Somaliland
Gurkenzucht unterm Beduinenzelt
Somaliland liegt am Horn von Afrika in einer politisch instabilen Region. Formal gehört es zum vom Bürgerkrieg zerfressenen Somalia. De facto ist es ein unabhängiger Staat mit vier Millionen Einwohnern und einer Regierung ohne völkerrechtliche Anerkennung. Die Region steht für Dürren, Nahrungsmangel und daraus resultierende Konflikte. „Letztlich geht alles auf Frischwassermangel zurück“, sagt der Brite Charlie Paton. „Deshalb wollte ich mit dem Projekt von Seawater Greenhouse das klassische Auf-Dürre-folgt-Hungersnot-Mantra durchbrechen.“ Das Ergebnis ist ein Meerwasser-Treibhaus, mit dem in der Wüste Gemüse angebaut werden kann.
Die Technik hinter der Idee ist verblüffend einfach. Das Unternehmen hat eine Art Beduinenzelt der nächsten Generation entwickelt. Es besitzt zum einen photoselektive Schattennetze, die zu heißes Infrarotlicht reflektieren, zum anderen ein ausgeklügeltes Kühl- und Entsalzungssystem. Solarbetriebene Pumpen bringen Salzwasser aus dem nur 200 Meter entfernten Golf von Aden zum Treibhaus. Damit werden poröse Pappwände an den Seiten der Zelte befeuchtet. „Der heiße Wüstenwind bläst durch diese Wände, entsalzt das Wasser, wird dadurch gekühlt und lässt im Inneren einen Frischwasserdunst entstehen“, beschreibt Paton die Arbeitsweise der Anlage. Die Innentemperatur sinkt um 10 bis 15 Grad, während die Luftfeuchtigkeit um fast 100 Prozent steigt. Dadurch verdunsten die Pflanzen am Tag nur noch ein bis zwei Liter Wasser pro Quadratmeter. „Draußen wären es bei einer Durchschnittstemperatur von 42 Grad rund 15 Liter“, sagt Paton. Diesen reduzierten Wasserbedarf kann die solarbetriebene Entsalzungsanlage von der Größe einer Waschmaschine bewältigen. Dabei werden aus einem Liter Meerwasser rund 300 Milliliter Frischwasser gewonnen. Das dabei anfallende Meersalz soll ebenfalls verkauft werden.
Die Idee verfolgt Paton seit den 1990er-Jahren. Mit seinem Pilotprojekt auf der kanarischen Insel Teneriffa zeigte er, dass sie funktioniert. Seit dem Jahr 2000 kooperiert der gelernte Beleuchtungstechniker mit der Aston University in Birmingham. Seitdem sind Anlagen in Abu Dhabi, Oman und Australien entstanden, darunter die Sundrop Farms (siehe TR 12/2016, S. 78), die in Australien rund 15 Prozent des Tomatenmarkts abdecken. Dort allerdings setzte Seawater Greenhouse auf teure Glasdächer, die zudem Ventilatoren und Belüftungssysteme nötig machen. Mit dem Projekt in Somaliland wagt sich Paton zum ersten Mal in ein armes Land – und könnte zeigen, dass sich die Idee auch für andere dürregeplagte Orte eignet. UNO-Angaben zufolge leben rund 1,75 Milliarden Menschen weltweit in Regionen mit Frischwassermangel. Patons Modell bietet sich überall an, wo genügend Sonne und Meerwasser vorhanden sind.
Die erste Ernte fuhr das Treibhaus im Januar 2018 ein: Tomaten, Salat, Gurken. Karotten, Zwiebeln sowie Bohnen sollen folgen. Nun geht es darum, das Gemüse auf die Märkte zu bringen und die Menschen zu schulen, das Gewächshaus selbst zu betreiben. Patons Hoffnung ist, dass sie künftig einen Teil ihrer Nahrungsmittel selbst anbauen können. Noch ist die Region jedoch von internationaler Hilfe abhängig. Somalia soll dieses Jahr Nahrungsmittel im Wert von 1,6 Milliarden US-Dollar erhalten. „Mit dem Geld könnten wir Meerwasser-Treibhäuser auf 16000 Hektar errichten und damit jährlich 4,8 Millionen Tonnen Gemüse produzieren“, sagt Paton, dessen 576000 Euro teures Gewächshausprojekt die britische Wirtschaftsförderungsbehörde Innovate UK finanzierte. „Dann bräuchte das Land keine UN-Hilfe mehr.“
ROMAN GOERGEN
SYRIEN
Bunker rettet wertvolle Samen
Ali Shehadeh tritt aus der Tür einer bizarren Konstruktion, eingegraben in einen schneebedeckten Berg im arktischen Norden Norwegens. In seinen Händen trägt er eine schwarze Box mit der Aufschrift „ICARDA“. Das Kürzel steht für das „Internationale Zentrum für landwirtschaftliche Forschung in Trockengebieten“. In der Kiste findet sich ein Gut von unschätzbarem Wert: Damit will Shehadeh die im syrischen Bürgerkrieg verlorene Samenbank wieder aufbauen. Dem „Doomsday Vault“, dem globalen Samentresor auf Spitzbergen, sollte eigentlich für viele Jahre nichts entnommen werden, er war als Zukunftssicherung gedacht. Aber der Krieg in Syrien zwang Shehadeh bereits sieben Jahre nach Eröffnung des Tresors, die 116000 Sicherheitskopien seiner Organisation zu entnehmen.
