MIT Technology Review 8/2018
S. 3
Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

Was ist nötig für höhere geistige Leistungen? Meist lautet die Antwort: eine Großhirnrinde, diese vielfach gefaltete und stark vernetzte Schicht aus Nervenzellen. Es war eine angenehme Antwort, denn sie machte den Menschen zum König des Tierreichs. Was aber, wenn höhere geistige Leistungen auch ohne sie möglich sind? Wenn Tauben mit Wahrscheinlichkeiten rechnen, Bienen Pläne schmieden und Krähen ein Arbeitsgedächtnis besitzen, dessen Kapazität genauso groß ist wie bei Affen? Dann war die Reaktion lange: Kann nicht sein. Kann aber doch. Alle genannten Beispiele sind Ergebnisse aktueller Studien, und sie zwingen uns dazu, neu über Intelligenz nachzudenken.

Denn die Erkenntnisse bedeuten nicht nur, dass wir andere Lebewesen unterschätzt haben. Sie bedeuten auch, dass die künstliche Intelligenz sehr viel rascher voranschreiten könnte als KI-Experten heute glauben. Gelingt es Forschern, die Tricks der Natur zu durchschauen, könnten viele intelligente Verhaltensweisen überraschend einfach zu programmieren sein. Weltweit arbeiten Wissenschaftler daran, und wie nah sie diesem Ziel mittlerweile gekommen sind, beschreiben wir ab Seite 28.

Klingt unheimlich? Nur, wenn Menschen weiter unbedingt die Könige sein wollen. Zeitgemäßer wäre es jedoch, würden wir uns als Dirigenten begreifen. Viele intelligente Maschinen sind schon heute besser als wir selbst und werden künftig noch besser werden, aber eben nur in ihren speziellen Bereichen. Es braucht daher jemanden, der den Überblick behält und sie orchestriert. Der sicherstellt, dass die Maschinen unsere Probleme lösen – nicht wir die Probleme der Maschinen.

Und der erkennt, dass sich nicht jedes Problem per KI lösen lässt. Eines der größten darunter ist sicherlich die Zukunft der Ernährung. Hier bündeln sich nahezu alle negativen Entwicklungen der letzten Jahre: Klimawandel, Artensterben, Wassermangel sind nur einige davon. Um ihnen etwas entgegenzusetzen, brauchen wir neue Nutzpflanzen, bessere Anbauarten und natürlich eine andere Ernährung. Was also werden wir essen? Antworten geben wir ab Seite 66.

Ich begrüße Sie in unserer August-Ausgabe.

Ihr

Robert Thielicke

Unterschrift