MIT Technology Review 1/2019
S. 46
Horizonte
Vorschau 2019
Aufmacherbild
Illustration: Nicole Ginelli

Der Arzt kommt aufs Smartphone

2019 werden Patienten in Deutschland ganz offiziell ihre erste Sprechstunde bei einer künstlichen Intelligenz haben.

Körperliche Beschwerden treten meist zur Unzeit auf. Abends nach dem Sport etwa. Oder der Betroffene wacht nachts mit Schmerzen auf. Aber es ist schwierig und aufwendig, zu diesem Zeitpunkt einen ärztlichen Rat zu erhalten – und Doktor Google ist einfach nicht kompetent. Das Berliner Start-up Ada Health hatte eine bessere Idee: ein Chatbot, der Symptome abfragt und sich so Schritt für Schritt der Ursache nähert – gar nicht so unähnlich dem ersten Gespräch beim Arzt. „Anschließend informiert Ada den Ratsuchenden über mögliche Ursachen der Beschwerden und empfiehlt gegebenenfalls, einen Arzt zu konsultieren“, erklärt Mitgründer Martin Hirsch. Als Grundlage dient die Kenntnis von mehreren Tausend Krankheiten und Symptomen. Die App greift Hirsch zufolge über ihre künstliche Intelligenz auf ein von Ärzten erstelltes umfassendes medizinisches Wissensnetz zu, das ständig aktualisiert wird.

Deutschen Nutzern steht das Angebot zwar seit mehr als einem Jahr zur Verfügung, aber nur im App Store und ohne den Segen der Branche. Nun wird Ada ganz offiziell Teil des deutschen Gesundheitssystems: Die Techniker Krankenkasse (TK) integriert den Symptomchecker in die neue „TK-Doc“-App. Hat der Chatbot seinen Rat gegeben, können die Versicherten das Ergebnis telefonisch, per Mail, aber auch per Text- oder Video-Chat mit einem Mediziner des TK-Ärzte-Zentrums besprechen. TK-Chef Jens Baas sieht darin „einen Ausblick darauf, wie Versorgung in der Zukunft aussehen kann“. Er geht davon aus, dass es für einen Arzt bald kaum mehr möglich sein wird, eine Diagnose zu stellen, ohne die KI dafür zu befragen. Jürgen Schäfer, Leiter des Zentrums für unerkannte und seltene Erkrankungen am Universitätsklinikum Marburg, hat Ada evaluiert und teilt die Einschätzung. „Es gibt mehr als 10000 Diagnosen und allein 7000 seltene Erkrankungen“, sagt er. „Das sind Dimensionen, die ein einzelner Arzt gar nicht mehr verarbeiten kann.“