MIT Technology Review 8/2016
S. 65
TR Mondo

ÄTHIOPIEN

Ein himmlischer Brunnen

Morgennebel hing über den grünen Hügeln, Tautropfen fielen von den Blättern: Als der Architekt Arturo Vittori 2012 durch das Hochland im Nordosten Äthiopiens reiste, war er von der Schönheit des Landes beeindruckt. Es erinnerte den Italiener an seine Jugend im Tiber-Tal. Auch dort waren die Olivennetze morgens nass vor Tau.

Die filigranen Türme sollen Wasser aus der Luft ernten. Foto: Warka Water

Was Vittori in Afrika ebenfalls auffiel, waren Frauen und Kinder mit alten Plastikeimern oder getrockneten Kürbisschalen. Sie wanderten kilometerweit, um Wasser aus oft schmutzigen Brunnen und Tümpeln zu holen. „Der Einfluss von schlechter Wasserqualität auf die Gesundheit und den Alltag ist schockierend“, sagt Vittori. Nur etwa ein Drittel der 90 Millionen Äthiopier hat Zugang zu zentraler Versorgung mit Trinkwasser.

Das Land ist kein Einzelfall. Nach Angaben der Vereinten Nationen trinken weltweit rund 1,8 Milliarden Menschen Wasser, das krank machen kann. „Schätzungsweise 54000 Kinder sterben weltweit pro Jahr an Durchfall, weitere 217000 an anderen Krankheiten, die mit schlechtem Wasser zu tun haben“, sagt der Architekt.

Was Vittori auf seiner Reise sah, brachte ihn auf eine Idee. Knapp drei Jahre später errichtete er im Bergdorf Dorze ein elf Meter hohes turmartiges Gebilde, das er Warka-Turm nennt, in Anlehnung an das äthiopische Wort für einen Feigenbaum. „Warka Water“ ist inzwischen auch der Name der von Vittori gegründeten Hilfsorganisation.

Der Turm sammelt Trinkwasser und macht sich dabei das Klima Äthiopiens zunutze – die hohe Luftfeuchtigkeit des Hochlands und die großen Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht.

Die Konstruktion besteht aus einfachen Materialien, die alle im Land erhältlich sind: Bambus, biologisch abbaubares Plastik, Zellstoff, Hanf und Bolzen. Sie wiegt nur 80 Kilogramm, ist wetterfest und lässt sich leicht auseinanderbauen und transportieren.

Im Inneren des Turms wird ein Maschennetz aus Nylon und Polypropylen aufgespannt. Darin sammelt sich Wasser aus drei Quellen: Nebeltropfen, Morgentau und Regen. Dieses Wasser wird dann in einem bis zu 3000 Liter großen Tank am Fuße des Turms gespeichert. „Ein einziger Turm sammelt bis zu 100 Liter Trinkwasser pro Tag“, sagt Warka-Mitarbeiter Paolo Ferrando. „Genug, um 30 Menschen zu versorgen.“

Bislang liegen die Produktionskosten für einen Warka-Turm bei rund 1000 Dollar. Doch Ferrando rechnet mit günstigeren Preisen, wenn die für 2019 angestrebte Serienproduktion beginnt. Um mehr Menschen versorgen zu können, arbeitet Warka Water jetzt mit der internationalen Hilfsorganisation Oxfam zusammen. Gemeinsam wollen sie Warka-Türme auch in Kolumbien, Indien und Haiti aufstellen.

ROMAN GOERGEN

SCHWEDEN

Hochöfen ohne Koks

Bis Stahl verarbeitet werden kann, sind gr0ße Mengen Kohlendioxid entstanden. Es geht auch anders. Foto: Bo Björkdahl/ SSAB

Bis 2040 will Schweden kohlendioxidfrei werden. Dazu möchte auch der Stahlkonzern SSAB beitragen, der größte CO2-Emittent des Landes. Seine Hochöfen blasen jedes Jahr knapp fünf Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre. Künftig will SSAB nun Wasserstoff statt Koks in seinen Hochöfen verwenden. Als Abfallprodukt fällt dann nur Wasser an. Im Erz, wie es aus der Erde gefördert wird, liegt das Eisen als Verbindung mit Sauerstoff vor. Dieser Sauerstoff muss abgespalten werden. Der Koks in den Hochöfen dient nicht nur dazu, die nötige Hitze zum Schmelzen zu erzeugen; bei seiner Verbrennung entsteht außerdem Kohlenmonoxid, das den Sauerstoff aus dem Eisenerz an sich bindet und dann als Kohlendioxid in die Umwelt gelangt.

Bläst man dagegen reinen Wasserstoff in das flüssige Eisenerz, so verbindet er sich mit dem Sauerstoff aus dem Eisenoxid zu Wasser. Diese sogenannte Direktreduktion ist nicht neu, wird aber kaum angewendet. Der Grund: Sie benötigt zwar keine so hohen Temperaturen wie das Verfahren mit Koks, muss aber elektrisch beheizt werden. Und obendrein muss der nötige Wasserstoff erst energieaufwendig hergestellt werden.

Aber in Nordschweden sind die Voraussetzungen für den Prozess besonders günstig. In Kiruna fördert eine der zehn größten Eisenerzminen der Welt besonders reines Erz mit geringem Sauerstoffgehalt. Zugleich rauschen dort zahlreiche Flüsse aus den norwegischen Bergen ungebändigt in die Ostsee – und der Wind weht ungenutzt über die unbewohnten Schäreninseln vor der Nordküste. Die reichlich vorhandenen Naturkräfte nutzte Schweden bisher kaum zur Stromerzeugung, weil die Leitungsverluste zu den mehr als tausend Kilometer entfernten Großstädten und Industriezentren im Süden zu groß wären. Nun will der staatliche Energiekonzern Vattenfall mit Wasser- und Windkraft den nötigen Strom für die Heizung der Eisenkocher sowie die Erzeugung der enormen Mengen an Wasserstoff liefern. Für das Bergbauunternehmen LKAB mit seinen Erzminen in Kiruna entfielen teure Transportkosten, wenn sich die Eisenproduktion nach Norden verlagern würde.

Auch andere Produzenten sind der Auffassung, dass der CO2-freien Eisen- und Stahlherstellung die Zukunft gehört: zum Beispiel der österreichische Stahlkonzern Voestalpine AG. Nur die deutsche Stahlindustrie ist noch der festen Überzeugung, dass sich ohne Kohlenstoff kein Roheisen gewinnen lässt.

In eineinhalb Jahren soll in Schweden die Vorstudie für die neuen Investitionen fertig sein. Danach soll die Technik in einer Pilotanlage so weit optimiert werden, dass die kommerzielle Produktion um 2030 beginnen könnte.

HANNS-J. NEUBERT