MIT Technology Review 5/2018
S. 85
TR Mondo

INDIEN

Tinte aus Autoabgasen

Tiefschwarz ist die Farbe, die Anirudh Sharma aus Autoabgasen herstellt. Foto: Graviky Labs

92 Prozent aller Menschen atmen Luft ein, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO als ungesund eingestuft wird; mehr als sieben Millionen Menschen sterben jährlich an den Folgen. Während sich in Deutschland die Diskussion vor allem um die Reduzierung der Abgase dreht, betrachtet Anirudh Sharma die Situation aus einem anderen Blickwinkel.

Sharma, der sich selbst einen „chronischen Erfinder“ nennt, stellte sich die Frage: Wie kann ich daraus etwas Nützliches machen? Zusammen mit seinem indischen Unternehmen Graviky Labs hat Sharma die sogenannte Air-Ink – die Lufttinte – erfunden. Benutzt wird sie in Stiften, ölbasierten Farben und Sprühdosen. Mit ihr gelingt es Sharma, aus der Verschmutzung eine Ressource machen.

Schon in der Schule fesselte den Inder der Unterrichtsstoff nur selten. „Mich interessierten neue Dinge.“ Seine erste Erfindung waren Schuhe für Blinde: Über Sensoren und kleine Kameras vermitteln sie ihrem Besitzer, wo er entlanggehen muss. Schnell wurden die „Le Chal“-Schuhe – was in Hindi so viel bedeutet wie „Bring mich dorthin“ – ein Verkaufsschlager. Doch Sharma merkte: „Geschäfte zu machen ist nichts für mich. Ich muss neue Sachen erfinden.“ Er entwarf ein Lineal, welches das Volumen von gerade gezeichneten Figuren errechnet, ehe er sich einem drängenderen Problem widmete.

Sharmas Heimat Indien leidet massiv unter Luftverschmutzung. WHO-Angaben zufolge hat die Hauptstadt Delhi die schmutzigste Luft der Welt. Hauptverursacher ist vor allem der Verkehr. Sharma bemerkte das am eigenen Leib, als sich sein Hemd während eines Spaziergangs durch Bangalore gräulich verfärbte. Mit den Fingern verschmierte er den Ruß wie beim Malen. Und geboren war die Idee der Air-Ink.

Anfangs fuhr Sharma mit einem präparierten Dieselauto durch die Stadt. Ein Schlauch führte vom Auspuff direkt in ein riesiges Sammelgefäß auf dem Autodach. Drei Jahre und unzählige Experimente später ist aus dem riesigen Dachaufbau ein kleines nachrüstbares Kästchen geworden, welches direkt auf den Auspuff gesteckt wird. Der Kaalink genannte Aufsatz sammelt und filtert die Rußpartikel. Anschließend werden in einem mehrstufigen Filterverfahren toxische Stoffe wie Schwermetalle und krebserregende Bestandteile entfernt, sodass lediglich Kohlenstoffpigmente übrig bleiben. Im letzten Schritt kommen je nach Endprodukt noch Ingredienzien hinzu: Im Falle der Ölfarbe sind es Öle; für eine Spraydose gehört komprimiertes Gas zu den Bestandteilen. „Es entsteht eine Farbe, die man nutzen kann wie jede andere auch.“ Ein durchschnittlicher Stift enthält rund 40 bis 50 Minuten Abgasluft eines gewöhnlichen Dieselfahrzeugs. Die Abgase, die ein Auto auf einer Strecke von zehn Kilometern emittiert, genügen Sharma, um eine ganze Druckerpatrone zu füllen.

Sharma würde nicht behaupten, mit seinen Erfindungen die Welt wirklich ändern zu können. Aber auch das sieht er von der praktischen Seite: „Unsere Tinte wird aus Abgasen hergestellt, die andernfalls unsere Lungen verschmutzen würden.“ Auf dem Markt ist die Tinte allerdings – trotz einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne im vorigen Jahr – noch nicht.

