nicht mehr zum neuen Strommarkt-Design. Das sieht – Überraschung! – vor allem weniger Erneuerbare vor. Der „Entwurf eines Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende“ will allen Ökostromerzeugern ab sieben Kilowatt ein „intelligentes Messsystem“ vorschreiben, das die Anlagen bei Bedarf herunterregeln kann. Auch wenn Gabriel die Speicherförderung nach Protesten nun offenbar doch noch verlängern will – die Melodie ist immer die gleiche: Statt Erneuerbare besser zu integrieren, werden sie im Zweifelsfall lieber ausgebremst.

Besonders peinlich ist dieses Herumstolpern deshalb, weil Ökostrom bislang immer noch der einzig halbwegs erfolgreiche Teil der Energiewende ist. In anderen Bereichen wie Wärme, Energieeffizienz oder Verkehr steht der vermeintliche Vorreiter Deutschland ziemlich schlecht da. „Die durchschnittliche Steigerung der Energieeffizienz zwischen 2008 und 2014 lag mit 1,6 Prozent unter dem im Energiekonzept der Bundesregierung vorgesehenen Wert von 2,1 Prozent“, heißt es beispielsweise im aktuellen Monitoring-Bericht der Bundesregierung. Noch herber sieht es beim Verkehr aus. Die Expertenkommission zum Monitoring-Prozess ist der Ansicht, die „Zielerreichung im Verkehrssektor“ werde „nicht ausreichend ernstgenommen“. Das zeige sich darin, „dass keine Maßnahmen erkennbar vorbereitet werden, die dem Problem Abhilfe leisten“. Die Kommission folgert: „Das zentrale Ziel der Bundesregierung, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, ist erheblich gefährdet“.