MIT Technology Review 4/2018
S. 30
Horizonte
Hardware

Von Hardware zu Hirnware

Künstliche neuronale Netze schaffen heute Aufgaben, die noch vor zehn Jahren für Computer unlösbar waren. Doch das Gehirn hält noch viele weitere Kniffe bereit, die eine „neuromorphe” Revolution der Hardware auslösen könnten – und damit die Abkehr vom klassischen Computer.

Vorbild Biologie: Steve Furber von der University of Manchester entwickelt Prozessoren, die so effizient wie das Gehirn arbeiten sollen. Foto: Chris Foster/University of Manchester

Selbstfahrende Autos, Gesichtserkennung, Sprachassistenten – tiefe neuronale Netze verblüffen mit immer besseren Leistungen. Ihre Arbeitsweise folgt den Prinzipien biologischer Nervensysteme: Neuronen empfangen Signale über Synapsen, verrechnen sie und schicken das Resultat an andere Neuronen. Sie sind in Schichten aufgebaut, und sie lernen, indem sie die Effizienz verändern, mit der Synapsen die Impulse übertragen. So weit, so hirnartig.

Trotzdem sind künstliche neuronale Netzen extrem vereinfachte Abbilder dessen, was Neurowissenschaftler in Gehirnen tatsächlich beobachten (siehe Seite 33). Gehirne sind wesentlich stärker vernetzt, und sie schicken Impulse zwischen ihren Schichten hin und her. Echte Neuronen sind zudem keine eindimensionalen Integrationseinheiten, sondern räumlich ausgedehnte Wesen mit Ästen voller Synapsen. Und sie arbeiten nicht nur digital, sondern integrieren Informationen auch analog.

Einiges spricht dafür, dass diese Unterschiede der Grund dafür sind, warum selbst die modernsten neuronalen Netze auf den besten Supercomputern nicht mit der Auffassungsgabe einer Dreijährigen mithalten. Deshalb arbeiten Industrie und Forschung nun an „neuromorpher“ Hardware, die Architektur und Arbeitsweise des Gehirns so exakt nachbaut, wie es die heutige Chiptechnologie erlaubt. Diese neuromorphen Maschinen sollen kontinuierlich aus Sinnesdaten lernen und Hirnforschern helfen, unser Denken besser zu verstehen.