MIT Technology Review 8/2018
S. 98
Kolumne
Aufmacherbild
Illustration: Mario Wagner

Der Futurist

Ausgestochen

Was wäre, wenn Roboter-Bienen Pflanzen bestäuben würden?

Was möchten Sie zum Nachtisch?“, fragte der Kellner. Das Essen hatte vorzüglich geschmeckt. Nun sahen David Demain und Lea erwartungsvoll den Kellner an.

„Heute haben wir etwas ganz Besonderes“, sagte der. „Erdbeeren.“ Er flüsterte es schon fast.

Leas Augen wurden groß. „Was? Erdbeeren?“ Stolz nickte der Kellner.

Bevor David etwas einwenden konnte, rief Lea: „Ich nehme sie!“

Er spürte, wie sich eine ungute Nervosität in seiner Magengegend breitmachte. Hatte er genug Geld dabei? Die Rechnung würde hoch ausfallen.

„Zwei Portionen?“, fragte der Kellner, zu David gewandt.

„Ähm, nein. Haben Sie auch Äpfel?“

„Einen müssten wir noch haben. Möchten Sie ihn?“

„Der halbe genügt mir, ich bin schon recht voll“, sagte David und klopfte sich schief grinsend auf den Bauch.

„Sehr wohl, der Herr“, sagte der Kellner und verschwand.

„Erdbeeren, David! Wie ist das nur möglich?“

David nickte. „Offenbar bauen sie die wieder an. Wundert mich. Ich dachte, dass sich die Drohnenbestäubung bei Erdbeeren nicht rechnet.“

Das Obst kam. Auf Leas Teller waren drei Erdbeeren, auf seinem ein halber Apfel. Obst war selten geworden nach dem großen Bienensterben. Mithilfe von Drohnenbestäubung hatten die Discounter eine Minimalproduktion mancher Sorten sichergestellt – wenn auch zu horrenden Preisen. Erdbeeren gehörten seines Wissens nicht dazu. Mit Strauchpflanzen schienen die Bienendrohnen nicht gut klarzukommen, die Kosten im Vergleich zu Äpfeln waren nicht konkurrenzfähig.

„Hmmm!“, schwärmte Lea.

„Darf ich mal sehen“, fragte er. Lea schaute ihn irritiert an. „Nur mal sehen, ich ess sie dir schon nicht weg.“

Sie reichte ihm die Erdbeere. Er suchte das Logo und fand es: Aldi. Sehr merkwürdig.

Dann klingelte Davids Handy. Als er abnahm, war ein erstaunlich nervöser Andi dran. Ob er kurz in seiner Werkstatt vorbeikommen könne. Dort zeigte er David unter dem Mikroskop eine Biene. Allerdings keine echte – jedenfalls so weit er sich richtig an lebende Bienen erinnern konnte. Sondern eine Miniaturdrohne. An ihren Füßen besaß sie einige feine Härchen, gelbe Pollen klebten daran. Klein prangte auf dem zylindrischen Metallkorpus das Logo von Aldi.

„Und jetzt pass auf.“ Andi zückte sein Smartphone und startete eine App. Er tippte ein paarmal herum. Plötzlich ging eine winzige LED am Kopf der Drohne an, und ihre Flügel begannen sich langsam zu bewegen.

„Und?“, fragte David.

„Jetzt warte doch einen Moment.“ Andi drückte erneut auf seinem Phone herum. Die Flügel der Drohne hielten wieder an. Und nun sah David etwas aus dem Bauch der Drohne wachsen. Es war…ein Stachel, in etwa so lang wie ein Fingernagel.

„Das hier, David, ist eine Mini-Killdrohne“, sagte Andi. Ein Bienenwolf. „Die Stacheln sondern Strompulse ab und zerstören andere Roboter-Bienen. Wir haben uns schon lange gewundert, warum immer mehr kaputte Edeka- und Rewe-Drohnen auf den Feldern liegen.“

„Okay, aber das ist illegal“, sagte er.

„Genau! Und das ist der endgültige Beweis. Wir haben schon lange vermutet, dass Aldi seine Landwirte per Knebelvertrag zwingt, ausschließlich seine Drohnen zur Bestäubung zu nutzen. Nun ist klar: Sie killen auch noch die Drohnen der Konkurrenz. Die kleinen Roboter sind nicht an den Erdbeersträuchen gescheitert, sondern am Aldi-Bienenwolf.“

David überlegte einen Moment. „Und jetzt?“

„Ganz einfach: Wir übergeben den Bienenwolf den Aufsichtsbehörden. Und dann gehen wir Erdbeeren essen. Ich bezahle.“ Jens Lubbadeh