Kraftwerken droht Burnout
Die Stromproduktion vieler Kraftwerke könnte bis 2050 um ein Drittel zurückgehen – weil sie wegen des Klimawandels nicht mehr ausreichend gekühlt werden können.
Wasserkraft und thermische Kraftwerke decken mehr als 95 Prozent des globalen Strombedarfs. Doch bei den prognostizierten Hitzewellen und Dürren werden sie deutlich weniger Strom erzeugen, so das Ergebnis einer kürzlich veröffentlichten Studie (DOI 10.1038/nclimate2903).
„Sowohl Wasserkraftwerke als auch thermoelektrische Anlagen, betrieben mit nuklearen, fossilen oder nachwachsenden Brennstoffen, benötigen Frischwasser aus Flüssen“, sagt Erstautorin Michelle Van Vliet von der Universität Wageningen – entweder als Antrieb oder zur Kühlung. Sonst können sie nicht mit voller Leistung laufen. Der heiße Sommer 2011 in Frankreich gab einen Vorgeschmack darauf: Flüsse wie Loire und Rhone führten sehr wenig Wasser und durften zum Schutz des Ökosystems nicht weiter erwärmt werden. Die 58 Kernreaktoren lieferten zeitweise bis zu einem Drittel weniger Strom als sonst.
Van Vliet und ihre Kollegen blickten nun weit über die lokal und zeitlich begrenzten Hitzewellen hinaus. „Dies ist die erste Studie, die Klimawandel, die Verfügbarkeit von Wasser und die Stromproduktion auf globaler Ebene verknüpft“, sagt Koautor Keywan Riahi vom International Institute for Applied Systems Analysis im österreichischen Laxenburg. Für ihre Analyse werteten die Forscher die Betriebsdaten von 24515 Wasserkraftanlagen und 1427 thermischen Kraftwerken aus. Diese Daten koppelten sie mit Klimamodellen, die Rückschlüsse auf Wassermengen und -temperaturen von Flüssen bis zum Ende des 21. Jahrhunderts erlaubten. So entstand eine Weltkarte der Versorgungsrisiken. „Mit ihrem Wissen aus zahlreichen Vorstudien liefert die Arbeitsgruppe sehr zuverlässige Ergebnisse“, urteilt Stefan Vögele vom Forschungszentrum Jülich.
„Besonders die Vereinigten Staaten, die südlichen Regionen Südamerikas, Europas, Australiens und Südafrikas und Südostasien zählen zu den gefährdeten Regionen“, sagt Van Vliet. Hier sei nicht nur mit einem Rückgang der Wassermengen, sondern auch mit einem starken Anstieg der Wassertemperaturen zu rechnen. 86 Prozent aller thermischen Kraftwerke werden demnach in den 2050er-Jahren bis zu zwölf Prozent weniger Strom produzieren. Bis in die 2080er-Jahre wachse der Ausfall auf ein Fünftel an. In heißen Monaten halten die Forscher sogar Einbußen von mehr als 30 Prozent für möglich. Nur Indien und Russland dürften davon verschont bleiben.
Wasserkraftwerke sind der Studie zufolge weniger stark betroffen. Für sie prognostizieren die Forscher einen Rückgang der Jahresproduktion um vier Prozent in den 2050er- und sechs Prozent in den 2080er-Jahren. In trockenen Monaten müssen trotzdem ein Fünftel der heute bereits gebauten Kraftwerke mit Einbußen von etwa einem Drittel rechnen. Für neue Wasserkraftwerke empfehlen die Forscher Standorte in Kanada, Nordeuropa, Zentralafrika, Indien und im Nordosten Chinas. Dort werde es mehr Wasser geben.
Zumindest für die thermischen Kraftwerke existieren bereits technische Lösungen. „Mit Änderungen in den Kühlsystemen lässt sich die Effizienz der thermischen Kraftwerke selbst für gefährdete Regionen erhalten“, sagt Van Vliet. Statt Flusswasser könnten zum Beispiel Kühltürme mit fein verrieseltem Wasser die Kälte bereitstellen. Besitzen sie Ventilatoren, brauchen die Türme auch nicht bis zu 200 Meter hoch aufzuragen – allerdings mit Einbußen im Wirkungsgrad von ein bis zwei Prozent. In der Nähe von Küsten empfiehlt sich die Kühlung mit Meerwasser.
Fast ohne Wasser, nur mit Luft, geht es allerdings auch. „Doch das ist deutlich weniger effizient“, sagt Wolfgang Czolkoss, Referent für Kühltechnik beim Fachverband VGB PowerTech. Die Wirkungsgrade sinken bei Trockenkühlung um bis zu drei Prozent im Vergleich zur Kühlung mit Flusswasser. Das klingt nach wenig, ist für thermische Kraftwerke, bei denen um Zehntelprozentpunkte beim Wirkungsgrad gerungen wird, aber von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Dennoch hat man in trockenen Regionen keine andere Wahl – zum Beispiel beim Kohlekraftwerk Medupi in Südafrika, dessen erster Block seit einem knappen Jahr am Netz hängt. Wenn es in wenigen Jahren fertiggestellt ist, wird es mit 4800 Megawatt das weltweit größte Kohlekraftwerk mit Trockenkühlung sein. JAN OLIVER LÖFKEN