MIT Technology Review 5/2017
S. 112
Fundamente
Jubiläum

Geplatztes Rendezvous

Die russischen Sojus-Raumschiffe gelten heute als zuverlässige Arbeitspferde der bemannten Raumfahrt. Beim Erstflug vor 50 Jahren sah das noch ganz anders aus.

Zum ehrfürchtigen Erstaunen vor dem erneuten Sieg der Sowjetunion im Weltraum soll ein Kosmonaut den Staatspräsidenten aus dem Mondorbit grüßen“ – so salbungsvoll kündete die „Prawda“ vor 50 Jahren den ersten bemannten Flug der Raumkapsel Sojus 1 an. Doch die Mission erwies sich als Kette von Pannen. Statt in den Mondorbit ging es am 23. April 1967 nur in die Erdumlaufbahn. Einen Tag, zwei Stunden, siebzehn Minuten und drei Sekunden später schlug die Kapsel ungebremst auf den kasachischen Steppenboden auf. Wladimir Michailowitsch Komarow, der einzige Kosmonaut an Bord, war sofort tot.

Start der Sojus 1 am 23. April 1967 mit einer Proton-Rakete. Foto: SZ Photo

War er sehenden Auges in den Tod geflogen? Er wisse, dass er wahrscheinlich sterben werde, soll er vor dem Flug erzählt haben. Aber wenn er den Start verweigere, müsse sein Freund Juri Gagarin einspringen. Der habe, so Jamie Doran und Piers Bizony in ihrem Buch „Starman“, nicht weniger als 203 Mängel an der Sojus aufgelistet. In einem Brandbrief drängte er den Staatschef Leonid Breschnew, den Flug zu verschieben.

Doch Fehlschläge hatten das sowjetische Mondprojekt bereits weit gegenüber dem amerikanischen zurückgeworfen. Die Sowjetführung brauchte also dringend neue Erfolge. Dazu sollten erstmals zwei Raumkapseln im All aneinander andocken. Zwar hatten sich die US-Raumkapseln Gemini 6 und 7 schon 1965 bis auf 30 Zentimeter angenähert, aber ein echtes Koppelungsmanöver wäre eine Premiere im All.

Das Szenario sah vor, zunächst ein Raumschiff mit nur einem Kosmonauten an Bord loszuschicken. Die Sojus 2A mit drei Mann Besatzung sollte am Tag danach folgen, ankoppeln und zwei Kosmonauten umsteigen lassen. Vermutlich sollten sie dann Richtung Mond weiterfliegen. Denn die sowjetischen Wissenschaftler ahnten wohl, dass die Amerikaner als Erste den Mond betreten würden. Deshalb versuchten sie alles, wenigstens den ersten Kosmonauten in einen Mondorbit zu schicken.

Die alte einsitzige Raumkapsel namens Woschod kam dafür nicht mehr infrage. Ihre begrenzten Steuerungsmöglichkeiten ließen solche Manöver nicht zu. Die Sojus bekam daher eine neue Steuerung und einen Kopplungsadapter. Erstmals sollten zudem Solarzellen den nötigen Strom liefern.

Der Start von Sojus 1 lief noch nach Plan. Um 0.35 Uhr Weltzeit hob die Proton-Rakete im kasachischen Leninsk ab; heute ist der Ort als Baikonur bekannt. Doch im Orbit begannen die Schwierigkeiten: Eines der beiden Solarmodule entfaltet sich nicht, und zugleich versagte der Orientierungssensor. So ließen sich die verbliebenen funktionstüchtigen Solarzellen nicht zur Sonne ausrichten und lieferten entsprechend wenig Energie. Die Batterien allein reichten nicht für die vorgesehene Mission. Der geplante Start von Sojus 2 wurde daraufhin abgesagt.

Die Sojus-Kapsel der vierten Generation (TMA, 2003 bis 2012 im Einsatz) unterscheidet sich in Größe und Form kaum von ihrem Urahn. Foto: Wikipedia

Nach dem 17. Umlauf leitete Komarow die manuelle Landeprozedur ein, indem er die Bremsraketen zündete. Triebwerk und Steuerungsmodul wurden getrennt, die Kapsel trat in die Erdatmosphäre ein. Die Mission schien glimpflich auszugehen. Doch in einer Höhe von sieben Kilometern öffnete sich der Bremsfallschirm nicht. Später stellte sich heraus, dass eine raue Schutzschicht am Fallschirmcontainer daran schuld war.

Am Absturzort auf einem Feld nahe Orenburg konnten die Einsatzkräfte nur noch Komarows Leiche bergen. Bei einem Staatsbegräbnis wurde seine Urne in einer Nische der Kremlmauer hinter dem Lenin-Mausoleum beigesetzt.

Der tragische Ausgang warf das sowjetische Mondprogramm um Jahre zurück. Der nächste bemannte Start gelang mit Sojus 3 im Oktober 1968, und erst im Januar 1969 konnten mit Sojus 4 und 5 Kosmonauten von einer Kapsel in die andere umsteigen. Diese Erfolge kamen zu spät, um die USA einzuholen. Ihre Astronauten landeten schon ein halbes Jahr später auf dem Mond. 1972 stellte die UdSSR ihr bemannte Mondlandungsprojekt ein.

Wladimir Komarow starb beim Absturz. Angeblich ahnte er seinen drohenden Tod. Foto: Dpa/ Picture Alliance

Die Sojus aber blieb das Herz der sowjetischen Weltraumtechnik. Sie entwickelte sich in verschiedenen Varianten schließlich zum erfolgreichsten System der bemannten Raumfahrt. Insgesamt brachte es auf mehr als 2000 Flügen Menschen, Fracht oder Satelliten ins All. Den letzten tödlichen Unfall gab es 1971: Bei der Landung von Sojus 11 entwich die Atemluft aus der Kabine, drei Kosmonauten erstickten. Seitdem läuft das „Arbeitspferd aus Kasachstan“ weitgehend zuverlässig. Nach Ende der Space Shuttles 2012 bot es den einzigen Weg zur Internationalen Raumstation ISS. Für den Fall, dass die Station evakuiert werden muss, ist immer eine russische Kapsel angedockt.

Der Nachfolger namens Federazija (Föderation) soll mehrfach verwendbar sein, vier Kosmonauten Platz bieten und erstmals 2021 starten. Als Trägerrakete für das 6,1 Meter lange Gefährt ist die neue, superschwere „Angara-A5“ vorgesehen. Damit könnte Federazija nicht nur in den Erdorbit fliegen, sondern auch den großen Traum Moskaus erfüllen: endlich die eigene Flagge in den Mondboden zu rammen. JOSEPH SCHEPPACH