MIT Technology Review 1/2016
S. 80
Fokus
Medizin
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Ende des Blutvergießens

Die Zeugen Jehovas verweigern aus religiösen Gründen Transfusionen. Ein Krankenhaus in New Jersey operiert sie ohne Blutkonserven. Und beweist: Die Patienten waren anschließend sogar gesünder.

William Walker, ein dürrer Mann mit weißem Haar, hat Darmkrebs. Anästhesisten, Ärzte und Assistenten bereiten ihn für die Operation vor. Sie ziehen ihn aus, decken ihn bis auf den Bauch zu, schließen die Beatmungsmaschine an und bringen die Lampen in Position. Eine Schwester fasst kurz zusammen, was gemacht werden soll, und endet mit Worten, die entscheidend sein können für Wohl oder Wehe des Patienten: „Der Patient ist bloodless, richtig?“ „Richtig“, antworten alle. „Kann ich ein Skalpell haben?“, fragt der Chirurg.

Wer schon mal einen Operationsfragebogen ausfüllen musste, ist vielleicht an der Frage hängen geblieben: Lehnen Sie Bluttransfusionen ab? Dahinter steckt keine Risikoabwägung, sondern die Frage bezieht sich auf ethisch-moralische Bedenken von Patienten.

William Walker hat Ja angekreuzt. Seit 60 Jahren glaubt er an die Lehren der Zeugen Jehovas. Die Religionsgemeinschaft will der Bibel entnehmen können, dass Blut, das den Körper verlassen hat, nicht mehr in den Körper zurückkommen sollte. Transfusionen von Spenderblut kommen noch weniger infrage. Und deshalb lässt sich Walker auch nicht irgendwo operieren, sondern in einem ganz besonderen Krankenhaus: dem „Englewood Hospital and Medical Center“ in der gleichnamigen Kleinstadt in New Jersey, direkt gegenüber der Nordspitze von Manhattan. Die Ärzte hier respektieren die Auffassung der Zeugen. Mehr noch: Die Anhänger dieses Glaubens haben bereits Anfang der 90er-Jahre dafür gesorgt, dass das Krankenhaus seine Strukturen und Praktiken völlig neu überdacht hat. Und davon profitieren nicht nur „Wachtturm“-Leser.