MIT Technology Review 10/2017
S. 12
Aktuell

INTERVIEW

„Das erste Nanocar Race sahen mehr als 100000 Menschen“

Welche Idee steckt hinter dem Nanocar Race?

Christian Joachim, Quantenphysiker am CNRS-Forschungsinstitut im südfranzösischen Toulouse, organisierte das erste Nanocar Race. Sechs Teams traten gegeneinander an. Sie stammten aus Japan, Frankreich, Deutschland, den USA, der Schweiz sowie aus den USA und Österreich. Foto: Privat

Seit etwa drei Jahrzehnten lassen sich einzelne Moleküle auf einer Oberfläche mit der Spitze von Rastertunnelmikroskopen manipulieren. Erinnern Sie sich an die kurzen Worte, die Atom für Atom in den späten 80er-Jahren geschrieben werden konnten? Allerdings führte dieses Wissen bis heute nur selten zu konkreten Anwendungen. Das Nanocar Race demonstrierte nun die fantastischen Möglichkeiten dieser Technologie, die viele Chancen für Chemie und Physik bereithält.

Foto: Eric Masson Ph.D.

Wie sahen die Vorbereitungen für das Rennen aus?

In den vier Jahren Vorlaufzeit registrierten sich neun Teams aus aller Welt. Für den Wettkampf qualifizierten sich am Ende sechs Teams. Sie hatten rechtzeitig zu Rennbeginn geeignete Nano-Autos aus beweglichen und rotierenden Molekülen entwickelt.

Wie verfolgen Sie das Rennen dieser nahezu unsichtbaren Nano-Boliden?

Das ist einfacher, als man denkt. Die Teams bewegten mit der Spitze eines Rastertunnelmikroskops ihr molekulares Fahrzeug vorwärts und schossen etwa alle fünf Minuten ein Bild von der jeweils aktuellen Position. Am Ende hatten wir zwei Gewinner, die das gesetzte Ziel erreichten: Das eine war ein Nanocar aus der Schweiz, gesteuert auf einer Goldoberfläche in Toulouse. Das Gefährt des amerikanisch-österreichischen Teams war ebenfalls sehr schnell – 150 Nanometer in zwei Stunden. Es wurde vom Labor in Toulouse aus auf einer Silberoberfläche in Österreich ferngesteuert.

Gab es auch Zuschauer außerhalb der Labore?

Das Rennen faszinierte nicht nur Wissenschaftler, sondern ein breites Publikum. Das erste Nanocar Race war ein großer Erfolg. Mehr als 100000 Menschen verfolgten unser Rennen in Echtzeit über unseren YouTube-Kanal.

Wofür taugen solche Nanocars in Zukunft?

Zuallererst zeigte unser Rennen das enorme Potenzial der Kontrolle über einzelne Moleküle. Alle Teams gewannen neue Ideen für bessere Moleküle und Nanoautos. Wir stehen am Anfang von Nanomaschinen aus einzelnen Molekülen. Diese könnten zu extrem effizienten Katalysatoren führen. Nanomaschinen könnten zum Beispiel giftige Moleküle aus Abfällen trennen oder auch elektronische Schaltkreise Atom für Atom zusammensetzen.

INTERVIEW: JAN OLIVER LÖFKEN

SICHERHEIT

Die Kamera schreibt die Berichte

Foto: Axon

Kaum ein Polizist verfasst gern Berichte. Den amerikanischen Ordnungshütern soll eine Körperkamera nun einen Großteil dieser Arbeit abnehmen. Sie kann Videos automatisch auswerten. Entwickelt hat das Equipment das US-Unternehmen Axon aus Arizona, das für seine Taser-Elektroschocker bekannt ist. In einer einjährigen Pilotphase sollen bis zu 500000 Polizisten die Kamera und die Cloud-gestützte Auswertung von Bild- und Audiodaten nun kostenfrei einem Praxistest unterziehen können.

Im Einsatz heften sich die Polizisten die zigarettenschachtelgroße Kamera an die Brust. Über ein Weitwinkelobjektiv zeichnet sie HD-Videos auf und speichert diese auf dem integrierten Chip ab. Zurück im Revier, wird das Material in eine Datenbank der Firma transferiert. Interviews mit Verdächtigen oder Zeugen können automatisch transkribiert werden. Dabei sollen spezielle Algorithmen Schlüsselaussagen erkennen und in Berichten zusammenfassen.

Prinzipiell ließe sich die integrierte Gesichtserkennung auch mit der automatischen Identifikation über eine Porträt-Datenbank koppeln. Doch vor diesem Schritt scheut das Unternehmen bisher zurück, da Persönlichkeitsrechte verletzt werden könnten. Erste Kritiker der automatischen Auswertung warnen zudem vor einem Missbrauch zufälliger Videoaufnahmen von Unbeteiligten und möglichen Fehlern in juristisch verwertbaren Zeugenaussagen. JAN OLIVER LÖFKEN