MIT Technology Review 11/2018
S. 3
Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Staaten haben sich schon immer das Recht genommen, das Recht zu umgehen. Was in der analogen Welt so ist, scheint in der digitalen umso mehr zu gelten. Die europäische Datenschutz-Grundverordnung beispielsweise gibt Bürgern mehr Macht gegenüber Datenhändlern wie Google, Facebook oder Payback, nur nicht unbedingt gegenüber dem Staat.

Wenn es um die öffentliche Sicherheit geht, soll eine Datenschutzkontrolle „erst nach Abschluss eines Strafverfahrens“ zulässig und für die Strafvollstreckung ausgeschlossen sein. So steht es im neuen niedersächsischen Datenschutzgesetz – verfasst als Antwort auf die neuen EU-Vorgaben. Das amerikanische FBI hatte 400 Millionen Gesichter in einer Bilddatenbank, aber nur zehn Prozent davon waren tatsächlich Verdächtige, so eine Untersuchung von 2016.

Die Digitalisierung macht derartige Umgehungen verführerisch, weil sie einfach sind, auf Knopfdruck eine Fülle an Informationen versprechen – und für kaum einen Bürger durchschaubar sind. Wie schwer war es früher, eine Wohnung zu verwanzen. Heute reicht es, das Smartphone anzuzapfen. Die Sicherheitslücken dafür werden auf dem Schwarzmarkt gehandelt, und Sicherheitsbehörden sind willige Abnehmer. Als Ergebnis „verschwimmt die Grenze zwischen kriminellen und staatlichen Akteuren“, sagt Hans Schotten, Leiter der Abteilung Intelligente Netze beim Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz.

Staaten machen das Netz unsicher, und sie behaupten, im Gegenzug das analoge Leben sicherer zu machen. Aber ist dem so? Gerade in unserer hochvernetzten Zeit wirken sich Angriffe „direkt auf unser Leben und Eigentum aus“, mahnt Sicherheitsexperte Bruce Schneier. Fehlgeleitete Cyberwaffen können Krankenhäuser lahmlegen oder Roboterautos gegen die Wand fahren. Ist das Netz noch zu retten? Und wenn ja, wie? Ab Seite 64 stehen die Antworten.

Ich begrüße Sie in unserer November-Ausgabe.

Ihr

Robert Thielicke

Unterschrift