MIT Technology Review 4/2018
S. 98
Kolumne
Aufmacherbild
Illustration: Mario Wagner

Der Futurist

Organe vom Bio-Hof

Was wäre, wenn wir Ersatzorgane in Tieren züchten könnten?

Tyler Ferris wollte nie ins Rampenlicht. Er war lediglich ein Pechvogel, der nach einer komplizierten Herzmuskelentzündung ein neues Herz brauchte. Doch nun buhlte der Vertreter einer völlig neuen Therapie um seine Gunst. Vor einiger Zeit war es gelungen, menschgleiche Ersatzorgane in Schweinen zu züchten. Die Firma Companion Organs hatte sich schnell als Marktführer etabliert.

Als Ferris selbst ein neues Organ brauchte, begriff er, wie das gelungen war: mit der Zurschaustellung besonders emotionaler Fälle. Denn Ferris war überzeugter Vegetarier. Deshalb bot die marketingwirksame Geschichte seiner Bekehrung für Companion Organs eine wunderbare Gelegenheit, den zunehmend aggressiven Tierschützern etwas entgegenzusetzen. CEO George Markianakis besuchte Ferris also höchstpersönlich im Krankenhaus, um ihn zu überzeugen. Aber der Patient zweifelte, ob er es verantworten konnte, dass seinetwegen ein Tier starb. Oder war es im Angesicht des Todes erlaubt, an sich selbst zu denken, fragte er sich.

Companion Organs nahm Schweine-Embryonen, die aufgrund von Mutationen bestimmte Organe nicht ausbildeten, und ließ diese aus menschlichen Stammzellen neu wachsen. Neben Herzen hatten sie Lungen, Lebern und Nieren im Angebot. Nachdem der Besitzer eines solchen Schweins überraschend gestorben war, bot Markianakis dem Vegetarier nun das Tier an. „Überlegen Sie es sich“, sagte er eindringlich. „XP311 ist superfit. Der alte Eigentümer hat extra dafür bezahlt, dass sein Tier jeden Tag 30 Minuten im Laufrad lief.“

Ferris wusste, dass es auch Bio-Chimären gab: Sie lebten nicht in Hochsicherheits-Lagerhallen mit Kunstlicht, sondern auf einer Farm, jedes in einem eigenen kleinen Auslauf. Bio-Chimären wurden schonend eingeschläfert, damit ihr Körper vor der Organentnahme nicht von Stresshormonen geflutet wurde. Aber sterben mussten auch sie. Und leider reichte ein Tier nicht aus, wenn man so jung war wie Ferris. Weil die Schweineorgane deutlich schneller alterten, brauchten Kunden von Companion Organs regelmäßig Nachschub.

Nach seinem Besuch bei Ferris erzählte Markianakis in einem BBC-Interview von dem „fruchtbaren“ Gespräch und davon, dass Ferris Vegetarier war. Nun konnte der Patient seine Ideale also nicht mehr heimlich über Bord werfen. Als kurz nach der Ausstrahlung das Telefon klingelte, fürchtete er schon, die Tierschützer am Hals zu haben.

Aber es war Luther Stiehl. Der Silicon-Valley-Investor und Milliardär war selbst Vegetarier, sein Unternehmen Organicals hatte die Entwicklung künstlicher Organe revolutioniert. Stiehl bot ihm das neue „MyHeart 500“ kostenlos an, wenn sich Ferris bereit erklärte, Werbung dafür zu machen. Das teure künstliche Herz übertraf in manchen Eigenschaften sogar das Original. Eine Spezialbeschichtung verhinderte Ablagerungen und Embolien. Seine Energie bezog es aus der Körperwärme und der Bewegung des Trägers. Der größte Vorteil war allerdings die jahrzehntelange Haltbarkeit. Der Haken an dem Angebot war nur, dass es noch sechs Monate bis zur Zulassung des MyHeart 500 dauern konnte. So viel Zeit hatte Ferris womöglich nicht mehr. Einen Heilversuch außer der Reihe würden die Behörden mit Sicherheit ablehnen, weil es ja mit den Tierorganen Alternativen gab. Vegetarier zu sein, war schließlich keine medizinische Komplikation.

Zwei Tage später hatte sich Ferris beim Fernsehen plötzlich für ein Angebot entschieden. Er wollte einfach leben. Nach den Fünf-Uhr-Nachrichten würde er anrufen. Dann starrte er fassungslos auf den Bildschirm. Schon wieder hatten Tierschutzaktivisten bei Companion Organs eingebrochen und Chimären entführt. Die gesamte XP300er-Serie war weg. Ferris schluckte. VERONIKA SZENTPÉTERY-KESSLER