MIT Technology Review 11/2016
S. 82
Meinung
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Teuer erkauft

Die britische Regierung ist fest davon überzeugt, dass ihr Land ein neues Atomkraftwerk braucht. Am Interesse an billiger Energie kann es nicht liegen.

Totgesagte leben länger. Wer nach Fukushima an das endgültige Aus der Atomkraft in Europa glaubte, hat vor Kurzem eine unangenehme Überraschung erlebt: Die britische Regierung verkündete Mitte September, dass in Hinkley Point ein neuer Atomreaktor gebaut wird. Angekündigt war das Projekt zwar schon 2013, nun aber ist es endgültig beschlossen.

In der Nähe von Bristol sollen zwei AKW-Blöcke vom Typ EPR (European Pressurized Water Reactor) entstehen, mit zusammen 3000 Megawatt Leistung. Geschätzte Kosten zurzeit: mindestens 18 Milliarden Pfund, rund 20 Milliarden Euro. Start des Betriebs: voraussichtlich 2025.

Voraussichtlich. Es kann aber auch länger dauern. Der erste EPR Europas wird gerade in Finnland gebaut. Das Kernkraftwerk Olkiluoto 3 liegt mit einer zurzeit angekündigten Inbetriebnahme Ende 2018 neun Jahre hinter dem Zeitplan zurück und wird mit geschätzten neun Milliarden Euro rund dreimal so teuer wie ursprünglich geplant. Trotzdem halten die Briten an ihrem Plan fest.

Dass ausgerechnet ein französisches Staatsunternehmen, die EDF, dieses Kernkraftwerk bauen soll, ist schon seltsam genug. Aber die Geschichte wird noch seltsamer: Weil die EDF durch den Bau von Olkiluoto 3 finanziell bereits schwer belastet ist, konnte sie das Hinkley-Projekt nicht allein stemmen. Als Retter in der Not traten schließlich die Chinesen auf den Plan: die China General Nuclear Power Group (CGNP), die ein Drittel der Investitionen stemmt.

Doch was wie ein Sieg der Atomenergie in Europa aussah, ist in Wahrheit das exakte Gegenteil. Der Fortgang der Geschichte zeigt, wie absurd die Behauptung ist, Kernkraft sei eine günstige Energiequelle. Anfang März 2016 trat der EDF-Finanzvorstand Thomas Piquemal zurück. Grund für den Abgang waren laut Medienberichten Zweifel an der Finanzierbarkeit von Hinkley Point. Im Juli durchsuchten Beamte der französischen Finanzmarktaufsicht die EDF-Zentrale. Nicht mal die britische Regierung selbst glaubt anscheinend so richtig an die EDF. Sonst hätte sie nicht so sorgfältig darauf geachtet, vertraglich zu verhindern, dass der französische EDF-Konzern seinen Mehrheitsanteil an die Chinesen verkauft.

Selbst innerhalb der britischen Regierung gibt es zudem Stimmen, die die Chinesen für ein Sicherheitsrisiko halten. Hinkley Point soll immerhin sieben Prozent des britischen Strombedarfs decken. Noch im Oktober 2015 warnte Nick Timothy, jetzt Stabschef in der Downing Street, die Chinesen könnten Hintertüren in die Computersysteme der Atomkraftwerke einbauen und „nach Belieben die britische Energieversorgung herunterfahren“. Wasser auf die Mühlen der Kritiker waren jüngste Meldungen, nach denen CGNP in den USA unter dem Verdacht der Industriespionage steht.

Besonders sauer stößt Kritikern aber auf, dass die britische Regierung der EDF einen Abnahmepreis von 92 Pfund pro Megawattstunde (106 Euro) garantiert. Diese Einspeisevergütung ist zwar geringer als die für Sonnenstrom (120 Pfund in Großbritannien, in Deutschland sind es 89 Euro pro Megawattstunde). Anders als die Einspeisevergütung für erneuerbare Energien fällt die Vergütung für Atomstrom aber nicht, sondern sie steigt. Und zwar für volle 35 Jahre – entsprechend der Inflationsrate.

Das alles klingt wie politischer Irrsinn – ist es aber nicht. Im Gegenteil: EU-Energiekommissar Oettinger hat zwar nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er ein Atomfreund ist. Aber auch ein knallharter Atomkraftgegner hätte schwer erklären können, warum Einspeisevergütungen in Deutschland gut sind, in Großbritannien aber schlecht. Die EU-Kommission befand sich also in einer Zwickmühle und erklärte folgerichtig im Herbst 2014, dass diese Form der Finanzierung mit den EU-Wettbewerbsregeln vereinbar ist. Österreich reichte zwar 2015 vor dem Europäischen Gerichtshof eine Klage dagegen ein. Die Chancen, die Klage zu gewinnen, sind aber nach dem Brexit-Votum sehr klein geworden. Umweltschützer und Volkswirte mögen sich die Haare raufen – Theresa May bekommt, was sie will: ausländische Investitionen, Jobs und nukleares Know-how. Hinkley Point wird die größte Baustelle Europas und soll bis zu 25000 Jobs generieren. Auch nach der Fertigstellung soll das Atomkraftwerk dauerhaft 900 Menschen Arbeit geben. Das nukleare Know-how, das dem Land langsam, aber stetig entglitten ist, wird aufgefrischt und dauerhaft gesichert.

Die Wirtschaftsbeziehungen zu den Franzosen und den Chinesen, die nach dem Brexit-Votum wichtiger denn je sind, werden durch den Deal nachhaltig gestärkt. Und das Beste ist: Für all das muss die britische Regierung keinen Cent bezahlen. Das müssen die Verbraucher erledigen. Immerhin wird dadurch auch in Großbritannien bald keiner mehr glauben, Atomstrom sei billig. Vielleicht ziehen die Briten ja sogar politische Konsequenzen daraus. Abwarten und Tee trinken.