Michael Radunski

USA

Künstliche Pumpe als dauerhafter Herzersatz

Das einfache Design soll den dauerhaften Einsatz des Kunstherzens ermöglichen. Foto: Kristyna Wentz-Graff/ OSHU

In Deutschland warteten vor zwei Jahren 450 Menschen auf eine Herztransplantation, aber nur für 297 hat sich 2016 ein lebensrettendes Organ gefunden. In den USA stehen sogar rund 4000 Menschen auf der Warteliste, von denen 2017 nur 3400 ein neues Organ von einem Spender erhielten. Dort beträgt die Wartezeit bis zu einer Transplantation etwa sechs Monate. Das ist für einige Patienten zu lang.

Deshalb versuchen Forscher schon seit Jahrzehnten, ein künstliches Herz für den dauerhaften Gebrauch herzustellen. Aber es ist unglaublich schwierig, ein Gerät zu bauen, das ein echtes Herz über einen langen Zeitraum ersetzen kann, ohne Infektionen oder Blutgerinnsel zu verursachen. Und je komplizierter das Gerät konstruiert ist, desto mehr Komplikationen kann es bei einem Dauereinsatz geben.

Die derzeit verwendeten mechanischen Pumpsysteme unterstützen lediglich das kranke Herz des Patienten – sie ersetzen es nicht vollkommen. Sanjiv Kaul und sein Team von der Oregon Health and Science University (OHSU) in Portland hoffen nun, dass ihnen genau das gelingen wird: das Herz durch eine Maschine zu ersetzen. Ihr Gerät zeichnet sich daher durch ein extrem einfaches Design aus. Es enthält ein einziges bewegliches Stück ohne Ventile. Die Entwickler glauben, es könnte die erste derartige Vorrichtung sein, die bis ans Lebensende hält.

Bereits 2006 erhielt als erstes Kunstherz AbioCor von der US Food and Drug Administration eine begrenzte Zulassung. Es wurde allerdings nur 15 Personen implantiert und steht nicht mehr zur Verfügung. Das zwei Pfund schwere Gerät hatte ungefähr die Größe einer Grapefruit und war zu voluminös für Kinder und viele Frauen. Derzeit ist nur der Apparat von SynCardia in den USA erhältlich. Dabei handelt es sich allerdings nur um eine vorübergehende Lösung für jene Zeitspanne, in der die Patienten auf eine Herztransplantation warten. Die Betroffenen müssen zusätzlich einen externen Luftkompressor in einem Rucksack bei sich tragen, der das implantierte Kunstherz von außen antreibt. Die Schläuche, die Herz und externen Kompressor miteinander verbinden, bedeuten für den Patienten jedoch eine ständige Infektionsgefahr. Andere Unternehmen wie Cleveland Heart, die französische Firma Carmat oder Schweizer Forscher haben zwar ebenfalls versucht, ein vollständig künstliches Herz zu bauen. Aber bisher ohne Erfolg.

Sanjiv Kaul hofft, die Defizite der früheren Kunstherzen durch den schlichten Aufbau überwinden zu können. Das Gerät aus Portland ersetzt die beiden unteren Kammern des Herzens, die Ventrikel, durch ein Titanrohr mit einem hohlen Stab, der sich hin und her bewegt. Damit erzeugt das Kunstherz einen Blutfluss, der einen natürlichen Puls nachahmt. Die Bewegung drückt das Blut in die Lunge, wo es Sauerstoff aufnehmen und anschließend den Rest des Körpers damit versorgen kann.

Das Kunstherz der OHSU muss wahrscheinlich durch einen kleinen Akkupack außerhalb des Körpers in Betrieb gehalten werden. Aber es besteht die Hoffnung, dass langfristig eine kleinere, effiziente Batterie unter die Haut implantiert und von außen wieder aufgeladen werden kann.

Einen Prototyp ihres Kunstherzens haben Kaul und sein Team an Kühen getestet. Sie bemerkten keine Probleme oder Nebenwirkungen. Als Nächstes planen sie Tierversuche mit einer kleineren Version des Geräts, die bereits zehnjährigen Kindern passen würde. Dieser Apparat soll sich drei Monate lang in Schafen bewähren. „Wenn er so lange funktioniert, denken wir, dass wir in der Lage sein werden, ihn im Menschen anzuwenden“, sagt Kaul. Der Kardiologe glaubt, dass das Gerät den Patienten in spätestens fünf Jahren zur Verfügung stehen könnte.

EMILY MULLIN