MIT Technology Review 7/2017
S. 65
TR Mondo

Indien

„Wir wollen das All für alle zugänglich machen“

Rifath Shaarook Foto: Twitter/ Rifath Shaarook
KalamSat, der leichteste Satellit der Welt, wiegt 64 Gramm. Shaarook hat ihn nach dem früheren indischen Präsidenten und Atomforscher Abdul Kalam benannt. Foto: Facebook/ Rifath Shaarook

Der 18-jährige Inder Rifath Shaarook aus der Stadt Pallapati in Südindien hat mit seinem Team den leichtesten Satelliten der Welt gebaut. Die Nasa wählte ihn jetzt für eine Exkursion ins All aus.

TR: Rifath, wie bist du auf die Idee gekommen, den leichtesten Satelliten der Welt zu bauen?

Rifath Shaarook: Alles hat vor rund zwei Jahren angefangen. Wir sind ein Team von sieben Leuten, die hier in Chennai bei Space Kidz India zusammenarbeiten. 2015 hatten wir einen Heliumballon mit einem Satelliten entwickelt, mit dem wir Wetterdaten sammeln wollten. Doch als wir erfahren haben, wie teuer es ist, einen solchen Satelliten ins All zu schießen, war uns klar, dass unser Satellit zu schwer ist. Also haben wir Schritt für Schritt daran gearbeitet, das Gewicht zu reduzieren, zunächst auf ein Kilogramm und jetzt auf 64 Gramm.

Und wie habt ihr den Satelliten gebaut?

Um das Gewicht zu reduzieren, haben wir zunächst einmal neue Materialien verwendet. Vor allem carbonfaserverstärkten Kunststoff. Außerdem haben wir einen 3D-Drucker benutzt. Alles, um die Kosten gering zu halten.

Wie viel hat euer Satellit am Ende gekostet?

Die Kosten für das Material beliefen sich auf 1,56 Dollar.

Was kann der Satellit?

In erster Linie handelt es sich dabei um eine technische Demonstrationsmission. Unser Satellit hat zwar acht Sensoren und einen Computer an Bord, der die Beschleunigung, die Rotation oder das Magnetfeld messen kann. Aber es geht vor allem darum zu zeigen, wie stabil unser kleiner Satellit ist und wie sich unsere Materialien aus dem 3D-Drucker unter den Bedingungen im All verhalten. Sollte alles glattgehen, können wir diesen Ansatz bei zukünftigen Missionen nutzen, wodurch alles günstiger wird.

Die Nasa will euren Satelliten ins All schießen. Wie wurde sie auf das Projekt aufmerksam?

Das Unternehmen idoodle hat zusammen mit der Nasa den Wettbewerb „Cubes in Space“ veranstaltet. Dort haben wir unseren kleinen Satelliten eingereicht. Es gab insgesamt 86000 Bewerbungen aus 57 Staaten. Wir waren unter den 80 Gewinnern das einzige Team aus Indien.

Und was machst du, wenn du nicht gerade Satelliten baust?

Meine Hobbys? Ich beschäftige mich sehr gern mit grafischen Animationen. Also ich sitze viel vor dem Computer. Ich interessiere mich aber vor allem für die Erforschung des Weltalls und für Erfindungen, mit denen das gelingen kann.

Sind deine Eltern auch so vom Weltall fasziniert?

Ja, mein Vater war selbst Astronom. Er hat sich bis zu seinem Tod leidenschaftlich mit dem Weltall beschäftigt. Wir haben zu Hause zusammen am Fernseher viele Weltraumstarts angeschaut, und er hat mir alles erklärt. Damals habe ich ihm gesagt, dass ich mal meinen eigenen Satelliten ins All schicken möchte. Als ich neun Jahre alt war, ist er gestorben. Aber er ist meine Inspiration. Er hat seine Leidenschaft an mich weitergegeben.

Hast du schon Ideen für das nächste Projekt?

Ja, wir arbeiten bereits an einigen anderen Satelliten. Aber unser großes Ziel ist am Ende ein privates Raumfahrtunternehmen in Indien. Ich bin überzeugt, das Weltall ist unsere Zukunft. Unsere Zeit auf der Erde läuft ab, deshalb wollen wir das All für alle zugänglich machen.

