MIT Technology Review 5/2017
S. 52
Horizonte
Virtuelle Realität

Glanz und Elend von VR-Filmen

Filme waren die populäre Kunstform des 20. Jahrhunderts. Kommt virtuelle Realität als Nächstes?

Notes on Blindness visualisiert die Wahrnehmung eines Blinden: Geräusche geben den Dingen eine Kontur. Screenshots aus: Notes on Blindness VR/ Arte Creative/YouTube

Würden Sie sich Casablanca in der virtuellen Realität anschauen? Die Frage klingt albern. Aber sie ist nützlich, um zu zeigen, warum VR niemals klassische Filme ersetzen wird.

Die meisten von uns würden wohl gar nicht mehr aus Rick's Café herauskommen. Wir würden bei Sascha an der Bar stehen oder bei Sam herumhängen, wenn er As Time Goes By noch einmal spielt. Das zentrale Liebesdrama zwischen Rick und Ilsa würden wir wahrscheinlich gar nicht mitbekommen. Regisseur Michael Curtiz hat mit seinem Team eine so spannende Welt geschaffen, dass wir zufrieden wären, sie zu erkunden – bis wir irgendwo an Wände stoßen wie Jim Carrey in der Truman Show. Genauso würden wir bei Citizen Kane wohl vor allem in dem Keller voller Andenken herumstöbern oder bei Der Pate im verwunschenen Haus von Don Corleone.

Sie wollen wissen, wie es weitergeht?

„Ich liebe Ungehorsam“

Jessica Brillhart hat einen der kreativsten Jobs im Silicon Valley: Sie leitet Googles Abteilung für Virtual-Reality-Filme und erforscht, welche Geschichten sich mit VR erzählen lassen – und welche nicht.

TR: Wann haben Sie zum ersten Mal virtuelle Realität erlebt?

2009 stieß Jessica Brillhart zu Googles Creative Lab. Seitdem hat sie viele Preise für ihre Kurzfilme und Dokumentationen bekommen. Foto: Tim Barber

Jessica Brillhart: Ich verfolge die VR-Techniken, die wir bei Google entwickeln. Und ich erkunde, wie ich sie kreativ einsetzen kann. Eines Tages besuchte ich ein Team, das eine 360-Grad-Kamera baute. Ich sah VR-Anwendungen, an die wir uns heute gewöhnt haben – etwa Musiker in 360 Grad –, und ich dachte: „Gar nicht so uninteressant.“ Aber einen Film wollten sie mir zuerst gar nicht vorführen. Er zeigte das ganze Team, als sie das Kamerasystem erstmals einschalteten. Und sie waren so glücklich! Dieses Grinsen auf den Gesichtern musste man einfach lieben. Zunächst schauten sie sich nur um: Funktioniert das wirklich? Und auf einmal warfen sie die Arme in die Luft. Und ich wusste, dass ich etwas gesehen hatte, das konventionelle Filme vielleicht nie erreichen werden.