MIT Technology Review 1/2016
S. 72
Fokus
Medizin

Der Mensch in der Petrischale

In den letzten Jahren ist es gelungen, nahezu jedes menschliche Organ im Miniaturformat heranzuziehen, und selbst auf Mikrochips lassen sich organähnliche Gewebe kultivieren. Das eröffnet bahnbrechende Möglichkeiten für Forschung, Diagnostik und Therapien.

Das neue Medikament kommt für Fabian Schuchard als Rettung in der Not: Das Atmen fällt immer schwerer, über Wochen liegt der niederländische Teenager im Krankenhaus, der letzte Ausweg scheint ein Lungentransplantat zu sein. Fabian leidet an Mukoviszidose, seine Lunge und andere Schleimhäute sind mit zähem Schleim überzogen. Zwar gibt es seit Kurzem einige neuartige Wirkstoffe. Doch Mukoviszidose wird durch rund 2000 unterschiedliche Gendefekte verursacht, und der von Fabian ist einzigartig. Keine klassische Medikamentenstudie kann daher zeigen, welcher der Wirkstoffe ihm helfen könnte. Trotzdem gelingt Fabians Ärzten das scheinbar Unmögliche: Sie finden das passende Arzneimittel – und der heute 18-Jährige kann nun ein fast normales Leben führen.

Aus neuronalen Stammzellen wuchs im Labor gehirnartiges Gewebe Foto: Regina Huegli

Entscheidend für den Erfolg ist eine neuartige Technik, die seit einigen Jahren spektakuläre Fortschritte feiert: die Kunst, rudimentäre menschliche Organe, sogenannte Organoide, in Kulturmedien heranzuzüchten. Vor Fabians Behandlung testeten Forscher am niederländischen Hubrecht-Institut für Entwicklungsbiologie und Stammzellforschung das neue Medikament an Miniaturorganen, die alle mit Fabian genetisch identisch sind. Das Verfahren begann mit einer Gewebeentnahme im Dickdarm. Was dann geschah, mutet geradezu magisch an: Die Stammzellen aus der Darmschleimhaut teilten und differenzierten sich in dem Kulturmedium. Eingebettet in ein Gel, wuchsen sie zu sphärischen, hohlen Gebilden heran, die zwar nur einen Durchmesser von einem Zehntelmillimeter hatten, aber die typischen Einstülpungen enthielten und sich wie ein Stückchen echter Darm verhielten. Die Fabian-Därme sprachen im Test deutlich auf einen Wirkstoff namens Kalydeco an, der für den Patienten die entscheidende Wende brachte.