MIT Technology Review 10/2016
S. 38
Horizonte
Medizin

Zur Sonne, zur Freiheit

Jasmin Barman-Aksözen hat Schmerzen, sobald helles Licht auf ihre Haut scheint. Erst im Alter von 27 Jahren gelang es der Molekularbiologin, ihre äußerst seltene Krankheit selbst zu diagnostizieren. Inzwischen forscht sie in Zürich an einer Therapie.

Foto: Simon Habegger

Jeder von uns hat eine Horrorkindheit hinter sich“, sagt Jasmin Barman-Aksözen. Sie war gerade mal zweieinhalb Jahre alt, als sie nach einem Tag in der Sonne mit einem völlig zugeschwollenen Gesicht aufwachte. Licht- oder Sonnenallergie: Das sind die Diagnosen, die diesen Kindern meist gestellt werden. Jasmin wurde immer wieder aufgefordert, sich mit Sonnencreme zu schützen. Doch das half nicht. Zu viel UV-Strahlung war nicht das eigentliche Problem. Aber was war es dann?

Die heute 38-Jährige wusste schon als Kleinkind, dass Sonnenlicht ihr Feind ist. Und wurde doch oft als Simulantin abgestempelt. Mit 14 gipfelte ihre Odyssee von einem Arzt zum nächsten gar in dem Besuch bei einem Psychiater. Denn es wurde angenommen, die Schmerzen könnten psychosomatisch oder gar eingebildet sein. Trotzdem testete die Jugendliche konsequent selbst aus, wie weit sie gehen konnte, ohne mit tagelangen Schmerzen dafür zu bezahlen. Genoss sie schon in der Kindheit die Ausflüge mit der Familie in den schattigen Wald, nahm sie später immer wieder an den Freizeiten der Pfadfinder teil: „Mal ging es gut, mal landete ich im Krankenhaus.“

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Stammzellen gegen gläserne Knochen

Oliver Semler Foto: David Klammer/ Laif

Für seine Eltern stand fest: „Der Junge braucht eine gute intellektuelle Ausbildung.“ Denn in seiner Kindheit und Jugend durchlebte Oliver Semler neben ungezählten Knochenbrüchen allein 27 Operationen. Ursache war die genetische Erbkrankheit Osteogenesis imperfecta (OI), die sogenannte Glasknochenerkrankung. Deshalb kam für Semler kein körperlicher Beruf infrage. Bedingt durch den Gendefekt, gelingt es dem Körper nicht, genügend Kollagen zu bilden, um die Knochen zu stabilisieren. Immerhin kam die Krankheit wie üblich mit dem Ende des Wachstums zum Stillstand. Semler blieb auch der Rollstuhl erspart. So entschied er sich, Kinderarzt zu werden: „Kinder finden mich mit meiner Größe von 1,40 Metern lustig. Da bin ich im Vorteil.“ Auf die eigene Krankheit spezialisierte er sich, als er immer wieder von anderen um Rat gefragt wurde. Inzwischen arbeitet der 41-Jährige an der OI-Ambulanz der Kölner Uniklinik.

Aber er sieht sich längst nicht mehr als reinen Behandler: „Bei einer so seltenen Erkrankung hat man als Arzt die Pflicht, Erfahrungen weiterzugeben, um die Therapie zu verbessern.“ Semler wird daher jetzt mit Forschern aus Schweden und Großbritannien eine ambitionierte Studie starten. Dabei wollen sie schwer an OI erkrankten Embryos noch im Mutterleib Stammzellen implantieren, die eine Knochenbildung unterstützen: „Wir wollen ihnen ermöglichen, von Geburt an auch gesunde Knochen zu produzieren.“ Ein aus der Not geborener erster Versuch mit einem schwedischen Mädchen war bereits erfolgreich: „Jetzt müssen wir das Verfahren in einer Studie ausprobieren – anders funktioniert Medizin nicht.“ INGE WÜNNENBERG

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Ein Paar schult um auf Genforschung

Sonja Vallabh und Eric Minikel Foto:Leonard Greco

Vor fünf Jahren machte Sonia Vallabh ihren Abschluss an der Harvard Law School. Dann erfuhr sie, dass sie eine Mutation geerbt hat, die im fortgeschrittenen Alter eine tödliche Gehirnkrankheit auslöst: die Fatal Familial Insomnia (FFI), zu deutsch: tödliche familiäre Schlaflosigkeit. Das brachte Vallabh und ihren Mann Eric Minikel dazu, ihr Leben auf den Kopf zu stellen: Inzwischen arbeiten beide am Broad Institute und veröffentlichten bereits Forschungsergebnisse, die zu einer Therapie für FFI führen könnten: Der Weg, der sich abzeichnet, ist ein Medikament, das das mutierte Gen stilllegt. Zur Anschubfinanzierung ihrer Forschung erhielt das Paar bereits das mit 40000 Dollar dotierte BroadIgnite-Stipendium für junge Wissenschaftler.

„Als wir erfuhren, ich könnte die Genmutation geerbt haben, die meine Mutter tötete, entschieden wir sofort, einen Test zu machen – um zu wissen, was auf uns zukommt. Nach Monaten des Wartens bestätigte ein Genetiker unsere größte Angst“, erzählt Vallabh. Das bewog beide zum Kampf gegen den medizinischen Feind. Sie besuchten Abendkurse und Konferenzen, schulten sich tagsüber zu Wissenschaftlern um und benutzten des Nachts das neue Wissen, um die Krankheit besser zu verstehen. Nun, vier Jahre später, widmen sie ihr Leben der Entwicklung neuer Therapeutika. Trotzdem weiß Vallabh: „Eine Garantie, dass es zu dem Zeitpunkt eine Behandlung geben wird, wenn ich eine brauche, gibt es nicht. Aber wir tun alles, um diese Brücke zu bauen.“ ANTONIO REGALADO

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Beim Abendbrot wird nicht über Forschung gesprochen

Ihr Sohn Dylan ist an der Muskeldystrophie Duchenne erkrankt. Um die Suche nach einer Therapie voranzutreiben, gründeten Carrie Miceli und Stanley Nelson in Los Angeles ein Forschungs- und Behandlungszentrum.

Dylan (Mitte) mit seinem großen Bruder Calvin sowie den Eltern Carrie Miceli und Stanley Nelson. Foto: Ann Johansson

Ginge es nach Dylan, würde er sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Mit Eifer verfolgt er die Forschung seiner Eltern Carrie Miceli und Stanley Nelson, auch wenn in der Familie das eiserne Gesetz gilt, dass beim Abendbrot nicht über die Arbeit gesprochen wird. Inzwischen ist es zwölf Jahre her, dass bei Dylan die Muskeldystrophie Duchenne diagnostiziert wurde. Seither suchen die Eltern – er Fachmann für Genetik und sie Spezialistin für Immunologie – nach einer Therapie.

2006 gründete das Paar an der University of California in Los Angeles gemeinsam mit Kollegen das Center for Duchenne Muscular Dystrophy. Allein zwölf Forschungslabore vereint das Zentrum mittlerweile unter seinem Dach. Duchenne, die seltene, tödlich verlaufende genetische Krankheit, verhindert die Bildung von Dystrophin, einem Eiweiß, das für funktionierende Muskeln unabdingbar ist. Betroffen sind fast nur Jungen, etwa einer von 3500 leidet daran. Die Kinder haben nicht nur zunehmend Schwierigkeiten zu laufen, sondern mit der Zeit außerdem Probleme mit der Atmung und dem Herzen, weil diese Muskeln ebenfalls von der Krankheit betroffen sind.