Sie lagen ursprünglich in einer Samenbank im Dorf Tal Hadya, 20 Kilometer von der syrischen Stadt Aleppo entfernt. Auf den umgebenden Feldern wuchsen neben Weizen und Gerste auch Hülsenfrüchte wie Linsen und Kichererbsen. Aber es waren keine gewöhnlichen Pflanzen: Viele sind eigentlich längst ausgestorben, verdrängt von den Monokulturen der Hochleistungssorten. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN sind im vorigen Jahrhundert drei Viertel der Pflanzendiversität verloren gegangen. Deshalb werden Samenbanken wie die vom ICARDA immer wichtiger. Die Institution hat sich dabei auf Pflanzen aus dem „fruchtbaren Halbmond“ spezialisiert, der sich vom Persischen Golf bis zum Mittelmeer erstreckt.
Shehadeh sammelt seit 1985 für ICARDA als Mitarbeiter der Abteilung Genetische Ressourcen Pflanzen in Ländern wie Ägypten, Jordanien und dem Libanon. Seine Funde brachte er früher nach Tal Hadya. Wenn die Pflanzen untersucht und charakterisiert worden waren, wurden sie angepflanzt, vermehrt und anschließend in kleinen, vakuumierten Aluminiumtüten verpackt. Die Tüten landeten fein säuberlich sortiert in den Kühlkammern des Instituts, wo sie mindestens 100 Jahre hätten lagern können. Mehr als 150000 verschiedene Sorten umfasste die Sammlung am Ende in Syrien. Doch der Bürgerkrieg drohte sie zu zerstören. Den Kriegswirren waren zuvor schon die Samenbanken der Organisation im Irak und in Afghanistan zum Opfer gefallen.
Der Verlust der syrischen Sammlung hätte auch Folgen für Europa und die USA gehabt. „Die Samenbank konserviert die Diversität, die gebraucht wird, um neue Arten zu entwickeln, die gegen Hitze und Trockenheit, Schädlinge und Krankheiten bestehen können“, sagt Ahmed Amri, bei ICARDA Leiter der Abteilung Genetische Ressourcen. Mit dem Klimawandel wird dies immer wichtiger, wie das Beispiel der Hessenfliege zeigt. Bisher konnte der Weizenschädling nur in den südlichen, wärmeren Regionen der USA überleben. Aufgrund des Klimawandels dringt er nun jedoch in den Mittleren Westen vor, die Kornkammer der USA, und verursacht Ernteeinbußen von bis zu zehn Prozent. Rettung könnte die wilde Art Aegilops Tauschii aus der ICARDA-Samenbank bringen, die resistent gegen die Hessenfliege ist. Das haben Experimente an der Kansas State University gezeigt.
Als die Wissenschaftler im Sommer 2012 die Ernte in Tal Hadya einbrachten, ahnten sie: Es würde auf lange Zeit die letzte sein. Kurze Zeit später besetzten Rebellen das Gelände. Die ausländischen Wissenschaftler flohen außer Landes, die verbliebenen syrischen Mitarbeiter wichen mit Shehadeh nach Aleppo aus. Zunächst behielten sie immerhin noch die Kontrolle über die Kühlkammern. Shehadeh glaubt, die Rebellen hätten die Bedeutung der Sammlung verstanden. So gelang es den Wissenschaftlern in den nächsten Jahren noch, Zehntausende der Samen aus ihrer Sammlung nach Spitzbergen und an Züchter in der ganzen Welt zu verschicken. Doch als die syrischen Regierungstruppen Ende 2015 immer näher rückten, verloren die Wissenschaftler endgültig den Zugang. Das ICARDA beschloss daraufhin, zwei neue Zentren aufzubauen, eins in Marokko, ein zweites im Bekaa-Tal im Libanon. Shehadeh sollte den Aufbau der libanesischen Genbank überwachen, und dorthin brachte er die Samen aus Norwegen.
Mittlerweile sind knapp 70000 Samen aus dem Spitzbergen-Reservoir multipliziert worden. Die neuen Samenbanken in Marokko und im Libanon umfassen zusammen etwa 90000 Exemplare. „Es dauert aber noch bis mindestens 2023, bis Züchter und Forscher wieder Zugriff auf die komplette Sammlung von 156000 Samen haben“, sagt Amri. „Der Syrienkrieg hat die Wissenschaftler um Jahrzehnte zurückgeworfen.“ Wie es um die Anlagen in Tal Hadya bestellt ist, weiß niemand. Fotos zeigen Bombenkrater auf den Feldern. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis Shehadeh wieder zurückkehren kann.
GREGOR HEPPEL