USA
Der Schallmauer entgegensegeln
Wie an einem Lasso zieht das kleine Segelflugzeug am kalifornischen Bird Spring Pass seine Runden. Zunächst hoch über dem Bergrücken, wenige Augenblicke später knapp über dem felsigen Boden. Immer und immer wieder. Schneller und schneller. Bis jemand ruft: „519! Meine Güte!“
519 Meilen in der Stunde: Weltrekord. Schneller ist noch nie jemand mit einem Modellflugzeug geflogen – und das ohne Antrieb, allein mit der Kraft des Windes. Aufgestellt hat die neue Bestmarke, umgerechnet 835 Kilometer pro Stunde, vor wenigen Monaten der kalifornische Ingenieur Spencer Lisenby. Aber er ist überzeugt: Bei 519 Meilen pro Stunde ist noch nicht Schluss. „Man muss nur zur richtigen Zeit am richtigen Hügel sein“, sagt er und lacht. Ganz so einfach ist es natürlich nicht, im Gegenteil. Der sogenannte dynamische Segelflug, dessen Prinzip sich Spencer und seine Modellflugkollegen bei Vögeln abgeschaut haben, bringt Menschen und Technik an ihre Grenzen.
Das Prinzip: Pfeift der Wind über eine Bergkante, entstehen direkt auf dem Hügel extrem hohe Geschwindigkeiten. Im Windschatten des Berges geht es hingegen gemächlicher zu. Dafür lauern dort Turbulenzen. Ziel der Modellflieger ist es nun, direkt über dem Boden den beinahe windstillen Hang hinaufzufliegen und sich über der Kante – auf dem Rückweg – von den mehr als 100 Kilometer pro Stunde starken Winden treiben zu lassen. In einer großen Ellipse geht es dann wieder von vorn los. Nach und nach kann ein Segelflugzeug dabei – wie beim Rekordflug im Frühjahr – ein immenses Tempo aufbauen.
Die Manöver erfordern allerdings verwegene Steuerkünste. Im turbulenten Windschatten des Berges bewegt Lisenby seinen ferngesteuerten Segelflieger nur wenige Meter über dem Boden. Sobald die Kuppe erreicht ist, muss er umgehend den Rückflug einleiten. Nur zwei Sekunden dauert eine Rekordrunde, weniger als eine halbe Sekunde Reaktionszeit bleibt für Kurskorrekturen. Das Flugzeug legt währenddessen mehr als hundert Meter zurück. „Das geht nur mit Planung, Training, Erfahrung und viel Espresso“, sagt Lisenby.
Und mit einem genialen Konstrukteur im Hintergrund. Die Tragflächen für Lisenbys Rekordflieger sind schmal, spitz und fast drei Meter lang. Der deutsche Tüftler Dirk Pflug hat sie entworfen. Es galt, möglichst wenig Luftwiderstand zu erzeugen, aber dennoch genügend Auftrieb und ausreichend Stabilität zu gewährleisten, damit sie bei den immensen Kräften nicht in der Luft zerbrechen. Schließlich pfeift die Luft lokal mit Überschallgeschwindigkeit um den Flügel.
Für maximal 930 Kilometer pro Stunde sind die aktuellen Flügel ausgelegt. Bei höheren Geschwindigkeiten würde der Widerstand der Luft überproportional ansteigen. Dann helfen nur noch Flügel, die sich pfeilförmig nach hinten erstrecken und dadurch weniger Widerstand leisten. Die allerdings machen die ohnehin schon komplizierten Flugmanöver nicht einfacher. Lisenby ist trotzdem zuversichtlich. „Wenn wir genug Gehirnschmalz in Entwurf und Konstruktion eines neuen Flugzeugs investieren, sollten Geschwindigkeiten an die tausend Kilometer pro Stunde möglich sein.“
Alexander Stirn