MIT Technology Review 8/2017
S. 88
Meinung
Bücher

Noch gesund oder schon giftig?

Bisher sind sichere Medikamente in Europa die Regel. Das Buch „Pharma-Crime“ aber zeigt, wie viele minderwertige bis schädliche Präparate im Umlauf sind.

Danuta Harrich-Zandberg, Daniel Harrich: Pharma-Crime. Kopiert, gepanscht, verfälscht — Warum unsere Medikamente nicht mehr sicher sind Heyne Verlag, 272 Seiten, 16,99 Euro (E-Book 13,99 Euro)

Fast jeder weiß, dass Kleidung heute beinahe ausschließlich im Ausland gefertigt wird. Auch die umweltschädlichen, menschenfeindlichen Bedingungen der Produktion sind bekannt. Wem aber ist bewusst, dass die Herstellung von Medikamenten ebenfalls zu 80 Prozent vor allem nach Indien und China ausgelagert ist? Der Frage, was das für deren Qualität bedeutet, sind der Filmemacher Daniel Harrich und seine Mutter Danuta Harrich-Zandberg in ihrem verdienstvollen Buch „Pharma-Crime“ nachgegangen. Der informative Band entstand parallel zu Harrichs Dokumentation „Gefährliche Medikamente“ und seinem Thriller „Gift“, die kürzlich im Fernsehen zu sehen waren. Darin zeigen die Autoren, wie weltweit zuhauf minderwertige, wirkungslose und sogar schädliche Medikamente in Umlauf geraten.

Der Leser erfährt, dass gar nicht selten lebenswichtige Medikamente das Ziel von Plagiaten werden. Als Fälscher entpuppen sich jedoch nicht nur Mafiabanden oder Kriminelle außerhalb des Gesundheitssystems. Die Autoren zeigen, wie fließend die Übergänge sind: So gibt es offensichtlich Fabriken in Asien, die in erster Linie für den westlichen Markt produzieren, aber auch Arzneien in schlechterer Qualität für die Bewohner des eigenen Landes oder Kontinents herstellen.

Immer wieder verlassen zudem fehlerhafte, gefährliche Produkte jene Fabriken, die bisher nur unzureichend von den westlichen Behörden überprüft werden. Viel Aufmerksamkeit zog vor zehn Jahren der Fall des Blutverdünners Heparin auf sich, der aus der Schleimhaut von Schweinedärmen gewonnen wird. Das Mittel war mit einem synthetischen Stoff gestreckt worden, da aufgrund einer Epidemie Schweine zeitweise Mangelware waren. Das gepanschte Heparin führte bei vielen Patienten – auch hierzulande – zu Allergien. In den USA kam es zu 88 Todesfällen. Doch am Herstellungsweg scheint sich seither kaum etwas geändert zu haben. Erst dieses Frühjahr mussten in Deutschland 200000 Ampullen Heparin zurückgerufen werden, weil das Mittel nicht wirksam genug war.

Der Band zeigt anhand vieler Beispiele, dass dies keine Einzelfälle sind. So ist der US-Musiker Prince der Obduktion zufolge 2016 an einer Überdosis Fentanyl gestorben. Ob er die gefährliche Substanz wissentlich eingenommen hatte, ist nicht bekannt. Bei ihm zu Hause wurde jedoch eine fentanylhaltige Fälschung des Opioids Hydrocodon gefunden. Bis heute ist offen, ob er das Präparat von einer Apotheke erhalten hat.

Deshalb raten die Autoren den Verbrauchern, skeptisch zu sein. Sie sollen nachfragen, wenn Farbe, Form oder Verpackung der Medizin plötzlich anders ist, wenn der Beipackzettel fehlt oder die Haltbarkeit abgelaufen ist. Inge Wünnenberg

Politik

Von 4chan zu Trump

Jede politische Richtung hat ihre eigene Online-Plattform: Von rechts nach links außen zieht es sich von 4chan zu tumblr. Angela Nagle untersucht in ihrem neuen Buch den politischen Kampf der Communities und ihre kommunikativen Strategien.

Sie zeigt, wie rechte und linke Gruppen versuchen, ihre Inhalte im und aus dem Netz heraus zu verbreiten. Die Alt-Right-Bewegung hat laut Nagle den italienischen Kommunisten Antonio Gramsci für sich entdeckt. Mit dessen Ideen versucht sie, Raum in der öffentlichen Diskussion zu besetzen und durch das gezielte Überschreiten moralischer Grenzen ihre Ideen salonfähig zu machen.