INTERVIEW: MICHAEL RADUNSKI

Taiwan

Mehr Demokratie dank Internet

Pol.is begleitet interaktive Online-Umfragen und stellt die geäußerten Meinungen in Mengendiagrammen dar. Über das Tool lässt sich ein Meinungsbild zu bestimmten Themen abfragen. Grafik: Pol.is

Der Vorwurf, dass die sozialen Medien politische Zwietracht säen, ist nicht neu. Er hat sich aber verdichtet seit den jüngsten Diskussionen über die Beeinflussung von Wahlen in den USA, Großbritannien und Frankreich. Facebook-Chef Mark Zuckerberg will deshalb eine Technologie entwickeln, mit der sich die Energie von Online-Aktivitäten in eine positivere Kraft verwandeln lässt.

An einem ähnlichen Projekt arbeitet schon seit Längerem das kleine, größtenteils selbst finanzierte amerikanische Start-up Pol.is aus Seattle. Das interaktive Tool der drei Gründer Colin Megill, Chris Small and Mike Bjorkegren kann Meinungsumfragen visualisieren. Dies kann Bürgern, Regierungen und Gesetzgebern helfen, bei umstrittenen Sachverhalten die Nuancen von Zustimmung und Ablehnung in einer Gruppe zu eruieren.

Die bereits erzielten Resultate sind vielversprechend. Im vorigen Jahr unterstützte Pol.is die taiwanesische Regierung dabei, einen sechs Jahre währenden Grabenkrieg zu überwinden. Denn darüber, wie Alkoholverkäufe im Internet zu regeln seien, herrschten tief verwurzelte gegensätzliche Meinungen unter den Taiwanern.

„Das Tool erlaubte den verschiedenen Seiten allmählich wahrzunehmen, dass sie grundsätzlich dieselbe Sorge teilen – trotz aller oberflächlichen Meinungsverschiedenheiten“, sagt Audrey Tang, Taiwans Digitalministerin. Die Regierung des Inselstaates startet nun regelmäßig Umfragen unter besonderen Interessengruppen und nutzt dazu auch Facebook-Anzeigen. Sie hat das System außerdem eingesetzt, um herauszufinden, welche Regeln bei Airbnb-Vermietungen oder Angeboten wie Uber greifen sollten.

Die Open-Source-Software von Pol.is begleitet interaktive Online-Umfragen zu einem bestimmten Thema. Den Teilnehmern werden zunächst kurze Statements zu verschiedenen Aspekten einer Angelegenheit vorgestellt, wie zum Beispiel der Satz „Uber-Fahrer sollten über dieselbe Lizenz wie Taxifahrer verfügen?“ Anschließend werden die Nutzer gebeten, die Aussage per Klick zu bejahen oder zu verneinen.

Die Teilnehmer können darüber hinaus eigene Einschätzungen beisteuern, auf die andere Nutzer wiederum reagieren können. Am Ende erzeugt ein Automatismus aus dem Wirrwarr der sich überkreuzenden Reaktionen ein Diagramm, auf dem sich verschiedene Häufungen von Meinungen herauskristallisieren. An den grafischen Darstellungen lässt sich ablesen, wo die befragten Menschen übereinstimmen und wo sie sich widersprechen.

Geschäftsführer Colin Megill zufolge hilft Pol.is Regierungen und Parteien nachzuvollziehen, was den Menschen wirklich wichtig ist. „Das ist im Moment eine Herausforderung für Gesetzgeber weltweit“, sagt Megill. „Wir können ihnen helfen zu erkennen, was der Wähler fühlt.“

Inzwischen setzt auch Alternativet Pol.is ein. Die Partei verfügt über neun Sitze im dänischen Parlament und verfolgt quasi eine „grüne“ Politik. „Normale Meinungsumfragen bitten den Nutzer teilzunehmen, geben ihm aber kaum etwas zurück“, sagt Jon Skjerning-Rasmussen, Koordinator bei der dänischen Partei. Bei Pol.is dagegen können die Teilnehmer selbst die Ergebnisse sehen. So können sie erkennen, wie sich ihre Meinung im Vergleich zu der anderer verhält.

Die Politiker sehen darin einen Weg, ihren Parteimitgliedern eine unmittelbarere Mitwirkung bei der Gestaltung der Politik zu ermöglichen. Eine Umfrage der Partei führte zum Beispiel dazu, dass Alternativet seine Haltung zum bedingungslosen Grundeinkommen überdachte. Denn Pol.is offenbarte, dass sich unter den Partei-Insidern eine enthusiastische Anhängerschaft fand, während die Mitglieder allgemein eher zu Zurückhaltung neigten.

TOM SIMONITE