ÄTHIOPIEN
Ein himmlischer Brunnen
Morgennebel hing über den grünen Hügeln, Tautropfen fielen von den Blättern: Als der Architekt Arturo Vittori 2012 durch das Hochland im Nordosten Äthiopiens reiste, war er von der Schönheit des Landes beeindruckt. Es erinnerte den Italiener an seine Jugend im Tiber-Tal. Auch dort waren die Olivennetze morgens nass vor Tau.
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Was Vittori in Afrika ebenfalls auffiel, waren Frauen und Kinder mit alten Plastikeimern oder getrockneten Kürbisschalen. Sie wanderten kilometerweit, um Wasser aus oft schmutzigen Brunnen und Tümpeln zu holen. „Der Einfluss von schlechter Wasserqualität auf die Gesundheit und den Alltag ist schockierend“, sagt Vittori. Nur etwa ein Drittel der 90 Millionen Äthiopier hat Zugang zu zentraler Versorgung mit Trinkwasser.
Das Land ist kein Einzelfall. Nach Angaben der Vereinten Nationen trinken weltweit rund 1,8 Milliarden Menschen Wasser, das krank machen kann. „Schätzungsweise 54000 Kinder sterben weltweit pro Jahr an Durchfall, weitere 217000 an anderen Krankheiten, die mit schlechtem Wasser zu tun haben“, sagt der Architekt.
Was Vittori auf seiner Reise sah, brachte ihn auf eine Idee. Knapp drei Jahre später errichtete er im Bergdorf Dorze ein elf Meter hohes turmartiges Gebilde, das er Warka-Turm nennt, in Anlehnung an das äthiopische Wort für einen Feigenbaum. „Warka Water“ ist inzwischen auch der Name der von Vittori gegründeten Hilfsorganisation.
Der Turm sammelt Trinkwasser und macht sich dabei das Klima Äthiopiens zunutze – die hohe Luftfeuchtigkeit des Hochlands und die großen Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht.
Die Konstruktion besteht aus einfachen Materialien, die alle im Land erhältlich sind: Bambus, biologisch abbaubares Plastik, Zellstoff, Hanf und Bolzen. Sie wiegt nur 80 Kilogramm, ist wetterfest und lässt sich leicht auseinanderbauen und transportieren.
Im Inneren des Turms wird ein Maschennetz aus Nylon und Polypropylen aufgespannt. Darin sammelt sich Wasser aus drei Quellen: Nebeltropfen, Morgentau und Regen. Dieses Wasser wird dann in einem bis zu 3000 Liter großen Tank am Fuße des Turms gespeichert. „Ein einziger Turm sammelt bis zu 100 Liter Trinkwasser pro Tag“, sagt Warka-Mitarbeiter Paolo Ferrando. „Genug, um 30 Menschen zu versorgen.“
Bislang liegen die Produktionskosten für einen Warka-Turm bei rund 1000 Dollar. Doch Ferrando rechnet mit günstigeren Preisen, wenn die für 2019 angestrebte Serienproduktion beginnt. Um mehr Menschen versorgen zu können, arbeitet Warka Water jetzt mit der internationalen Hilfsorganisation Oxfam zusammen. Gemeinsam wollen sie Warka-Türme auch in Kolumbien, Indien und Haiti aufstellen.
ROMAN GOERGEN