MIT Technology Review 1/2019
S. 26
Am Markt
Ausprobiert

Ausprobiert

Gas geben auf der Achterbahn

Achterbahnen werden interaktiv. Beschleunigen, bremsen und um die Wette fahren – mit dieser neuen Idee zieht der deutsche Achterbahnbauer Maurer in die Vergnügungsparks.

Ohrringe und Ketten habe ich für diese Testfahrt zu Hause gelassen. Ich steige auf eine Mischung aus Schlitten und zweisitzigem Rennmotorrad. Um die Lenker zu fassen, muss ich mich richtig nach vorn legen. Musik ertönt aus einem Lautsprecher. Eine Ampel schaltet um von Rot auf Grün. Ich sause los. Mit dem rechten Drehgriff Gas geben und links noch mal einen Extraschub rausholen, hat mir Thomas Frommelt, 23, erklärt. Mit fast 50 Kilometern pro Stunde presche ich auf eine Steigung zu.

Nein, ich fahre kein futuristisches Motorrad, sondern die erste interaktive Achterbahn der Welt, ein Produkt der deutschen Firmen Maurer und Beutler Transport Systeme. Dieses Fahrgeschäft namens „Sky Dragster“ steht im Skyline Park in Bad Wörishofen bei München. Seit 2018 können Besucher ihre Wagen dort selbst bremsen und beschleunigen.

Über Kopf geht es beim ersten Modell noch nicht, und Kinder unter 1,10 Meter müssen draußen bleiben. „Loopings sind technisch kein Problem. Aber wir tasten uns langsam an diesen neuen Typus von Achterbahnen heran“, sagt Ingenieur Torsten Schmidt vom Hersteller Maurer.

Gewöhnlich haben Achterbahnen einen Katapultstart oder ein Liftsystem, das die Wagen zu Beginn der Strecke in große Höhe befördert. Dann sausen sie antriebslos durch Loopings und Spiralen. Ohne Motor können Fahrgäste aber nicht individuell Gas geben. Zum ersten Mal legte Maurer deshalb die gesamte Strecke als Zahnradantrieb aus, mit Elektromotoren in jedem Wagen. Dafür musste die Konstruktion entsprechend robust sein.

„Die andere Herausforderung war die Steuerungssoftware. Kein Fahrzeug darf auf ein anderes auffahren“, sagt Schmidt. Dafür ist jeder Schlitten mit Sensoren ausgestattet, die Tempo und Position laufend an das Kontrollsystem übermitteln.

Ursprünglich hatte der Hersteller die Strecke in Bereiche unterteilt, die auf dem Monitor des Fahrzeugs angezeigt wurden. In grünen Abschnitten sollten die Fahrer Gas geben, in orangefarbenen Abschnitten abbremsen. Doch auf den Tacho zu stieren, während man in Kreiseln hängt und steile Talfahrten hinunterdonnert, erfordert enorm viel Konzentration. Jetzt können die Gäste deshalb dauernd Gas geben. Nur an manchen Stellen der Achterbahn bremst das Kontrollsystem ihr Fahrzeug aus. In Kurven etwa dürfen die Fahrzeuge nicht schneller als 30 Kilometer pro Stunde werden, weil sonst die Fliehkräfte auf die Fahrgäste zu groß würden. Ganz stehen bleiben kann ich ebenfalls nicht, selbst wenn ich bremse. Das Kontrollsystem gibt Mindestgeschwindigkeit und Sicherheitsabstand vor, bei Bedarf werden die Wagen abgebremst. Auf geraden Strecken sind bis zu 60 Sachen erlaubt.

Ich fahre steil abwärts in einen vertikalen Kreisel, ähnlich einer Autobahnabfahrt, dann jage ich auch schon die Anhöhe zu zwei Kamelhöckern hinauf. Der Tacho zeigt 40 Kilometer pro Stunde. Ich drehe das Gas richtig auf und nehme noch den Boost dazu. Die Haare fliegen, und der Nieselregen peitscht mir ins Gesicht. Ein Kameraauge über dem Tacho ist auf mich gerichtet. Es kann meine Fahrt als Film mitschneiden, den ich hinterher über eine App herunterladen kann. Leider ist dieses Gerät heute ausgeschaltet.

Schon rast die Maschine eine weitere steile Abfahrt hinab und wieder durch eine Spirale, bei der ich deutlich abgebremst werde. Offenbar schreitet das Kontrollsystem wieder ein. Dann ist die Runde von 270 Metern auch schon vorbei. „35 Sekunden“, sagt der Parkmitarbeiter Frommelt und grinst, wohl weil ich nicht die Schnellste war. Der Rekord liegt bei 29 Sekunden. Aber es kostet Überwindung, mit der linken und rechten Hand immer Vollgas zu geben, während man von links nach rechts geschleudert wird oder eine steile Abfahrt hinunterrast.

Maurer ist bisher der einzige Achterbahnbauer, der derart interaktive Bahnen anbietet. „Wir haben uns das Zahnradprinzip weltweit mit einem Patent schützen lassen. Nur damit sind große Beschleunigungen möglich. Räder würden durchdrehen“, sagt Schmidt.

Das Interesse scheint groß zu sein. Im Vergnügungspark Mirabilandia bei Ravenna, einem der größten Italiens, errichtet Maurer derzeit die zweite interaktive Achterbahn. Ab 2019 können sich die Fahrgäste auf zwei parallelen Strecken von etwas mehr als 500 Metern Länge ein Rennen liefern.

Die insgesamt zwölf Fahrzeuge sind an das Motorrad Panigale V4 von Ducati angelehnt, einige Teile wie die Blinker stammen sogar vom Original. „Wir nehmen auch die echten Fahrgeräusche auf und spielen den Sound beim Beschleunigen ein“, sagt Schmidt. Drei weitere Achterbahnen in Europa und Asien sind geplant.

Auch die Konkurrenten sind an interaktiven Systemen interessiert. Der italienische Hersteller Technical Park warb im September 2018 mit einem neuen Konzept, das sogar individuelle Überschläge erlauben soll. Die Sitze sind dafür frei drehbar. Noch existieren diese Pläne allerdings nur auf dem Papier.

Maurer versucht unterdessen, seinen Vorsprung auszubauen. Schmidt deutet Ideen an: „Man könnte auch rückwärts fahren. Oder über Weichen entscheiden, ob man einen Looping nimmt oder nicht.“