Angela Nagle, die über antifeministische Online-Bewegungen promoviert hat, fasst in ihrem Essay die Entwicklung der Alt-Right in den letzten 30 Jahren zusammen. Das schafft sie bündig, ohne dabei oberflächlich zu bleiben. Der Kürze des Essays ist es geschuldet, dass die Autorin oft darauf verzichtet, einzelne Begriffe und Kategorien einzuführen. Das macht das Buch, vor allem für Leser ohne sozialwissenschaftlichen Abschluss, in einigen Passagen schwer zu lesen. Die Lektüre lohnt sich auch für deutschsprachige Leser, denn die gezeigten Strategien lassen sich auf die europäische Rechte übertragen. MARCO LEHNER

Angela Nagle: „Kill all Normies“, Zero Books, 120 Seiten, 16,95 Dollar (E-Book 12,99 Dollar)

Dokumentarfilm

Krieg und Spiele

Ein Kind steht in der Wüste und spielt mit einer kleinen Drohne – doch plötzlich legt sich Angst auf sein Gesicht. Es dreht sich panisch um und läuft vor der Drohne davon. So zeigt Karin Jurschick gleich zu Beginn ihrer Dokumentation „Krieg & Spiele“ die Ambivalenz der Drohnentechnologie: eine tödliche Waffe, die wie im Spiel mit einem Joystick am Bildschirm gelenkt wird.

Jurschick beschränkt sich aber nicht auf die Gamification des Krieges. Sie behandelt auch die moralischen Probleme, denn durch die gezielten Drohnenangriffe sterben zwar weniger Zivilisten, doch sie leben in ständiger Angst vor dem nächsten Angriff.

Die Experten sind von Jurschick wohl gewählt: Drohnenhersteller, Computerspielentwickler, Philosophen, Modellflieger und Angehörige eines getöteten Hamas-Führers kommen zu Wort. Durch die breite Auswahl an Perspektiven schafft sie es, das widersprüchliche Verhältnis zwischen Technologie und Moral zu thematisieren. „You can’t engineer your way out of a ethical dilemma“, wie es Peter Singer in der Dokumentation sagt.

Der Regisseurin und Autorin gelingt es in ihrer Dokumentation, die kontroverse Drohnentechnologie als Teil der Fortentwicklung des Krieges selbst darzustellen und überlässt dem Zuschauer die letzte Wertung. Sie liefert damit einen angenehm unideologischen Beitrag zur Diskussion. MARCO LEHNER

Karin Jurschick: „Krieg & Spiele“, 92 Minuten, 18,99 Euro

WELTALL

Sind wir allein?

E.T., fliegende Untertassen, kleine grüne Männchen: Ist von Außerirdischen die Rede, denken Film- und UFO-Fans wohl zunächst an solche Phänomene. Der Autor Ben Miller hingegen will sich mit seinem neuen Buch deutlich davon distanzieren. Er verschreibt sich wissenschaftlichen Studien und ihren Erkenntnissen – das wird er nicht müde zu betonen. Ignoriert man diese stetige Wiederholung, ist Millers Buch ein unterhaltsamer Leitfaden durch die Suche nach außerirdischem Leben.

Miller studierte einst Physik, schlug dann aber eine Karriere als Komiker und Schauspieler ein. Dieser Spagat zwischen Wissenschaft und Entertainment trägt dazu bei, dass er komplexe Sachverhalte in anschaulichen Bildern erklären kann. Ein Beispiel dafür ist die Formel des SETI-Präsidenten Frank Drake, um die Anzahl von Zivilisationen zu berechnen, von denen wir möglicherweise eine Nachricht erhalten könnten. Hier dienen ein Dire-Straits-Konzert und Fans mit ihren Feuerzeugen als Erklärung.

Bei allem Suchen nach intelligentem Leben im All vergisst Miller nicht, auf Organismen auf der Erde zu blicken, die Hinweise auf andere Formen des Lebens geben. So fragt das Buch auch nach der Definition von „Leben“. Jennifer Lepies

Ben Miller: „Anybody out there? Die faszinierende Suche nach außerirdischem Leben“, Penguin Verlag, 368 Seiten, 10 Euro (E-Book 8,99 Euro)