MIT Technology Review 1/2019
S. 62
TR Mondo

CHINA

Eine Stadt liebäugelt mit einem künstlichen Mond

Chengdu im Licht des richtigen Mondes. Foto: Wang/Fotolia

Die Idee klingt einleuchtend: Nachts scheint nur der Mond kostenlos. Warum also nicht einen eigenen Mond erschaffen und als Lichtquelle nutzen? Genau das will die chinesische Millionenmetropole Chengdu machen. Ab 2020 soll ein Satellit einen künstlichen Mond simulieren und die Stadt im Südwesten Chinas nachts beleuchten. Der künstliche Mond soll achtmal heller sein als der echte, was ausreichen würde, um die Straßenbeleuchtung der gesamten Stadt zu ersetzen, sagte Wu Chunfeng, Vorsitzender des Chengdu Aerospace Science and Technology Microelectronics System Research Institute, der Zeitung „China Daily“. Man habe vor Jahren mit Tests begonnen, und nun sei die Technik ausgereift, erklärte Wu.

Der Mond-Satellit könne ein Gebiet von bis zu 80 Kilometern Durchmesser erhellen. Chengdu würde damit rund 170 Millionen Dollar Stromkosten im Jahr sparen. Über die Abmessungen des „Fake Moon“ machte Wu keine Angaben. Sollte alles nach Plan laufen, würde man bis 2022 drei weitere Mond-Satelliten ins All schießen.

„Ein idealer Spiegel, also absolut flach und mit einem Reflexionsvermögen von 100 Prozent, könnte in der Tat die Nacht zum Tag machen“, sagt Farid Gamgami vom deutschen Satellitenhersteller OHB System. „Aber es gibt etliche Probleme, angefangen bei der Größe des Reflektors.“ Der Raumfahrtingenieur überschlägt, dass man für eine Metropole wie New York City mit einer Fläche von 783 Quadratkilometern eine Reflexionsfläche von mindestens 31 Kilometern Durchmesser benötige. In Chengdu wäre die Fläche sogar über 5000 Quadratkilometer groß, wenn man die 80 Kilometer Durchmesser zugrunde legt.

„Eine solch gigantische Konstruktion wurde im Orbit noch nicht ausgesetzt“, sagt Gamgami. „Die damit verbundenen Technologien wie entfaltbare Strukturen oder die Lageregelung solch gigantischer flexibler Flächen befinden sich noch in den Kinderschuhen.“ Zum Vergleich: Die japanische Raumfahrtagentur Jaxa erprobte 2010 erstmals ein Sonnensegel, dessen Fläche damals als riesig galt. Sie betrug 194 Quadratmeter.

Roger Förstner, Institutsleiter für Raumfahrttechnik der Bundeswehr-Universität München, sieht vor allem im Austarieren des „Fake Moon“ ein Problem. „Wenn es kein geostationärer Punkt über dem Äquator ist, bedarf das Zusammenspiel und die Anordnung von Satellit, Sonne und Stadt einer sehr komplizierten und zudem kontinuierlichen Nachjustierung.“ Um zur Beleuchtung zu dienen, müsste der künstliche Mond zudem ein gleißend helles Licht zur Erde werfen. In dem Fall befürchtet Astrid Orr von der European Space Agency ESTEC negative Auswirkungen auf nachtaktive Tiere und Menschen. „Viele klagen schon jetzt über die steigende Lichtverschmutzung in den Städten“, sagt Orr.

Bislang ist nicht bekannt, ob die chinesische Regierung das Vorhaben genehmigt. Neben den technischen Schwierigkeiten gibt es für das Projekt aber auch ein ganz profanes Problem: Wolken, die den Himmel verdecken.

Michael Radunski

Dänemark

Klimalabel soll Auskunft über CO₂-Fußabdruck von Lebensmitteln geben

Energieminister Lars Christian Lilleholt befürwortet ein CO2-Label für Lebensmittel. Foto: Ritzau /Scanpix/Imago

Hierzulande klebt auf jedem Kühlschrank, jedem Staubsauger, jeder Mikrowelle das Energielabel – eine Annäherung an die Klimabilanz des Produkts. In Dänemark soll derartiges in Zukunft auch auf Milch, Schnitzel oder Gummibärchen zu finden sein – nur umfassender: als komplette CO2-Bilanz. „Wir wollen Verbrauchern ein Werkzeug an die Hand geben, das ihnen hilft, genau zu beurteilen, welchen Klimaeinfluss das jeweilige Produkt hat“, sagt Lars Christian Lilleholt, der zuständige Minister für Energie, Forschung und Klima.

Vor wenigen Wochen, just zu dem Zeitpunkt, als der Weltklimarat IPCC seine neuen Zahlen präsentierte, hat Dänemarks Regierung das Thema in ihren „38-Punkte-Plan“ für eine grünere Zukunft aufgenommen. Vorangegangen ist offenbar eine rund zehnjährige Zusammenarbeit mit der EU.

„20 bis 30 Prozent unserer Gesamtemissionen gehen auf die Ernährung zurück“, sagt Tobias Viere, Nachhaltigkeitswissenschaftler an der Hochschule Pforzheim. „Neben den offensichtlichen Faktoren wie Dünger oder Bewässerung steckt in fast allen Produkten verstecktes CO2, das zum Beispiel bei der Herstellung, dem Transport und der Entsorgung entsteht.“ Da mache so ein Label durchaus Sinn.

Ob Dänemark allerdings wirklich wie geplant für jedes einzelne Lebens-mittel einen seriösen Wert ermitteln wird, ist fraglich. Der Aufwand jedenfalls ist immens. Die Bilanzen können je nach Produkt, Anbaugebiet und Anbauart massiv voneinander abweichen. Auch der Transport, die Lagerung und nicht zuletzt die Art der Verpackung haben Einfluss auf die Ökobilanz. Kritiker vermuten daher sogar, dass das Klimalabel nur eine fixe Idee ist, die kurz vor der Wahl in den Ring geschmissen wurde. Im dänischen Parlament jedenfalls wurde das Thema noch nicht besprochen, heißt es im Danish Agriculture and Food Council.

Sollte es aber tatsächlich kommen, dürfte seine Aussage den einen oder anderen ziemlich überraschen: Jeder Deutsche verursacht durch seine Ernährungsweise jährlich in etwa dieselbe Menge CO2 wie der Verkehrssektor: 2,1 Tonnen. Der typische Däne verursacht sogar noch etwas mehr. Doch ungeachtet der Nationalität kennen auch überzeugte Ökos oft nicht die exakten Klimabilanzen ihrer Nahrungsmittel. So ist erst seit Kurzem bekannt, welch verheerende Klimabilanz zum Beispiel das vermeintliche Superfood Avocado haben kann: Allein der Wasserbedarf ist mit bis zu 1000 Litern je Kilogramm etwa fünfmal so hoch wie bei Tomaten.

DANIEL HAUTMANN