MIT Technology Review 2/2018
S. 86
Meinung

» Beim Breitbandausbau fast Entwicklungsland «

Das Ende der Netzneutralität in den USA hat auch hierzulande die Gemüter erregt. Könnte die Entscheidung auf Europa abfärben?

TR: Mitte Dezember hat die US-Regulierungsbehörde FCC beschlossen, dass die Netzneutralität abgeschafft wird. Was bedeutet das nun?

Klaus Landefeld: In den USA müssen die Verbraucher mit Folgen rechnen. Die Diskussion dreht sich jetzt darum, wie Inhalteanbieter wie Amazon Prime oder Netflix dazu gezwungen werden können, für eine schnellere Durchleitung an den Anschlussnetzbetreiber zu zahlen.

Werden auch europäische Nutzer Nachteile aus der Entscheidung der FCC erleiden, weil europäischer Traffic zum Teil über US-Server läuft?

In der Regel läuft der deutsche und europäische Internetverkehr nicht über die USA, höchstens über ein Datacenter eines US-Unternehmens.

Was heißt das konkret? Was passiert, wenn beispielsweise ein deutsches Medienunternehmen wie Spiegel Online ein Video auf einer US-Plattform verlinkt?

Die US-Plattform könnte nach der neuen US-Regulierung für die Auslieferung des Videos Geld verlangen, wenn der Anwender über Spiegel Online kommt. Betroffen wäre dann aber nicht das Medienunternehmen, sondern der Endanwender. In der Praxis werden wir so eine Art Paywall aber wohl nicht erleben, denn nach EU-Recht wäre das unzulässig.

Warum?

Nach den europäischen Regeln der Netzneutralität ist es unzulässig, beispielsweise Videos in sehr niedriger Qualität zu zeigen, eine höhere Qualität aber nur Endkunden bestimmter Internetzugangsanbieter aufgrund kommerzieller Erwägungen. Das EU-Recht zielt auf alle ab, die in der Europäischen Union ihre Dienste anbieten.

Es wird befürchtet, dass auch bestimmte Inhalte zensiert werden könnten. Ist damit zu rechnen?

Es geht nicht darum, bestimmte Inhalte zu blockieren, sondern um Qualitätseinbußen durch Geschwindigkeitsdrosselungen oder Überholspuren für bestimmte Dienste. Bei solchen Ansätzen sind die Regulierer in der Vergangenheit schnell auf die Barrikaden gegangen. Das konnten wir auch in Deutschland erleben, als Mobilfunkanbieter versuchten, VoIP-Dienste für Internet-Telefonie zu verhindern oder Kabelanbieter Peer-to-Peer-Dienste zum Verteilen großer Datenmengen drosselten.

Ist das nicht legitim?

Es geht um die sogenannte Überholspur, für die jemand bezahlt, wenn Datenpakete bevorzugt behandelt werden. In der EU ist das aufgrund von rein wirtschaftlichen Interessen nicht erlaubt, aus technischen Gründen aber zulässig. Beispielsweise werden Voice-Dienste zur Qualitätsverbesserung priorisiert.

In anderen Fällen dürfte die Grenze zwischen wirtschaftlichen und technischen Gründen jedoch schwer zu ziehen sein. Wird die Diskussion also über den Großen Teich schwappen?

In den USA ist das eine Engpassdiskussion. Für über 40 Prozent der Haushalte dort gibt es nur einen einzigen Anbieter, und die USA ist in Sachen Breitbandausbau fast Entwicklungsland. Die Anbieter machen nun ihre Investitionen von verbesserten Rahmenbedingungen und mehr Kontrolle über ihr Netz abhängig. Deshalb ist der Breitbandausbau auch eines der Hauptargumente für die Aufhebung der Netzneutralität: Wenn mehr Geld in das Netz investiert werden soll, muss es auch irgendwo herkommen. Dieses Argument konnte in Europa nie so unverhohlen ausgespielt werden, da vergleichbare Netzmonopole nicht bestehen. Interview: Christiane Schulzki-Haddouti