MIT Technology Review 9/2017
S. 54
Horizonte
TR 50

Covestro

Zucker statt Erdöl

Lange war die chemische Industrie nicht gerade eifrig beim Thema grüne Kunststoffe. Nun aber macht Covestro ernst und will Millionen Tonnen auf pflanzlicher Basis herstellen.

Kaum jemand kennt Anilin. Dabei ist die Flüssigkeit ein Massenprodukt. Weltweit werden jedes Jahr mehr als vier Millionen Tonnen produziert. Es dient als Grundstoff zur Herstellung von Polyurethanen, steckt in Reifen, Farben, Pigmenten und Fasern. Bisher ist Anilin ein typisches Produkt der Petrochemie, es wird meist aus Benzol hergestellt. Aber der Chemiekonzern Covestro hat ein Verfahren gefunden, die Basischemikalie aus nachwachsenden Rohstoffen zu produzieren. Zwei kleinere Anlagen arbeiten bereits – eine in den Niederlanden, die andere in Leverkusen. Sie bestehen aus einem unscheinbaren Fermenter aus Metall. „Wir können damit pro Jahr bereits mehrere Hundert Kilogramm Bio-Anilin herstellen“, erklärt Projektleiter Gernot Jäger. 2020 soll eine größere Pilotanlage in Betrieb gehen.

Die Covestro-Initiative hilft, ein Dilemma des Umstiegs auf erneuerbare Energien zu lösen. Wer Erdöl, Gas und Kohle ersetzen will, der benötigt mehr als einen neuen Treibstoff für Autos oder ökologische Energiequellen für Strom und Heizung. Auch die chemische Industrie muss den Anteil der fossilen Rohstoffe für ihre Produktion verringern. Denn die Petrochemie liefert die Grundstoffe für Tausende Gebrauchsgegenstände und Alltagschemikalien. Kunststoffe spielen dabei eine zentrale Rolle, derzeit werden jährlich etwa 300 Millionen Tonnen produziert. Eine Machbarkeitsstudie der Deutschen Akademie der Wissenschaften schätzt, dass bis zum Jahr 2030 Bio-Rohstoffe die Basis für ein Drittel der gesamten industriellen Produktion sein könnten. Doch die Chemiewende kommt nur langsam voran, weil viele Projekte sich mit Produkten beschäftigen, die in vergleichsweise kleinen Mengen produziert werden.