MIT Technology Review 6/2016
S. 58
TR Mondo

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Technology Review ist mit Autoren weltweit vertreten. Auf den folgenden Seiten berichten sie über die spannendsten Entwicklungen in ihren Ländern.

CHINA

Roboter fürs Volk

Ein Transportroboter bringt Material vorbei: Fabrik in Shanghai. Foto: Daniele Mattioli

Die Automatisierung erreicht China, lange Jahre das Land der billigen Arbeitsheere: In einem großen fensterlosen Raum in einer Elektronikfabrik in Shanghai werden Router für den Export verpackt. Den 15 Arbeitern steht ein Roboterarm zur Seite, der die Kartons etikettiert.

Bis zum Jahresende will die Cambridge Industries Group (CIG) an dem Standort zwei Drittel der 3000 Angestellten durch Maschinen ersetzen. Das Ziel ist eine „dunkle Fabrik“ – denn Roboter brauchen kein Licht bei der Arbeit. Weitere chinesische Hersteller planen, ihre Produktionsprozesse ebenfalls zu automatisieren. Sie scheinen keine Wahl zu haben. Die menschliche Arbeit ist nicht mehr so billig – vor allem im Vergleich zu den konkurrierenden asiatischen Produktionszentren in Vietnam, Thailand und Indonesien. Dort sind die Löhne heute dreimal niedriger als in den chinesischen Metropolen. In Shanghai haben sie sich innerhalb der vergangenen sieben Jahre mehr als verdoppelt.

Gerald Wong, einer der Geschäftsführer der CIG-Fabrik und Absolvent des Massachusetts Institute of Technology, führt durch die Shanghaier Firma. Während eine Reihe Maschinen Chips in Platinen einsetzt, rollt ein Transportroboter in der Größe eines Minikühlschranks vorbei. In der nächsten Halle platziert ein Roboterarm fertige Platinen zur automatischen Überprüfung in eine Maschine. Sein Unternehmen teste sogar einen Roboter, der das Löten einer Leiterplatte schneller und verlässlicher als ein Mensch erledige, sagt Wong. Für ihn ist klar: „Entweder die Automatisierung kommt – oder die Fabriken haben keine Zukunft.“

Damit stehen viele jener Menschen zur Disposition, die das Land bisher für seine florierenden Produktionsstätten benötigt. Noch basiert Chinas ökonomischer Erfolg auf den 100 Millionen Arbeitern, die in den Fabriken 36 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften. Während in den 1990er-Jahren nur drei Prozent der weltweit produzierten Güter aus China kamen, sind es heute fast ein Viertel der Produkte – darunter 80 Prozent aller Klimaanlagen, 71 Prozent aller Handys und 63 Prozent aller Schuhe. Aufgrund der gestiegenen Löhne sanken die Exporte voriges Jahr allerdings zum ersten Mal seit der Finanzkrise 2009.

Noch läuft die Automatisierung langsam an. Chinesische Unternehmen haben zwar schon Industrieroboter importiert, aber der Anteil ist im Vergleich zu 10000 Arbeitern mit 36 Maschinen viel geringer als in anderen Ländern: in Japan sind es 315, in Deutschland 292 und in den USA 164 Roboter.

Dass es kein einfaches Unterfangen ist, zeigt das Beispiel von Foxconn. Das taiwanesische Unternehmen produziert unter anderem Apples iPhone. 2011 kündigte es an, innerhalb von drei Jahren eine Million Roboter einzusetzen. Doch nach Ablauf der Frist waren es gerade mal mehrere Zehntausend Maschinen. Trotzdem ist es laut Day Chia-Peng, einem der Manager, gelungen, die Herstellung von Displays und Platinen zu automatisieren. Aufgaben wie das Biegen oder Knicken von Teilen bleiben jedoch eine Herausforderung.

Doch die Entwicklung soll beschleunigt werden: Der im März verabschiedete Fünfjahresplan sieht vor, Milliarden Yuan in die Förderung von Unternehmen zu investieren, die ihre Technik mit Maschinen und Robotern modernisieren. Außerdem sollen Innovationszentren entstehen. Es gilt, bis zum 100-jährigen Bestehen der Volksrepublik im Jahr 2049 die westliche Konkurrenz zu überholen und eine Hightech-Industrie zu etablieren. Es wird sogar das Re-Design von Produkten angedacht, um die Automatisierung zu vereinfachen.

Die World Robot Conference in Peking zeigte, wie ambitioniert China ist: Die HIT Robot Group skizzierte eine Batteriefabrik, die selbst an einen Riesenroboter erinnert. Menschen wären dort nur im Kontrollraum und in einer Produktionslinie mit besonders kniffligen Aufgaben zu finden: Das Unternehmen schätzt, mit der neuen Fabrik 85 Prozent der menschlichen Arbeitskraft einsparen zu können.

Aber wie gelingt es China, seine Ambitionen zu verwirklichen? Kai Yu, Gründer von Horizon Robotics, leitete früher ein Forschungslabor von Chinas führendem Internetunternehmen Baidu. Dort stand „Deep Learning“ im Zentrum der Arbeit, das nun Industrieroboter smarter und flexibler machen soll. Yu glaubt, was die Internetfirmen mit den „Suchen“ und dem E-Commerce entwickelten, „kann genutzt werden, um intelligente Maschinen zu kreieren“.

Für die Arbeiter, die ihren Job verlieren, hat Gerald Wong auch schon eine Lösung: Sie kehren in ihre Heimat zurück, um in der Landwirtschaft, einem Laden oder Restaurant unterzukommen, glaubt er. Das mag stimmen. Aber leicht wird es nicht.

WILL KNIGHT